Roberto Bolano

Amuleto

Roman
Cover: Amuleto
Antje Kunstmann Verlag, München 2002
ISBN 9783888973079
Gebunden, 160 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext

Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg. Dies ist die Geschichte einer mutigen, durchgedrehten Frau. Aber auch die Geschichte jener lateinamerikanischen Studenten, die 1968 im Kugelhagel der Armee starben. Eine Frauentoilette in der Universität von Mexiko: Hier sitzt im September 1968, als die Soldaten einmarschieren und Studenten und Professoren abführen, Auxilio Lacouture, lang und dünn wie Don Quijote, ohne Arbeit, fast ohne Zähne, dafür aber mit einem großen Herzen, in dem ganz Lateinamerika und seine Dichter ihr Zuhause gefunden haben. Unentdeckt hält sie 2 Wochen lang aus, - heimgesucht von der Vision des großen Unrechts, dem sie zufällig entkommen ist und der Erinnerung an die vielen Lateinamerikaner, die wie sie in Mexiko gestrandet sind: Lilian Serpas, Geliebte des Che; oder Arturo Belano und seine Freunde - dichtende Grünschnäbel, politisch glühende Avantgardisten. Roberto Bolaño setzt mit "Amuleto" dem lateinamerikanischen Freiheitskampf ein Denkmal.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.03.2003

Sehr intensiv hat sich Rezensent Walter Haubrich mit Roberto Bolanos Roman "Amuleto" auseinandergesetzt. Sein abschließendes Urteil über das Buch ist zwiespältig: Während Haubrich den Beginn des Buches noch äußerst vielversprechend findet, hält er die letzten Kapitel für etwas einfallslos und zäh. Die Geschichte von Auxilio Lacouture, die während der Studentenproteste des Jahres 1968 zwei Wochen auf der Damentoilette der Universität von Mexiko verharrt und sich die Zeit mit der Erinnerung an existierende und erfundene lateinamerikanische Schriftsteller vertreibt, glänzt laut Haubrich durch "Einfallsreichtum". Besonders gefallen hat dem Rezensenten das "stete Nebeneinander von erfundenen und historischen Personen", das sich in Lacoutures Erinnerungen zu einer neuen Realität vermische. Manchmal rutscht Bolano "mit seinem unbedingten Drang zur Originalität allerdings auch ins Banale ab", kritisiert der Rezensent. Die Sprache sei in ihrer Knappheit der skurrilen Handlung angemessen, wage sich aber nicht über konventionelle Erzähltechniken hinaus. Darüber hinaus lobt Haubrich das ausführliche Glossar des Übersetzers, das das Verständnis der zahlreichen literarischen und zeitgeschichtlichen Anspielungen des Autors erleichtere.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.12.2002

Romane im strengen Sinne sind es nicht, die Bücher des Chilenen Roberto Bolano, meint die Rezensentin Katharina Döbler - und das gilt auch für das nun erschienene Werk "Amuleto". Vielmehr gehe es immer wieder, so Döbler, "um Erkundungen und Enthüllungen über die dunkleren Seiten der Literatur". Im Zentrum der Texte steht das doppelte Trauma von Bolanos Jugend; gleich zweimal, in Chile wie in Mexiko, erlebte er, wie auf brutale Weise Studentenproteste niedergeschlagen wurden. So auch in "Amuleto", dem Buch, das in Mexiko spielt und, wenn es auf narrative Weise von etwas handelt, dann davon, wie eine Frau namens Auxilio sich beim Angriff auf die Universität von Mexico City in der Frauentoilette einsperrt und dort zwei Wochen verharrt. Den Ort dieses Traumas wird sie, metaphorisch gesprochen, nicht mehr verlassen. Döbler findet das Buch "poetisch, skurril und von einem wunderbar schmuddeligen Pathos".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.11.2002

Wie ein Amulett funkele dieser Roman von Borgeskem Zuschnitt, schwärmt Volker Breidecker, für den damit ein neuer Ton in die hispanoamerikanische Literatur eingezogen ist. Ironisch und bitterernst zugleich, mit Sinn für eine poetische Sprache. Bolano kommt ursprünglich aus Chile, lebt aber seit 1973 im Exil, klärt uns Breidecker auf. Mit Auxilio Lacouture habe der Autor eine Protagonistin geschaffen, die würdig sei, die Nachfolge des Simplizissimus anzutreten, zwar ihrer Zähne, aber nicht ihrer Sprache beraubt. In "Amuleto" wird Geschichte mit großem G geschrieben, behauptet Breidecker, es gehe um die blutige Geschichte des Kontinents, die hier unter anderem an einem Massaker an protestierenden mexikanischen Studenten im Jahr 1968 festgemacht würde, im Grunde aber jede Erzählform verweigerte. Selbst der Klappentext täusche letztlich nur eine Handlung vor, meint Breidecker, keine Inhaltsangabe und keine Kritik könnten "der Dichte und den Fallstricken des hier Erzählten" genügen.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2002

"Das Versprechen im Klappentext", nämlich dass es hier um "Hergang und Folgen" des Massakers 1968 an der Universität von Mexiko gehe, schreibt Uwe Stolzmann, "wird nicht eingelöst". Das findet er, wie man vermuten muss, auch nicht weiter schlimm, denn eine "erzählte oder nacherzählte Story" würde er von diesem Autor auch nicht erwarten. Schlimmer ist ihm, dass der "Meister des Ironischen" in so vielen Passagen "von seiner Kunst" nichts spüren lässt. Zu sehr ist ihm die Protagonistin, eine während des Massakers in der Frauentoilette eingeschlossene Frau, in ihrem den Roman konstituierenden Monolog, darauf aus, "Wahres und Weises" zu verkünden, zu sehr "beginnt ihr Monolog zu mäandern", findet Stolzmann. "Neben vielen Glanzpunkten" hat der Rezensent auch viele "auffällige Schwachstellen" gefunden. Das Anliegen des Buches, das ein "Mahnmal" für die jungen ermordeten Poeten aus Bolanos Generation sein will, ist ihm natürlich sympathisch; aber dieser Roman ist mehr ein "Wegweiser in eine abgeschlossene Innenwelt", schreibt Stolzmann, als etwa "der große Roman über das große Geheimnis Lateinamerikas", das der Rezensent ausmacht als "den Hang der Latinos zu Gewalt und Unterwerfung".