Richard Bausch

Die Kannibalen

Roman
Cover: Die Kannibalen
Luchterhand Literaturverlag, München 2004
ISBN 9783630871561
Gebunden, 841 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Walter Ahlers und Sabine Roth. Wie kommt eine dreißigjährige Frau aus dem viktorianischen England, die keine Ausbildung genossen und sich ihr Leben lang um die kranke Mutter gekümmert hat, auf die Idee, allein nach Westafrika zu reisen und dort die Riten wilder Kannibalenstämme im Landesinneren zu erforschen? Menschen, die selbst die kaltblütigsten europäischen Händler fürchteten? An ihrem 14. Geburtstag stößt Lily Austin in einem Buch über berühmte Forscher zum erstenmal auf den Namen Mary Kingsley. In derselben Nacht, während draußen ein Eissturm die Stadt Washington lahmlegt, geschieht etwas, das Lilys kindliches Vertrauen in die Welt zutiefst erschüttert. Immer wieder kehrt sie in den folgenden Jahren zu den Schriften und Gedanken dieser unerschrockenen Frau zurück, sie wird ihr zum Fixpunkt in einer unwägbaren Welt, und indem sie über sie schreibt, legt sie über ihr eigenes Leben Rechenschaft ab. Ein Leben, das ihr zusehends entgleitet - sie bricht das Studium ab, heiratet überstürzt ihre erste große Liebe und zieht zur Familie ihres Mannes in den Süden der USA, wo sich ein Drama von Tennessee Williams'schem Ausmaß anbahnt.

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

Es sind zwei Bücher in einem. Da ist die Geschichte der Mary Kingsley. Eine Frau Anfang dreißig, die, nachdem sie Mutter und Vater gepflegt hat, dem viktorianischen England entkommt, auf Expedition nach Westafrika geht und für die wenigen Jahre bis zu ihrem Tod zu einer berühmten Reiseschriftstellerin wird. Da ist auch die Geschichte von Lily Austin, die sich in Ende des 20. Jahrhunderts mit 14 in Mary Kingsley verguckt und Jahre später ein Buch über sie schreiben wird. Richard Bausch spiegelt die beiden Biografien ineinander. Die in Washington aufgewachsene Lily Austin folgt ihrer ersten Liebe, einem Kommilitonen, in den Süden der USA. Richard Bausch mag die junge Frau, er mag jeden seiner Charaktere. Er hüllt sie alle ein in dicke Wattepakete aus Zuneigung. Er hegt und pflegt auch noch die verborgensten ihrer Seelenfalten. Er beugt sich über sie, streichelt über ihre Scheitel und wünscht ihnen alles Gute. Das kostet Zeit. Bausch nimmt sie sich. Manchmal dauert in diesem Buch ein Schweigen so lange wie im richtigen Leben. Das ist eine große Kunst. Wer Richard Bauschs Erzählungen kennt, der liebt sie...
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.02.2005

Fast ohne Einschränkungen preist Thomas Leuchtenmüller "Die Kannibalen" von Richard Bausch als "virtuosen" und außerordentlich geglückten Roman. Er schreibt dem amerikanischen Autor die Fähigkeiten zu, sowohl spannend", genau und einfühlsam zu schreiben als seine Geschichte auch sehr "geschickt" zu konstruieren, wenn er in zwei Erzählsträngen seines 850 Seiten dicken Romans die Lebensgeschichten von Lily Austin und der viktorianischen Entdeckerin und Reiseschriftstellerin Mary Kingsley verknüpft. Als die "wesentliche Leistung" des Autors hebt Leuchtenmüller begeistert die Darstellung der "Parallelen" zwischen diesen beiden starken Frauen hervor und weist darauf hin, wie gekonnt Bausch im Lauf seiner schriftstellerischen Entwicklung seine Fähigkeit ausgebaut hat, die genaue "Beobachtung von Details" in eine mitreißende und spannende Erzählweise zu überführen. Dazu kombiniert der Autor geschickt verschiedene Genres, vom Tagebuch über Briefe bis zu Dramen, wodurch das Interesse der Leser ständig wach gehalten wird, so Leuchtenmüller überzeugt. Obwohl Bausch selbst autobiografische Spuren in seinen Romanen leugnet, vermeint der Rezensent dennoch, einiges aus dem eigenen Erleben des Autors im Roman ausmachen zu können. Doch gerade dadurch, gepaart mit einer "fabelhaften Intuition", verleiht Bausch der Geschichte "Tiefe", lobt Leuchtenmüller, der die wenigen nicht so gelungenen Aspekte des Romans entschuldbar findet. Dazu zählt der Rezensent die Inszenierung der politischen Entwicklung einer "schwarzen Randfigur" und die häufiger geäußerte "ironische" Vermutung der Protagonisten, sie seien wohl "Teil einer phantastischer Konstruktion" um dramatische Geschehnisse plausibler zu machen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.10.2004

"Der Prolog des rund 850 Seiten langen Romans 'Die Kannibalen' von Richard Bausch ist gelungen." Damit lässt Alexandra Kedves keine Zweifel, was sie vom Rest des Buches hält. Bausch, schreibt sie, ist ein "kunstreicher Kurzgeschichtenerzähler", nun habe ihn leider der Ehrgeiz dazu gebracht, zwei Geschichten miteinander zu verschränken, die nichts miteinander zu tun haben: die von Mary Kingsley, der wagemutigen viktorianischen Reiseschriftstellerin und Afrikaforscherin, und die von Lily Austin, "Einzelkind, Augapfel ihrer schauspielernden Eltern, erfolgreiche Studentin, aber verschlossen, verhärmt, freudlos". Lily ist Amerikanerin und hat Angst vor dem Leben - was, bitte schön, soll uns ihr Leben über das von Kingsley sagen und umgekehrt? Kedves kann es sich nicht erklären und wünschte sich, Bausch hätte zwei Novellen geschrieben - dann wäre auch sein Talent für "historische und gegenwärtige Kosmen en miniature" besser zur Geltung gekommen.
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