Karin Harrasser

Surazo

Monika und Hans Ertl: Eine deutsche Geschichte in Bolivien
Cover: Surazo
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2022
ISBN 9783751803533
Gebunden, 270 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Mit Abbildungen. Am 12. Mai 1973 wird Monika Ertl in La Paz im Verlauf eines Feuergefechts von Sicherheitskräften auf der Straße erschossen. Sie ist zum Zeitpunkt ihres Todes Mitte dreißig und Mitglied der bolivianischen Guerilla ELN. Ihr Vater, Hans Ertl, erfährt vom Tod seiner Tochter auf seiner Rinderfarm La Dolorida im bolivianischen Regenwald. Dorthin war der Kameramann Leni Riefenstahls und Rommels bevorzugter Frontfotograf in den 1950er-Jahren ausgewandert. In seinem Umfeld: rechtsnationale Diktatoren und SS-Obersturmführer, deutsche Missionare und jüdische Emigranten, Indigene und scheinbare Zauberkünstler, denen es gelingt, bei voller Sicht unsichtbar zu bleiben. Entlang ihrer Spuren folgt diese Recherche den Linien transatlantischer Verlängerungen nationalsozialistischer Karrieren, spürt dem Engagement der nächsten Generation in den internationalen Netzwerken der Achtundsechziger nach und verzweigt sich dabei bis in die Tiroler Alpen und nach Linz. Surazo, der Name des kalten Tropenwindes, sollte der Titel von Hans Ertls letztem Film sein; Surazo, das ist stattdessen eine Tiefenbohrung, die wie nebenbei von Geschichtsschreibung in einer verstrickten Welt erzählt; Surazo, das ist die Suche nach Antworten auf Fragen, die wir uns nach wie vor stellen müssen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 21.04.2022

Rezensentin Katharina Teutsch sieht die Verfilmung schon vor sich von Karin Harrassers Buch über das Nachleben der Nazi-Elite in Südamerika. Die Kulturwissenschaftlerin war eigentlich nach  Bolivien gereist, um über die  Einflüsse der jesuitischen Mission zu forschen, weiß Teutsch. Bald stieß sie aber auf Hans Ertl, einen Eremiten auf einer selbst errichteten Rinderfarm und begann zu recherchieren: Ertl, einst unter den Nazis gefeierter Bergsteiger und Kameramann von Leni Riefenstahl, mit der er auch eine Affäre hatte, wanderte nach dem Krieg mit seiner Familie nach Bolivien aus. Harassers Studie handelt vor allem von Hans und Tochter Monika, die zu einer der führenden Figuren in Che Guevaras Nationaler Befreiungsarmee wurde und vermutlich den bolivianischen Geheimdienstchef in Hamburg erschoss, erklärt die Kritikerin. In weiteren Rollen treten der bolivianische Diktator Hugo Banzer oder Klaus Barbie auf. Mitgerissen von Harasser filmischer Erzählweise findet Teutsch in diesem Buch einen ganzen Schatz "politischer, psychologischer und kultureller Skurrilitäten".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.04.2022

Ähnlich "gegenläufig" wie der titelgebende Polarwind "Surazo", der im tropischen Bolivien plötzlich Raureif bringt, mutet Rezensent Lukas Böckmann die Lebensgeschichte von Hans und Monika Ertl an, der sich Karin Harrassers Studie widmet. So wanderte der höchst ambivalente Kameramann von Leni Riefenstahl nach dem Krieg mit seiner Familie nach Bolivien aus, und seine Tochter Monika, die den mit ihrem Vater befreundeten Kriegsverbrecher Klaus Barbie als Kind liebevoll "Don Klaus" nannte, schloss sich später der bolivianischen Guerilla an und verübte 1971 vermutlich das Attentat auf den bolivianischen Konsul Roberto Quintanilla, wie der Kritiker die "wahnwitzige" Geschichte resümiert. Wie die Kulturwissenschaftlerin von all dem erzählt, nicht chronologisch, sondern "kollagenhaft" und teilweise fantasievoll ergänzend, findet Böckmann nicht nur mutig, sondern auch ertragreich: auf für ihr Fach untypische Weise gelinge ihr so ein "vielschichtiges Bild zeitgeschichtlicher Verflechtungen", das außerdem einen wichtigen Blick auf Frauen im politischen Kontext der 68er werfe, lobt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.03.2022

Rezensent Alexander Cammann ist tief beeindruckt von diesem Buch der Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser, die nicht nur die unglaubliche Vater-Tochter-Geschichte von Monika und Hans Ertl erzählt, sondern auch ein Stück Heimatgeschichte (Kufstein!), bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte und bolivianische Geschichte. Hans Ertl war Bergsteiger, Filmer und Abenteurer und daneben mit vielen Nazigrößen auf Du und Du. Bei seinen Abenteuern in Bolivien begleitet ihn Tochter Monika, die auch "Onkel Klaus" kennenlernt, der sich später als Klaus Barbie entpuppt. Als ihr Vater sich auf eine Farm zurückzieht, referiert der faszinierte Kritiker, widmet sich Monika zunächst karitativen Projekten und wird schließlich Mitglied der Guerillagruppe ELN und als solches von bolivianischen Milizen erschossen. Cammann stehen immer wieder die Haare zu Berge angesichts dieser Geschichtslektion mit ihren vielen, teils unglaublichen Querverbindungen. Dass Harrasser außerdem "ausgekühlt" und collagenhaft erzählt, macht das Buch für ihn auch zu einer "überzeugenden literarischen Leistung". Unbedingt eine Leseempfehlung!

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.2022

Karin Harrassers Buch über den Kameramann Hans Ertl und seine Tochter Monika liefert Rezensent Wolfgang Krischke zwar kaum neue Fakten, dafür aber Inspiration zu weiterführenden Fragen zum Zusammenhang der europäischen und lateinamerikanischen Linken, den die Kulturwissenschaftlerin "wie unter einem Brennglas" anhand des Vater-Tochter-Duos untersuchen wolle. So würde Krischke gerne mehr darüber wissen, wie die Begegnungen nun wirklich aussahen zwischen bundesdeutschen 68er-Revolutionären und einer Monika Ertl, die in Bolivien in den Untergrund ging und als Hauptverdächtige für das Attentat auf den bolivianischen Generalkonsul Roberto Quintanilla 1971 gilt. Interessant findet er außerdem Harrassers Kritik an einer "männlich verzerrten" Perspektive, die Ertls politische Aktivitäten als weibliche Emotionalität abstempeln, sowie die Einsicht, dass die Idealisierung indigener Völker in Hans Ertls Filmen zu Zeiten von Hugo Banzer noch ins rechte Programm in Bolivien passte. Probleme hat der Kritiker aber mit Harrassers "betont subjektivem" Stil und der arg losen Struktur des Buchs, die ein Verständnis von Prozessen erschwere.
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