Peter Kurzeck

Als Gast

Roman
Cover: Als Gast
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main und Basel 2003
ISBN 9783878778257
Gebunden, 432 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Wie hoffen geht, weißt du! Als Gast zieht der heimatlose Erzähler vorerst vorübergehend in eine bis auf weiteres geliehene kleine Dachwohnung in der Eppsteiner Straße. Freundliche Eltern aus Carinas Kinderladen haben ihn dazu eingeladen. Frankfurt am Main im März 1984. Noch kein Frühling. Peter Kurzeck schreibt sein mit "Übers Eis" begonnenes Projekt fort: die minutiöse Beschreibung von Wirklichkeit setzt einen kunstvollen Strom von Erinnerungen, Wahrnehmungen und Assoziationen frei. Über die Autobiografie hinaus entsteht so eine poetische Chronik, eine Stadt- und Zeitgeschichte, ein Buch über Deutschland.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.08.2003

"Bescheiden", "selbstherrlich", "sentimentalisch", "zwanghaft", "auf der Stelle tretend" - Dorothea Dieckmann fasst ihre zwiespältigen Lektüreeindrücke in ein adjektivisches Wechselbad. Sie attestiert Kurzecks autobiografischer Prosa eine große Suggestivkraft, wobei das Wort autobiografisch auf eine falsche Fährte lenke, wie Dieckmann erklärt: Kurzeck ginge es nicht darum, lebensgeschichtliche Prozesse zu erforschen oder zu vertiefen, sondern in einer "manischen Vergewisserungsarbeit" seine Umgebung zu inventarisieren und die stetig vergehende Zeit zu fixieren - ein ebenso anmaßendes wie vergebliches Unternehmen. Der Rahmen seines Romans ist laut Dieckmann schnell skizziert: "Als Gast" führt in die 70er Jahre zurück, als der Erzähler in Frankfurt nach der Trennung von seiner Frau "Als Gast" bei Freunden wohnt, gelegentlich seine Tochter und Ex-Frau trifft und durch die Stadt streift. Kurzeck lässt seinen Blick frei schweifen, registriert, assoziert, ohne dem Fluss der Wahrnehmung irgendeinen Sinn unterzuschieben, erläutert Dieckmann: Komplexität erreichten Kurzecks Betrachtungen "nicht durch Erzählung, sondern durch Insistenz".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.06.2003

In einem stark sympathisierenden Text stellt Helmut Böttiger den Autor als eine "Ausnahmeerscheinung der deutschen Gegenwartsliteratur" dar, als einen, der in großer Beständigkeit am immer selben Buch fortschreibt. Auch "Als Gast" ist Teil eines größeren, auf vier Bände angelegten autobiografischen Projekts, erläutert Böttiger, "doch autobiografisch war schon immer alles, was Kurzeck geschrieben hat". Das Buch spielt in Kurzecks Heimatstadt Frankfurt, erläutert Böttiger weiter, und zwar in den Jahren 1984 und 1948 - die gleiche Kombination wie bei Orwell, aber ohne deren symbolische Schwere, so der Rezensent. Gefangen haben ihn vor allem geradezu surreal genaue Beschreibungen des Alltags aus den Jahren, in denen der Roman spielt: Das Westend des Jahres 1984 hat Böttiger wiedergefunden, aber auch das hessische Dorf, in das es Kurzeck 1948 als Flüchtlingskind verschlug. "Wie eine Fotografie" stehen Böttiger die Sonntagsspaziergänge der Hausfrauen oder die "Frau des Schuldieners, die den Häschen etwas zu fressen bringt", vor Augen. "Akute Zeitgenossenschaft" attestiert Böttiger dem Autor zum Schluss und eine Musikalität der Prosa in einem differenzierten Stimmengeflecht, die das Buch zum Geschenk mache.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.06.2003

Den Autor und den Erzähler auseinander zu halten, fällt schwer, gesteht Rezensent Thomas Fitzel. Denn alles wolle Protokoll sein, meint er, die Beschreibung der Tage im März 1984 nach der Trennung Peter Kurzecks/des Erzählers von seiner Frau: alles werde akribisch notiert, so genau, wie man es eigentlich gar nicht wissen wolle. Und doch sei zugleich die Vergegenwärtigung der Vergangenheit, die der Erzähler im Roman betreibe, wenn er beispielsweise aus seiner Kindheit berichtet, in höchstem Maße fiktiv, versucht Fitzel seinen irritierten Leseeindruck zu beschreiben. Mit seiner Ernsthaftigkeit und seinem Pathos geht ihm Kurzeck gelegentlich auf den Geist, gibt er zu. Auch stöhnt er gelegentlich über den völligen Verbausfall und das nicht einmal andeutungsweise vorhandene Handlungsgerüst.. Kurzum: Kurzeck. Lässt man sich jedoch auf das Buch, seine vorbeirauschenden Sätze ein, gibt man sich dem "betörenden Gesang" eines Orpheus hin, dann werde man reich belohnt, versichert Fitzel. Denn als Erzähler werde Kurzeck immer raffinierter und sei "Als Gast" weit über seinen vorherigen Roman herausgewachsen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.06.2003

Für Jörg Plath ist Peter Kurzecks Roman "Als Gast" ein zutiefst trauriges Buch. Zunächst einmal zeugt es für ihn von tiefster Depression, über die der Wortüberschwang, die Redseligkeit des Autors - erwähnt wird eine ehemalige Alkoholsucht, die der Wort- oder Schreibsucht Platz gemacht haben soll - nicht hinweg täuschen könne. Rhythmisch, absatzlos hetzen die Sätze voran, charakterisiert Plath Kurzecks Schreibweise; nur Wiederholungen und Leitmotive gäben dem Text eine lose Struktur. Für sich selbst verzichte der Erzähler meist auf Verben, stattdessen kämen den Dingen menschliche Eigenschaften und Tätigkeiten zu. Eine "Wirklichkeitsprosawelt" nennt der Rezensent die Kurzecksche Roman- und Dingwelt. Doch für Plath gleitet der Wortschwall zu oft an der Gegenwart ab, ihn deprimiert die "Selbstbezüglichkeit" des Autors, der daraus selten - und anders als in seinen vorhergehenden Büchern, versichert Plath - "den Überschwang gewinnt, der zu anderen Menschen und Welten übersetzen lässt". Aber es scheint ihm, als habe sich Kurzeck, der am heutigen Tage 60 Jahre alt wird, gerettet: in den nächsten Roman.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.06.2003

Tom Wolf möchte die Leser für ein ganz unscheinbar wirkendes Buch gewinnen, das den Autor als eigenen Biografen ausweist, der die Fähigkeit besitzt, das Unscheinbare, das Alltägliche, ja das Allergewöhnlichste in beeindruckende Worte zu fassen. Der Handlungsrahmen ist von Wolf schnell skizziert: es ist die Geschichte eines Schriftstellers, der frisch von seiner Frau getrennt lebt, in Frankfurt am Main zu Hause ist, täglich seine Tochter zum Kindergarten begleitet und "als Gast" bei Bekannten unterkommt. Der Erzähler wiederum schreibt ein Buch, resümiert Wolf, das den Spuren seiner Jugend in der Nachkriegszeit im Oberhessischen folgt, und so tun sich mehrere Erinnerungswelten auf, die den Erzähler auf die interessantesten Ab- und Umwege locken, frohlockt der Rezensent. Dann teilt er noch ein paar Seitenhiebe gegen den "Heidepoeten" Arno Schmidt und den "mythologischen Firlefanz" betreibenden James Joyce aus - all das brauche oder sei Kurzeck nicht, der einen "eigenen unverwechselbaren Ton" gefunden habe. Große Worte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.05.2003

Peter Kurzeck ist ein autobiografischer Autor, stellt ihn Jörg Magenau mit viel Sympathie vor, der jede Chronologie und Handlung verweigert. Der Autor selbst bezeichne sein Schreiben als "Galvanisier-Anstalt für Zeit, Erinnerungen und jede Art innerer Bilder"; für den Rezensenten hat dieser stete Erinnerungsstrom durchaus etwas Manisches. Alle Romane Kurzecks handeln von ihm selbst, und alle handeln im Grunde genommen immer von dem Gleichen, da das Prinzip der Wiederholung einem gesteigerten Erinnerungsvermögen dienlich ist, wie Magenau vermutet, zugleich aber auch der Vergänglichkeit, dem Fortschreiten von Zeit und Entwicklung trotzt. Insofern variiert "Als Gast", der sechste Roman Kurzecks, nur den vorherfolgenden "Übers Eis", behauptet der Rezensent; wieder wird von den 80er Jahren, Kurzecks Trennung von seiner Frau und den Besuchen bei der kleinen Tochter berichtet. Wer sich auf diesen Autor einlässt, der müsse Geduld mitbringen, meint Magenau, und werde dann mit "kostbaren Beobachtungen" belohnt. Das Eindrucksvollste an Kurzecks Prosa ist für ihn dessen "Gutmütigkeit", die Zärtlichkeit seines Blicks auf seine Umwelt. "Kurzeck-Leser sind rar", schließt Magenau, "aber sie sind bessere Menschen".
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