Michael Wildenhain

Russisch Brot

Roman
Cover: Russisch Brot
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2005
ISBN 9783608935912
Gebunden, 272 Seiten, 18,50 EUR

Klappentext

Die Ereignisse, die Michael Wildenhain erzählt, haben fast ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte als Zeithintergrund. Sie beginnen in den sechziger Jahren, als es Paternoster, Muckefuck und tragbare Plattenspieler mit drei Geschwindigkeiten gab. Sie führen uns durch die Jahre der getrennten und zerrissenen Familien, die Passierschein-Zeit und das Labyrinth der Ängste auf beiden deutschen Seiten. Joachim - der Held dieses Romans voller Alltag und Zeitgeschichte - ist am Ende immer noch nicht sicher, ob dieser Mann aus dem Osten sein richtiger Vater ist. Doch als er, auf dem Höhepunkt der Erzählung, bei der Grenzkontrolle im Bahnhof Friedrichstraße in der Nachbarkabine seiner Mutter sitzt, erfährt er ihre Wahrheit über die traumatischen Vorgänge bei Kriegsende.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.08.2005

Der Rezensent mit dem Kürzel "ncb" wähnt sich nach der Lektüre von Michael Wildenhains Roman in einem Bannstrahl von Erinnerungen. Aufgehängt ist die Geschichte im Berlin der frühen Mauerzeit, doch die Rückblenden reichen dank des Vaters des Protagonisten noch weiter zurück. Der Rezensent ist im Großen und Ganzen beeindruckt vom trennscharfen Blick des Erzählers, auch wenn der Autor sich an manchen Stellen "in allzu bedeutungsheischenden Ideen" verliert. Doch der Autor nach Meinung des Rezensenten findet immer wieder zurück. Vor allem vermag er zu zeigen, wie die Erinnerung durch den Faktor Zeit verändert wird.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.07.2005

Sehr eingenommen berichtet Stephan Reinhardt von seinen Lektüre-Erlebnissen. Er schätzt Michael Wildenhain als "ganz und gar unzynischen" Erzähler, dessen realistische Romane von eindringlichen und pointierten Bildern leben. "Russisch Brot" führt den Leser in das Berlin der sechziger Jahre, die Mauer hat die Stadt und die Familien zerrissen, Willy Brandt ist Regierender Bürgermeister, die alten Schrecken des Krieges sind noch nicht vergessen und die neuen Schrecken des DDR-Grenzregimes ziehen auf, im Radio laufen die "Schlager der Woche". Allein Wildenhains Entscheidung, einen früheren Liebhaber der Mutter mit ins Spiel zu bringen, hält Reinhardt für gänzlich überflüssig. Diesen Versuch, Spannung zu erzeugen, hätte der Roman nach Meinung des Rezensenten nicht gebraucht, der das Personal schon aufregend genug findet: den Lehrer mit der Armprothese, den Vater mit dem eiternden Granatsplitter und die Großmutter mit ihren Erinnerungen an die Vergewaltigungen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.03.2005

Einen gewissen Reiz kann Susanne Messmer Michael Wildenhains Roman "Russisch Brot" nicht absprechen. Immerhin mache die Geschichte des Berliner Jungen Joachim Rößler deutlich, "wie unendlich lange der Krieg noch in die Gegenwart ragte, und dass man sich die "bleierne" Atmosphäre der Sechziger Jahre "eher schmutzig grau als sepia" vorzustellen habe. Und auch wenn die Rezensentin den Autor verdächtigt, auf der Welle der Vergangenheitsbewältigung mitzuschwimmen, habe Wildenhain seinen jüngeren Mitschwimmern zumindest voraus, dass er aus eigener Erfahrung schöpfen kann und es in puncto Krieg mit der Eltern- und nicht der Großelterngeneration zu tun hat. Und doch sieht die Rezensentin Anlass zur Kritik: Zum einen sei Wildenhains Prosa "bar jeder Sprachmelodie" und ergehe sich in mancher Gestelztheit, zum anderen wirke die ganze Erzählkonstruktion "gekünstelt". Der "Milchglaseffekt" der kindlichen Perspektive erregt bei Messmer eine zunehmende Ungeduld, zumal es eigentlich nicht um Joachim und seinen Blickwinkel, sondern um die Geschichte der Mutter und ihrer geheimen Liebe zu ihrem Adoptivbruder, die nach dem Krieg an dem Bau der Mauer scheiterte sowie die "Tristesse der geteilten deutschen Nachkriegsgesellschaft" gehe.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.03.2005

Stefan Maus macht es spannend. Erst ganz am Ende seiner Rezension erfährt man, ob diese nun eher ein um Verständnis bemühter Verriss sein soll oder ein ultra-kritisches Lob. Michael Wildenhains Roman einer Westberliner Kindheit in den Sechzigern hat nach Darstellung des Rezensenten nämlich allerhand Ansehnliches und allerhand Abschreckendes zu bieten. Prinzipiell gelungen findet er etwa die Gesichte um den adoleszenten Joachim Rößler, der hinter das Geheimnis seiner sich äußerst rätselhaft gebenden Mutter kommen will, weil er darin auch das Geheimnis seiner eigenen Herkunft vermutet. In der Spurensuche Joachims, der die fragmentarische Biografie der Mutter rekonstruieren will, entsteht das "plastische Porträt eines beinahe schon bukolischen Berlin voller verborgener, magischer Orte", lobt der Rezensent. Mutter Rößlers Geschichte sei rührend und traurig, Wildenhains Roman eine gelungene, melancholische Beschwörung einer Jugendliebe. Leider gleiche das Buch bisweilen einem "Skulpturengarten voller Menschen in erstarrten Posen, die unbedingt rätselhaft sein sollen". Der Autor habe nämlich nicht "der Kraft seiner wirklich guten Geschichte und seinem großen Talent als detailgenauer und lyrischer Romancier" vertraut, sondern ein wenig zu tief in die "polternde Trickkiste des Vaudevilles gegriffen", um das Geheimnis noch geheimnisvoller erscheinen zu lassen. An Wildenhains "gewöhnungsbedürftige Syntax mit Einschüben an den unmöglichsten Stellen" mochte sich Maus auch nicht gewöhnen. Der Kritiker ärgert sich über diesen verstörenden Kontrast zwischen gezwungener Konstruktion und poetischer Realisierung. Am Ende zeigt er sich dann doch einigermaßen zufrieden: Die "originell und lebendig gezeichneten Figuren und die lyrisch heraufbeschworenen Kulissen" wiegen die "artifizielle Struktur" auf.
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