Thomas Meinecke

Hellblau

Roman
Cover: Hellblau
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001
ISBN 9783518412664
Gebunden, 340 Seiten, 20,35 EUR

Klappentext

Tillmann verbringt den Sommer in North Carolina. Ein Hurrikan zieht auf. Ein Leuchtturm wird verschoben. Auf dem Meeresboden ruhende Kriegsschiffe bilden die Kulisse für Tauchgänge. Ein hellblauer Badeanzug, ein westafrikanisches Gewand, in Form gebrachte Augenbrauen. Reagan besucht Bitburg. Jüdische Jungen, die den Blues singen, der Antisemitismus der Black-Power-Bewegung und die "Frauen fremder Völker". Abschiebungen von Asylbewerbern, Streit um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern, schwarze Aliens. Chicago, Detroit, Mannheim, Berlin, Krakau. Das ist der Kosmos des neuen Meinecke.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.10.2001

Ein Roman, der eher ein Traktat, eine Materialsammlung darstellt. Jedenfalls für Ina Hartwig, die der Nähe dieses Web-Romans zur Medientheorie im Prinzip aufgeschlossen gegenüber steht. Bei näherer Betrachtung finden sich jedoch Haken. Punkt eins: interessantes Konzept, meint Hartwig, hochoriginelles Material, aber erzählerisch nicht überzeugend. Punkt zwei: zu wenig Distanz gegenüber den aktuellen akademischen Strömungen, die einen Hauch amerikanischer Korrektheit verbreiten, welcher der Rezensentin missfällt. Individuelle Existenz wird ihrer Meinung nach durch zwanghafte Etikettierung wie weiß, lesbisch, schwarz, schwul, bi, usw. usf. erstickt. Punkt drei: die protokollhafte, zu ähnliche Sprache der e-mail-Briefpartner, eine gewisse Leblosigkeit dieser virtuellen Handlungs- und Kommunikationssituation. Gott sei Dank lässt der Autor viel Ironie walten, so dass Hartwig ihm vieles verzeihen kann. Außerdem preist sie Meinecke als Meister der "schrägen Details", die man sich doch gerne zu Gemüte führen würde.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.10.2001

Jochen Hörisch bezeichnet Thomas Meineckes Roman als "Un-Roman" - und entzieht ihm damit seine Daseinsberechtigung. Es geht dem Rezensenten hier allzu offensichtlich um alle möglichen Formen der Grenzüberschreitung, egal ob zwischen Geschlechtern, Medien, Ethnien oder Epochen. Die Protagonisten seien alle überaus belesen, wobei sich ihr Wissen ausschließlich auf das 20. Jahrhundert beschränkt, wie Hörisch kritisiert. Des weiteren bemängelt er die Unmengen von Auszügen aus der Fachliteratur zu den verschiedensten Themen, die seiner Meinung nach zwar für einige Dissertationen, keinesfalls aber für einen Roman ausreichen. Das vernichtende Fazit: "Bei seinem Versuch narrativer Entgrenzungen ist Thomas Meinecke ... an seine Grenzen gestoßen."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.10.2001

Reinhard Baumgart sieht sich in seiner Rezension mit einem Dilemma konfrontiert. Denn, meint er, um dem Buch gerecht zu werden, müsste man es entweder kopieren oder aber der völlig ungeordneten "Textmasse" eine Ordnung und Struktur aufzwingen, die das Buch gerade nicht bieten wolle. Zu seinem eigenen Erstaunen entwickelt der Roman für den Rezensent trotz der disparaten Textsorten, trotz des "wüsten Namedroppings und Shoptalks" einen gewissen "Sog". Doch letztlich bleibt es seiner Ansicht nach eine "Totgeburt", das "besessene Sammeln von Fakten, Thesen, Sounds" des Autors lässt für Baumgart keinerlei Lust am Erzählen erkennen, geschweige denn lebendigen Figuren entstehen. Zudem hat er das unangenehme Gefühl, Meinecke habe beim Schreiben ganz und gar nicht an "uns, die Leser gedacht".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.09.2001

Der Autor, erklärt Thomas Steinfeld und gibt sich damit als Kind der 50er zu erkennen, erwecke das Prinzip "Wellensalat" zu neuem Leben. Später Geborenen sei damit gesagt, Meinecke wolle die Einheit der Dinge, indem er sie alle gleichzeitig auftreten lasse, genau wie bei besagtem Spiel. Nur: wenn die "zehntausend Exzerpte," vor allem aus der populären Kultur, in den Text "einschießen", geschieht das auf Kosten der Handlung; und viel Neues, so Steinfeld, habe der Autor auch nicht zu erzählen. Bleibt für Steinfeld der Trost eines kulturwissenschaftlichen Sammelwerks, das mit "beachtlichem kompositorischen und dramaturgischen Talent" arrangiert ist. Der Autor als allmächtiger Discjockey. Aber auch das überrascht bei Meinecke eigentlich wenig.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.09.2001

Thomas Meineckes neuer Roman ist der Rezensentin Susanne Messmer eine lange Besprechung wert. Dabei ist die Story schnell erzählt: vier junge Leute, Heinrich und Cordula aus Berlin, Tillmann aus North Carolina und Yolanda aus Chicago stehen miteinander in Kontakt und sprechen über hybride Kulturen, Multikulturalismus, Antisemitismus, Rassismus, Heimatlosigkeit, Identität, Maskerade und Travestie, berichtet die Rezensentin. Das war's. Erzählen könne man über dieses Buch nicht mal eben so, denn hier gibt es weder einen Plot, noch einen Spannungsbogen, weder Psychologie noch Heldentum. "Hellblau" ist "postkoloniale Literatur", die auf eine Metaerzählung verzichtet, informiert Messmer. Damit hebe sich der Autor, seit 1980 Teil der Band Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) und langjähriger Moderator beim "Zündfunk", eindrucksvoll und "funkelnd" von gängiger deutscher Popliteratur ab. Messmer freut sich über den "Schick und die Begeisterung", mit denen Meinecke Brüche und Schnitte "so stimmig arrangiere, dass es trotzdem groovt - geht es nun um Techno oder die Entgrenzung des Subjekts oder die Pluralisierung und Entoriginalisierung der Welt. Und das mache der Autor nicht nur "elegant", sondern lade zudem seinen Leser zum Dialog ein über das, was er thematisiert.
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