Laszlo Krasznahorkai

Herscht 07769

Roman
Cover: Herscht 07769
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
ISBN 9783103974157
Gebunden, 416 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. Kana wäre eine vergessene Stadt irgendwo in Thüringen, hätte ihre abgelegene Trostlosigkeit nicht Neonazis angelockt. Die Einwohner betrachten sie mit Angst und Argwohn. Allein Florian Herscht meint, er habe Freunde auf beiden Seiten: ein hilfsbereiter Muskelprotz, der sich vor Tattoos fürchtet und glaubt, das Universum stürze demnächst ins Nichts. Um alle vor der vermeintlichen Katastrophe zu warnen, schreibt er Briefe an Frau Merkel, die ohne Antwort bleiben. Doch seine Unschuld macht ihn hellsichtig, und nur die Musik Bachs kann ihn trösten. Plötzlich tauchen am Waldrand Wölfe auf, die Apokalypse rückt tatsächlich näher…

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.03.2022

Rezensentin Judith von Sternburg kann sich Laszlo Krasznahorkais Helden, einem verwirrten jungen Mann in der ostthüringischen Provinz, der von einem Nazi-Übervater mit rechtem Gedankengut, Weltende-Szenarien und Musik von Bach infiziert wurde, nicht entziehen, auch wenn die Handlung im Verlauf ziemlich blutig wird und Köpfe rollen. Formal erfüllt der Autor laut Sternburg sämtliche mit seiner Kunst verbundene Erwartungen, indem er ohne Satzpunkte, dafür mit umso mehr Kommas schreibt. Wie eine Nachbildung des Zeitstroms kommt Sternburg der Text vor, wie ein langer Atemzug, menschlich, unmenschlich, unentrinnbar.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.02.2022

Allzu viel möchte Rezensent Jörg Plath nicht verraten über Laszlo Krasznahorkais neuen Roman, der sich einmal mehr dem Einbruch der Gewalt und des Schreckens widmet. Diesmal trifft es laut Plath ein verschlafenes Thüringen, das ein strammer Neonazi mit Bach-Faible und sein treuer Knecht mit Macht einnehmen. Thema ist allerdings laut Plath auch die Bewusstseinswende eines der Protagonisten, die das Herr-Knecht-Verhältnis schnell hinfällig werden lässt und den Knecht zum Rächer. Formal kommt der Text laut Plath in punkt- und absatzlosen Satzkaskaden daher, die Heike Flemming lesbar ins Deutsche gebracht hat, wie der Rezensent lobt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 10.12.2021

Rezensent Carsten Hueck erkennt in László Krasznahorkais neuem Roman eine umgekehrte "Heiligenlegende". Während der originäre Heilige am Anfang sündigt und am Ende geläutert wird, durchläuft Krasznahorkais Protagonist Florian die gegenläufige Entwicklung vom gutherzigen Naivling, der sich, leichtgläubig, wie er ist, von einem neonazistischen Reinigungsexperten die Welt erklären lässt, zum rachsüchtigen Serienmörder, erklärt Hueck. Um Florians Geschichte zu erzählen, bedient sich der Autor zahlreicher literarischer Verweise und Anleihen aus verschiedenen Genres - vom Splatterfilm bis zur Politsatire, lesen wir. Dabei erlaubt er seinen Leserinnen und Lesern einen erschütternden Blick mitten hinein in die "deutsche Seele". Es ist ein atemloser, ein düsterer, ein realistischer Text, den der Autor hier geschrieben hat, so Hueck, aber auch ein Text ohne echte Persönlichkeiten, wie der Rezensent am Ende einwendet.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.11.2021

Rezensent David Hugendick ist mehrfach überrascht von Laszlo Krasznahorkais Roman, diesem Wimmelbild aus dem Osten Deutschlands ohne die übliche stilistische Hilflosigkeit, wie der Rezensent lobt. Denn der Autor arrangiert sein "brueghelhaftes" thüringisches Kleinstadt-Panorama, in dem Nazis, Pförtner, Imbissbudenbesitzer und Psychologen, Revierförster und Stadtmeterologen gleichberechtigt ihren Auftritt haben, artistisch ohne Punkt und Komma. Für Hugendick eine Art hoch virtuoser Heimatroman ohne den dauernden platten Realismus, aber dennoch leicht und äußerst amüsant zu lesen, versichert der Rezensent, der einfach hingerissen ist von der Virtuosität und dem Witz des ungarischen Autors.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 25.10.2021

Rezensent Jörg Plath weiß nicht, soll er sich freuen oder verzweifeln über Laszlo Krasnahorkais Roman, der ohne einen einzigen Satzpunkt auskommt, ohne Psychologie, Moral, Charaktere und Handlung übrigens auch. Doch schon nehmen ihn die Kommaorgie und der "gleitende" Stil des Autors gefangen. Die laut Rezensent zwischen Horror und mystischer Fantasy angesiedelte, aber auch durchaus aktuelle Geschichte um einen Rächer, der sich als naiver Handlanger eines Bach liebenden thüringischen Neonazis verdingt, ist von Angst und von einer Drastik durchdrungen, der sich Plath nicht mehr entziehen kann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.10.2021

So viel vorweg: Der Übersetzerin Heike Flemming gebührt ein eigener Preis, so gekonnt überträgt sie den einen einzigen, immerhin rhythmisch gegliederten Satz dieses Romans, der sich über 400 Seiten erstreckt, lobt Rezensent Cornelius Pollmer. Aber auch der neue Roman von Laszlo Krasnarhorkai, der überraschenderweise in Thüringen spielt, ringt dem Kritiker einige Bewunderung ab: Erzählt wird die Geschichte des einfältigen Florian Herscht, der in einem Heim in einem fiktiven Örtchen unweit von Jena aufwächst, vom "Boss", dem Dorfnazi mit Gebäudereinigungsfirma aus dem Heim geholt wird, sich als Schwarzarbeiter, Bäckerlehrling und in der Volkshochschule durchschlägt und sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt. Es treten weitere kuriose "Antihelden" auf, merkwürdige Geschehnisse ereignen sich ebenfalls im Dorf, all das weiß Krasznarhorkai in eine "fiebrige Transzendenz" zu tauchen, lobt Pollmar. Nicht immer leicht zu lesen, aber schon als treffende Zeitdiagnose unbedingt lesenswert, meint der Kritiker.
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