Marek Lawrynowicz

Der Teufel auf dem Kirchturm

Roman
Cover: Der Teufel auf dem Kirchturm
C.H. Beck Verlag, München 2000
ISBN 9783406465734
Gebunden, 208 Seiten, 18,41 EUR

Klappentext

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Zwischen Lemberg und Wilna, zwischen Polen und Litauen - mit einem kurzen Intermezzo in Deutschland - spielt diese Familiengeschichte. Es geht los mit der Jugendzeit der Großväter und ihren zahlreichen Kindern, deren Leben sich durch die Ereignisse der Zeit ebenso spektakulär wandelt wie der Charakter der Städte, in denen sie aufwachsen. Da ist Edward, ein tiefgläubiger Katholik, der einen Kirchenchor nach dem anderen gründet. Da ist Mietek, das schwarze Schaf unter den Brüdern: zwischen den Kriegen treibt seine kommunistische Gesinnung die ganze Familie zur Verzweiflung, doch unter der deutschen Besatzung schlägt er sich am geschicktesten durchs Leben. Der Erzähler nimmt, bevor er sich endlich entschließt, geboren zu werden, zunächst einmal die Ordnung dieser Welt und das Treiben der Menschen unter die Lupe: aus sicherer Perspektive im Bauch seiner Mutter.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.04.2001

In diesen Kreisen müsse man niemandem erklären, was Krieg, Vertreibung und Vernichtung bedeutet, schreibt Olga Mannheimer über "Der Teufel auf dem Kirchturm", und eben darum, dieses Wissen vom Autor beim Leser vorausgesetzt, gehe es nicht darum, den Schrecken auszumalen, sondern möglichst komisch von den seltsamen Wendungen des Schicksals und der Gewitztheit der Beteiligten zu berichten. Manche Kritiker hätten diesen drei Generationen umfassenden Familien- und Schelmenroman als Bagatellisierung der polnischen Nationalgeschichte empfunden - zu Unrecht, meint Mannheimer, die geschilderten Figuren setzten sich gegen ihre Verfolger zur Wehr, "indem sie sich weigern, sie ernst zu nehmen". Für Mannheimer steckt der Roman voller Dramatik und skurriler Einfälle. Sie sieht ihn der altpolnisch-litauschen Tradition stehend, der "gaweda": damals reisten die nicht so betuchten Adligen von Gut zu Gut, und ihr Lebensunterhalt hing davon ab, wie komisch sie erzählen konnten.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.03.2001

Nach Marta Kijowska ist da ein "teuflisch gutes Buch" unter der Feder von Marek Lawrynowicz entstanden. Die geistigen Väter des Autors tragen so klangvolle Namen wie Tschechow, Gogol, Bulgakow und den entscheidenden Impuls zum Buch habe Günter Grass gegeben. In zeitlicher und erzählstrategischer Nähe zu dessen "Blechtrommel" befindet sich nach Kijowska auch Lawrynowiczs Buch. Aus der Perspektive des zunächst noch Ungeborenen ergibt sich für die Rezensentin ein zum grotesken neigender Witz, dem es gelingt Nostalgie und Überhöhung polnischer Geschichte zwinkernd zu persiflieren. Selbst in der Beschreibung von Zeiten unmittelbarer Not durch Krieg und Verfolgung behalte der Autor seinen Witz und setze sich damit bewusst von einer gängigen, angeblich spezifisch polnischen Geschichtsbetrachtung ab, die außer widerstreitendem Gut und Böse nichts anerkennt. Diese Perspektive verleiht dem Buch offenbar einen amüsant-subtilen Charme, dem sich auch die Rezensentin nicht entziehen kann.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.01.2001

Insgesamt positiv, wenn auch mit einigen Einschränkungen, ist Hauke Hückstadts Eindruck von dieser polnischen Familiensaga. Einerseits sei der Roman durchaus amüsant zu lesen, andererseits komme er zu keinem Zeitpunkt so richtig in die Gänge. Das Erzähltempo beschreibt Hückstädt folgendermaßen: "dem Erzählten nachtrottend, ohne jemals ins Stolpern, aber auch ohne jemals ins Hasten zu kommen". An der Übersetzung liegt es aber nicht, meint Hückstadt. Das Buch ist für ihn ein weiterer "Versuch, europäische Ereignisgeschichte [mit] einer lebensbejahenden Habhaftigkeit aufzuschreiben". Nur gibt es für ihn einfach schon gelungenere Beispiele, z.B. von Kathrin Schmidt oder Jiri Kratochvil.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.10.2000

Jochen Jung hat sich gut amüsiert mit diesem "munteren Buch", sieht aber auch Schwachstellen, denn das Genre des "Schelmenromans", dem dieses Werk zuzuordnen ist, sei "heikel" und erfordere besonderes Können. Für den Geschmack des Rezensenten ist das Buch mitunter "etwas zu gern lustig", beispielsweise wenn der Schauplatz der Handlung das KZ darstellt. Doch lobt er, dass der Roman frei von "Sentimentalität" und dabei glänzend erzählt ist, und er schreibt einiges von der Wirkung dieses Buches auch der Übersetzerin zu, deren Sprache er als besonderes "Vergnügen" preist.