Stewart O'Nan

Das Glück der anderen

Roman
Cover: Das Glück der anderen
Rowohlt Verlag, Reinbek 2001
ISBN 9783498050283
Gebunden, 224 Seiten, 19,89 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. In einer amerikanischen Kleinstadt bricht eine Seuche aus. Jacob Hansen, Sheriff, Leichenbestatter und Pastor, muss hilflos zusehen, wie die Bewohner seine Warnungen vor der Krankheit in den Wind schlagen und alle Quarantänemaßnahmen missachten. Die Zahl der Toten wächst dramatisch, Panik bricht aus. Schnell verwandelt sich die friedliche Dorfidylle in ein düsteres Weltuntergangsszenario, in dem sich Jacob Hansen zwischen der Verantwortung für die Gemeinschaft und der Rettung seines privaten Glücks entscheiden muss.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.01.2002

Es soll Leser geben, behauptet Stefanie Holzer, denen die "schwarze Erbauungsprosa" des 1961 in Pittsburgh geborenen Flugzeugtechnikers und Schriftstellers Stewart O' Nan gefallen wird. In seinem neuen Roman "Das Glück der anderen", 1999 im Original erschienen, reihen sich die Katastrophen aneinander wie in der biblischen Geschichte über Hiob. Auch O' Nans Protagonist, berichtet die Rezensentin, ist ein gläubiger Mensch, arbeitet in der Stadt Friendship als Sheriff, Totengräber und Prediger und wird vom Schicksal hart geprüft. Er verliert Frau und Tochter und beinahe alle Einwohner der Stadt, Diphterie und Wald- und Buschbrände hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Eine Erklärung für diese Apokalypse hält, so Holzer, einzig der Erzähler bereit. Doch der irritiert den Leser mit seinem roboterhaften Auftreten in der "umständlichen" Du-Form und gibt ihm allenfalls "gedankenschwere Belanglosigkeiten" an die Hand. Ob ihr diese Erzählweise gefällt, lässt die Rezensentin offen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.11.2001

Die Geschichte über den Sheriff Hansen, der in einem kleinen amerikanischen Ort namens Friendship gleichzeitig die drei Funktionen des Gesetzeshüters, des Pfarrers und des Leichenbestatters erfüllen muss, dem Ausbruch einer Seuche hilflos gegenübersteht und Freunde und Familie verliert, hat Hanns-Josef Ortheil irritiert. Das liegt einmal daran, dass Stewart O'Nan den Roman in der 2. Person verfasst hat, der Leser also wie durch einen Film, erzählt aus der Perspektive des Darstellers, geführt wird, zum anderen aber auch an dem Verhältnis von perfekt arrangierter Dramaturgie, die den Rezensenten an den Western "High Noon" und an Albert Camus' "Die Pest" erinnern, und der Distanz, die die Erzählform zum Leser aufbaut. Die explosiven Teile des Romans kommen Ortheil zu wuchtig und überdreht vor, denn am Ende bleibe der Leser doch seltsam gleichgültig, auch wenn ihn die Ereignisse in Friendship und der tapfere Sheriff erstaunt und Respekt eingeflößt haben.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.10.2001

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Jürgen Brocan von Steward O'Nans Roman, in dem das häufig in der Literatur auftauchende Thema von moralischem Handeln in Zeiten der Krise mit einer "Parabel über Schuld und Schuldigkeit" verwoben werde. Der Schwerpunkt im Roman liege glücklicherweise nicht auf einer effekthascherischen Darstellung der Diphterie, die den Ort des Geschehens heimsucht, sondern auf einer nicht psychologisierenden, aber doch plastischen Untersuchung der Motivationen des Hauptcharakters, wobei auch Elemente des Schauerromans nicht fehlten. Durch eine ungewöhnliche Erzählperspektive, die die Gedankenwelt der Hauptperson mit einer gewissen Distanz verbinde, erhalte der Roman einen zusätzlichen Reiz. Trotz einer Kritik an der deutschen Übersetzung, die - obwohl häufig "frisch und stimmig" - dem knappen Stil des Originals nicht gerecht werde, befindet Brocan, dass dieser Roman "zum bleibenden Bücherbestand zählen" wird.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.10.2001

Ein Gang ins Antiquariat bescherte dem amerikanischen Autor einen so eindrucksvollen Fund, berichtet Gerrit Bartels, dass dieser beschloss aus Michael Lesys Dokumentation über den "Wisconsin Death Trip" eine fiktive Geschichte zu machen. Und so wie sich die Vorlage anhört, so sei auch das Buch: absolut gruselig, meint Bartels. Eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, angesiedelt im ländlichen Wisconsin, wo ein überaus frommer Mann zum Überträger einer Krankheit wird, die zuzüglich einer Feuersbrunst bald das ganze Dorf hinrafft. Das Buch liest sich wie ein Drehbuch für einen Horrorfilm, so der Rezensent, und die Anleihen und Referenzen O'Nans beim Film würden bald klar. Dennoch fragt sich Bartels, warum der Autor diese ohnehin blutrünstige und grausame Geschichte durch zusätzliche Splatterelemente noch "toppen" musste. Bartels scheint es, als hätte der Autor "dem Schrecken der Wirklichkeit allein nicht getraut". Auch damals, so Bartels in Bezugnahme auf die Ereignisse vom 11. September, sei Amerikas Vertrauen in Gottes Schutz bereits tief erschüttert worden.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.09.2001

Wie aus einem Prediger ein gebrochener Hiob, aus dem Sheriff ein Mörder, aus dem Totengräber ein Leichenschänder werde, könne man hier lesen, schreibt Lothar Müller und findet deshalb den Originaltitel des Buches ("A Prayer for the Dying") viel passender als den deutschen. Müller zeigt uns, wo die Wurzeln dieses Buches liegen: Nicht etwa bei Pestromanen europäischer Provenienz, sondern bei einer historischen Reportage über eine Diphterie-Epidemie in Wisconsin aus dem Jahr 1973 und in den Regionen der "gothic novels" eines Poe oder Hawthorne. Das ist ein verhaltenes Lob, das aber ausdrücklich wird, wenn Müller erklärt, wie der Autor geschickt an Untoten-Geschichten à la Hollywood vorbeischifft und in der "Eroberung des beiläufigen Grauens" vorankommt, indem er die ungewöhnliche Erzählperspektive der zweiten Person Singular wählt, den Lakonismus der Sprache kultiviert und auch sonst die Erzähltechniken der Short Story jenen des Breitwandformats vorzieht.
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