Lea Ypi

Frei

Erwachsenwerden am Ende der Geschichte
Cover: Frei
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518430347
Gebunden, 332 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Eva Bonné. Albanien 1989: Der letzte stalinistische Außenposten in Europa, ein isoliertes Land, das man nur schwer besuchen und noch schwerer verlassen kann. Es herrschen Mangelwirtschaft, Geheimpolizei und das Proletariat. Der Kommunismus hat den Platz der Religion übernommen. Für die zehnjährige Lea Ypi ist dieses Land ihr Zuhause: Ein Ort der Geborgenheit, des Lernens, der Hoffnung und der Freiheit. Alles ändert sich, als in Berlin die Mauer fällt und in Tirana Enver Hoxhas Statue vom Sockel stürzt. Jetzt können die Menschen wählen, wen sie wollen, sich kleiden, wie sie wollen, anbeten, was sie wollen. Aber die neue Zeit zeigt bald ihr unfreundliches Gesicht: Skrupellose Geschäftemacher ruinieren die Wirtschaft, die Aussicht auf eine bessere Zukunft löst sich auf in Arbeitslosigkeit und Massenflucht. Als das Land im Chaos zu versinken droht und in ihrer Familie Geheimnisse ans Licht kommen, beginnt Lea sich zu fragen, was das eigentlich ist: Freiheit.  Lea Ypi erzählt von ihrem Erwachsenwerden im poststalinistischen Albanien und einer schillernden Familie, deren Geschichte eng mit der des Landes verwoben ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.07.2022

Rezensentin Kerstin Maria Pahl liest gerne Lea Ypis spezielle Autobiografie, die aus der Perspektive der jungen Lea vom Wechsel der Diktatur in Albanien hin zum Liberalismus Mitte der achtziger Jahre erzählt. Besonders spannend findet Pahl dabei etwa die beschriebene Durchdringung aller Lebensbereiche durch die Diktatur, sowie die Verschränkung der Veränderung des politischen Systems mit den körperlichen Veränderungen, die Lea im Erwachsenwerden durchläuft. Dass man hinter der kindlichen Perspektive schnell den "abgeklärten" Blick der Akademikerin erkenne - Ypi ist mittlerweile Professorin für Politische Theorie in London, weiß Pahl - stört bei der Kritikerin dabei weder das Lesevergnügen noch die differenzierten Einblicke in die "Widersprüche von Menschen und Systemen", die Ypi biete. Unnötig findet Pahl dagegen den Epilog, in dem die Erzählebene verlassen und vieles überdeutlich ausgesprochen würde, was zuvor implizit vermittelt worden sei.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 30.04.2022

Rezensentin Eva Behrendt schätzt sowohl die politische als auch die familiäre Ebene in Lea Ypis Memoir. In dem ursprünglich als ideengeschichtliche Abhandlung angesetzten Buch, wie Behrendt weiß, erzählt Ypi von der Glaubenskrise, die sie Ende 1990 als Teenager angesichts des Zerfalls der Diktatur in Albanien und der Ablösung durch den Kapitalismus durchlief. Wie die Autorin dabei die "doppelte Systemdesillusionierung" beschreibt, findet die Kritikerin "fesselnd", und lobt auch den "schelmisch-mitfühlenden Blick", den die Autorin dabei auf ihr kindliches Ich werfe. Auch, wie Ypi dann immer mehr über die dissidentische Vergangenheit ihrer Familie lernt, findet Behrendt spannend; sie spricht hier von "liebevollen Porträts" der Familienmitglieder. Dass Ypis Buch nicht in "links- oder rechtsreaktionäres" Denken, sondern in den Glauben an den Klassenkampf mündet, liegt vielleicht an der intensiven Beschäftigung der Dozentin für Politische Theorie mit Marx und Kant, vermutet Behrendt. Das viele Lob, das das Buch erntet, hält sie jedenfalls für verdient.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.03.2022

Rezensentin Nele Pollatschek hält Lea Ypis Memoir für ein "mittelmäßiges" Buch über Freiheit, aber für ein "hervorragendes" Buch über Wahrheit - und meint damit: Aus ihrer eigenen kindlichen Perspektive von ihrem Aufwachsen im kommunistischen Albanien, dem Zerfall des Ostblocks und der Enttäuschung über den Westen zu erzählen, gelingt der mittlerweile in London lehrenden Autorin bestens, so die Rezensentin. Ausgesprochen "klug" findet sie, wie Ypi die kindliche Perspektive hier weitgehend unkommentiert stehen lässt, statt "professorales Theoriewissen" zu bemühen. Dennoch könne sie Erhellendes über Diktaturen oder Kulturimperialismus aufdecken. Nur hat das alles eben sehr wenig mit Freiheit zu tun, glaubt die Kritikerin. Es sei vielmehr "sehr deprimierend", wie die Figuren von einem unfreiheitlichen System ins nächste gerate. Im Laufe der Kritik verstrickt sich die Rezensentin dann ihrerseits immer mehr in "professorales Theoriewissen": alles ist irgendwie wichtig und richtig, aber irgendwie immer auch das Gegenteil. Man wird das Buch wohl selbst lesen müssen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 14.03.2022

Rezensent Uli Hufen ist froh, dass Lea Ypi so klug ist. So gerät ihr Buch über eine Kindheit unter Enver Hoxha, die Lügen eines brutalen und korrupten Systems, über eine Jugend voller Hoffnung während der Nachwendezeit und neuerliche Enttäuschungen weder zu einer wohlfeilen Abrechnung noch zu einer Verharmlosung, sondern zu einer warmherzigen, humorvollen Erzählung mit unvergesslichen Szenen und Figuren, meint Hufen. Die verschiedenen Schattierungen der Wahrheit leuchtet die Autorin überzeugend aus, so Hufen, mit "großen Botschaften" hält sie sich zurück.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.03.2022

Rezensent Harald Staun spürt den Schock beinahe selbst, von dem die albanische, mittlerweile in London lehrende Philosophin Lea Ypi erzählt: der Schock, den der Zusammenbruch des Ostblocks und das Ende der Diktatur in Albanien 1990 für ihr Teenager-Selbst darstellte, mitsamt dem Verlust aller Wahrheiten, an die sie geglaubt hatte. Wie Ypi verschiedene Freiheitsmodelle anhand verschiedener Figuren verhandelt - so etwa den Kapitalismus anhand ihrer Mutter - findet Staun eingängig und verweist für ihn auch auf Ypis Affinität zu Marx, der im Vorwort zum Kapital von der "Personifikation ökonomischer Kategorien" spricht. Hauptverdienst des Buches ist für ihn, dass gezeigt werde, dass Freiheit sich nicht in Form von Theorie, sondern nur in ihrer Verwirklichung begreifen lasse - dadurch liefere Ypi hier mehr als nur ein "abenteuerliches Memoir".

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 12.03.2022

Ein "schönes" Buch nennt Rezensent Dirk Schümer Lea Ypis Memoir. Schön allerdings nicht im gewöhnlichen Sinne von: rührend, erbaulich, unterhaltsam. Tatsächlich sei die Geschichte, die Ypi erzählt, eher hart und schmerzhaft als rührend und erbaulich. Es ist die Geschichte einer Kindheit, die  im abgeschotteten Albanien unter Enver Hodscha beginnt und in einem "befreiten" Land endet, so Schumer. Schön heißt in diesem Fall also eher: Präzise und eindringlich erzählt, vor allem aber: aufrüttelnd und zum Nachdenken anregend, zum Beispiel über den weiten, weiten Begriff der Freiheit, so der bewegte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.03.2022

Rezensent Peter Neumann trifft Lea Ypi und lernt den typisch albanischen Begriff der Freiheit kennen, der auch das Memoir der Autorin prägt, verkörpert von der altaristokratischen Großmutter, wie Neumann erklärt. Über das Aufwachsen unter Enver Hoxha, isoliert und umzingelt, berichtet die Autorin laut Rezensent "unakademisch" und in leuchtenden Gedanken. Wie der Text dabei um ein moralisches, "unverwüstliches" Freiheitsideal kreist, findet Neumann gerade jetzt hoffnungsvoll.