Leo N. Tolstoi

Krieg und Frieden

Die Urfassung
Cover: Krieg und Frieden
Eichborn Verlag, Köln 2003
ISBN 9783821807027
Gebunden, 1233 Seiten, 39,90 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg und mit einem Nachwort von Thomas Grob. Mitte Mai 1866 setzt Leo Tolstoi das Wörtchen "Ende" unter ein Manuskript, das später Generationen von Lesern in seinen Bann schlagen wird. Allerdings heißt das Werk damals noch "Ende gut, alles gut", nicht "Krieg und Frieden". Und es endet mit einer Doppelhochzeit statt mit dem Tod des großen Helden Fürst Andrej Bolkonskij. Teile des Romans erscheinen als Fortsetzungsabdruck in einer Zeitung, während der Autor in Moskau mehrmals versucht, das Buch in dieser Form gedruckt zu bekommen. Schließlich wird es drei Jahre dauern, bis der Roman tatsächlich erscheint - nach unzähligen Überarbeitungen, Ergänzungen und Erweiterungen als Krieg und Frieden. Die nun von Dorothea Trottenberg hervorragend übersetzte, rekonstruierte Urfassung ist nur ungefähr halb so lang wie die uns bekannte Endfassung, mehr Familien- als Kriegsgeschichte, entbehrt die langen Exkurse zur Geschichtsphilosophie und wartet mit vielen anderen Entwicklungen und einem gänzlich anderen Ende auf. Damit ist auch ein neuer Tolstoi zu entdecken.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.03.2004

In einer sehr umfangreichen Besprechung erklärt Rezensent Ulrich M. Schmid auf spannende Weise, welchen Stellenwert die vorliegende Urfassung von "Krieg und Frieden" im Tolstoischen Werk, und damit in der Literaturgeschichte einnimmt. Welche "monumentalen" Ambitionen Tolstoi mit diesem Werk verband, werde daraus ersichtlich, dass Tolstoi nach Fertigstellung der sogenannten Urfassung im Jahr 1867 die Arbeit daran sofort wiederaufnahm und es zum uns bekannten "Krieg und Frieden" umarbeitete. Und in der Tat zeigen sich für den Rezensenten erhebliche Verschiebungen zwischen beiden Fassungen. Die Urfassung erscheine "eindeutiger, härter, bisweilen auch schockierender". Die Übersetzerin Dorothea Trottenberg habe dies überzeugend ins Deutsche übertragen. Darüber hinaus sei die namensgebende Opposition zwischen Krieg und Frieden in der Urfassung noch nicht dominant, was interessanterweise daran offenbar werde, dass das russische Wort "mir" (das zwei Bedeutungen, nämlich "Frieden" und "Gemeinschaft" annehmen kann) mit kyrillischem "i" geschrieben sei (denn vor der Rechtschreibreform von 1918 wurden beide Bedeutungen orthografisch unterschieden), und der Titel somit eher "Krieg und Nation" bedeutete. "Augenfälligster Unterschied" sei allerdings das "Happy End" der Urfassung, in der sowohl Andrei Bolkonski als auch Petja mit dem Leben davonkommen, und das Fehlen des "Epilogs". Werde in der Urfassung noch die "patriotische Begeisterung" als "kraftspendendes Lebensprinzip" gefeiert, so klinge die Endfassung schon weniger "zuversichtlich" und gebe einem betulicheren, und "tiefer hängendem" Leben den Vorrang. Darin kündigt sich für den Rezensenten der späte Tolstoi der "Anna Karenina" an. Die Urfassung, so der Rezensent abschließend, ist auf keinen Fall Ersatz für "Krieg und Frieden", aber ein wertvolles Dokument.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.11.2003

Lothar Müller stellt sich mit Entschiedenheit dagegen, die hier publizierte Rohfassung des "größten aller historischen Romane" gegen die von Leo Tolstoi autorisierten Fassungen auszuspielen. Die vorliegende Urfassung geht auf eine kritische Ausgabe der Philologin Evelina Zajdensnur von 1983 zurück, die diese mit großen Mühen und mit einer Fülle von Anmerkungen, Varianten und Klammern erstellt hat, informiert der Rezensent. Daraus wurde 2000 dann eine "Leseausgabe" für das breite Publikum gemacht, die alle "philologischen Vorbehalte" aus dem Text tilgte und das Buch als kürzeres und lesbareres Lesevergnügen gegenüber dem eigentlichen Roman anpries, referiert der Rezensent weiter. Er macht allerdings unmissverständlich klar, dass eine solche "Urfassung" nicht in Konkurrenz zum späteren Roman treten kann, nicht zuletzt, weil sämtliche französischen Passagen übersetzt werden, was damit nicht einmal der tatsächlichen Urfassung folgt, die noch die französischen Passagen enthält. Mit diesem "entscheidenden Mangel", so der Rezensent unzufrieden, gehe ein wichtige Dimension des Romans verloren, der damit sowohl den tiefen Graben zwischen der russischen Oberschicht und dem einfachen Volk markiert, als auch Tolstois Auseinandersetzung mit Napoleon und dem Ancien Regime. Auch fehlen dem Rezensenten in dieser Fassung der Brand von moskau, die Schlacht von Borodino und nicht zuletzt das erschütternde Sterben des Fürsten Andrej Bolkonski. Denn in der "Urfassung" überleben sowohl Andrej als auch Petja Rostow.
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