Stefan Wiese

Pogrome im Zarenreich

Dynamiken kollektiver Gewalt
Cover: Pogrome im Zarenreich
Hamburger Edition, Hamburg 2016
ISBN 9783868543049
Kartoniert, 336 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

"Ein Pogrom kann man nach Belieben machen - mit zehn Opfern oder mit zehntausend, ganz nach Wunsch." Fürst Sergej D. Urusov in der russischen Staatsduma, 1906 Russland war das Land der Pogrome, so sah es zumindest die europäische Öffentlichkeit um 1900. Deshalb bürgerte sich auch in den meisten Sprachen das russische Wort "Pogrom" für diese Form von meist antijüdischer Gewalt ein. Aber was machte die Pogrome aus? Wer waren die Akteure? Geschahen sie spontan oder organisiert? Und warum war ihre Zahl gerade im Russischen Reich so hoch? Antworten findet Stefan Wiese in den Handlungen aller Beteiligten, also der Täter, der Opfer, der Zuschauer und der Vertreter der Staatsmacht. Jede Gruppe verfügte über spezifische Ressourcen und verfolgte eigene Ziele, jede Gruppe beobachtete die übrigen und handelte dementsprechend. Aus dieser Dynamik ergaben sich Situationen, die Gewalt ermöglichten oder verhinderten. Laut Stefan Wiese waren bei Pogromen gegen Juden Strategien und Ressourcen der Akteure wichtiger als das Erbe des Antisemitismus, wie der Vergleich mit der Pogromgewalt gegen Armenier, Deutsche und die Intelligenzija bestätigt. Stefan Wiese zeigt, was Pogrome sind, wie sie beginnen, vollzogen werden und wie sie enden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.05.2017

Helmut Altrichter zeigt sich beeindruckt von Stefan Wieses Arbeit. Der Autor kann ihm ein anhand einiger Beispiele wie Elisavetgrad 1881 ein Verhaltensmuster des Pogroms entwerfen, seine Spontaneität und wie Zuschauer zu Komplizen der Täter wurden. Darüber hinaus zeigt Wiese laut Rezensent, dass die Obrigkeit nicht Urheber war, wenngleich sie bei der Verhinderung versagte. Von Elisavetgrad über die Cholera-Unruhen an der Wolga bis zu den Judenpogromen 1914/15 stellt der Autor Muster und Unterschiede heraus, erklärt Altrichter, und erweist, dass Gewalt gegen Juden im Russischen Bürgerkrieg keine Pogrome waren, sondern Massaker. Das Buch ist für Altrichter ein wichtiger Beitrag zur Klärung des Begriffs und zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.01.2017

Bert Hoppe weiß um den eingeschränkten Erkenntnisgewinn von Fallstudien. Dass Stefan Wiese sich dessen auch bewusst ist, möchte er meinen, stellt aber fest: Der Autor weicht der Frage aus, indem er sich auf die "Funktionsweise" von Progromen und auf die in den Taten sichtbaren Motive konzentriert. Was in Elisavetgrad 1881 und Zitomir 1905 vorgefallen ist, rekapituliert Wiese laut Rezensent allerdings anhand von reichhaltigem Material in dichter, detaillierter Darstellung. Sichtbar wird für Hoppe, dass weniger Rechtsradikale als gewohnheitsmäßig prügelnde der verarmten Schichten verantwortlich waren. Als störend empfand der Rezensent mitunter den Soziologenslang des Autors.
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