Ulrike Siebauer

Leo Perutz. Ich kenne alles. Alles nur nicht mich.

Biografie
Cover: Leo Perutz. Ich kenne alles. Alles nur nicht mich.
Bleicher Verlag, Gerlingen 2000
ISBN 9783883506661
Gebunden, 398 Seiten, 27,61 EUR

Klappentext

»Die Brennessel ist meine liebste Blume. Sie duftet nicht, sie blüht nicht. Aber sie brennt.« Diese Worte charakterisieren Leo Perutz so, wie er zu Beginn des 20. Jahr-hunderts in den Kaffeehäusern Wiens bekannt war: als scharfzüngiges, sarkastisches, unabhängiges und von Lebensenergie strotzendes Original. Perutz wurde 1882, ein Jahr vor Kafka, als Sohn einer jüdischen Mittelstandsfamilie in Prag geboren und begann im Wien der Jahrhundertwende zu schreiben. In den 20er Jahren waren seine Bücher im deutschsprachigen Raum sehr erfolgreich. Durch die Annexion Österreichs musste der Autor 1938 ins Exil nach Palästina fliehen. Seine großen Romane gerieten in Vergessenheit. Resigniert starb Perutz 1957 bei einem Besuch in seiner alten, schmerzlich vermissten Heimat Österreich. Seine Bücher erlebten in den 80er Jahren eine Renaissance. Der ausgebildete Versicherungsmathematiker konstruierte seine Romanhandlungen stets mit bestechender Logik. Beinahe unbemerkt dringen Unerklärliches, Phantastisches, Übersinnliches ein, sodass die Romane in der Spannung zwischen Traum und Wirklichkeit, Wahrheit und Täuschung, Erinnern und Vergessen stehen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.12.2000

Nach dem Krieg war Leo Perutz vergessen, seine im Exil entstandenen Romane fanden gerade in Deutschland kaum einen Verleger - obwohl oder weil sie jüdisches Gettoleben schilderten. Stefan Berkholz bespricht den wohl berühmtesten Roman Perutz`, der nun wieder aufgelegt wird, sowie eine Biografie des nach Palästina emigrierten Dichters, der sein literarisches Comeback nicht mehr erleben konnte, wohl aber vorausgesehen hat.
1) Leo Perutz: "Unter der steinernen Brücke"
Auf den ersten Blick macht dieses Buch auf Berkholz nicht den Eindruck eines Romans, schon gar nicht eines historischen. Man habe das Gefühl einer Novellensammlung in Form alter Überlieferungen, nicht mal ein roter Faden gebe sich anfangs zu erkennen, nur der melancholische Grundton bleibe durchgängig. Jede der 15 Geschichten ist nach Berkholz ein in sich geschlossenes Kapitel, das von realen Personen wie dem Rabbi Löw und anderen verbürgten Figuren der mittelalterlichen Geschichte der Stadt Prag handelt. Eine Hommage des Schriftstellers an seine Heimatstadt, wie sie zur Entstehungszeit des Buches schon nicht mehr existiert hat. Zwar publizierte Perutz das erste Kapitel noch in den 20er Jahren in einer Literaturzeitschrift, die weiteren entstanden in den Jahren 1943 bis 1951 im palästinischen Exil, wie Berkholz berichtet. Er hat die Geschichten gern gelesen, die anschaulich und spannend erzählt seien, und deren innerer Zusammenhang sich dem gebannten Leser bei fortschreitender Lektüre allmählich enthülle.
2) Ulrike Siebauer: "Leo Perutz - `Ich kenne alles. Alles, nur nicht mich`"
Ein Urteil gibt Berkholz zu der Siebauerschen Biografie explizit nicht ab, zieht sie aber - wohl sachlich und anerkennend zur Kenntnis genommen - zur Besprechung des oben genannten Romans heran. Stichwortartig benennt er die Lebensstationen von Leo Perutz, der in den 20er Jahren ein Erfolgsautor war und Anerkennung bei Kisch, Ossietzky, Benjamin, Kracauer fand: 1882 in Prag geboren, Ende der 30er Jahre aus Wien nach Palästina emigriert. Siebauer zeichne ein langes und trauriges Ende des Autors nach, dessen Schaffens- und Lebenskraft seit dem Exil gebrochen war, behauptet Berkholz. Perutz war isoliert, fand sich in Palästina nicht zurecht und lehnte die Gründung des Staats Israel ab, weil ihm die Idee des Nationalstaats überhaupt zuwider war. "Die letzten 19 Jahre seines Lebens war er ein Überlebender", zitiert Berkholz Siebauer und weist darauf hin, dass sich der Autor in Briefen an verschiedene deutsche Verleger beinahe dafür rechtfertigen musste, dass er das Thema Antisemitismus - wenn auch historisch - behandelt habe. Verleger Zsolnay, berichtet Berkholz, sah "die deutsche Seele" für "Werke jüdischen Geistesguts" noch nicht wieder offen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.11.2000

Eine Biografie über Leo Perutz kann viele Themenfäden spinnen: Emigration (aus Wien nach Tel Aviv), Logik (Perutz war Versicherungsmathematiker), Phantasie (derer hatte er reichlich) etc. Der rote Faden in Siebauers Biografie ist Perutz` schwieriger Weg zur Selbsterkenntnis. Auch Rezensent Rüdiger Görner bezeichnet Perutz als einen jüdischen Schriftsteller auf dem Weg zu sich selbst, dessen wichtigstes Erkenntnismittel die Fantastik gewesen sei. Fantastik schließt bei Perutz allerdings stringente Logik nicht aus, im Gegenteil. Diesen Zusammenhang hätte sich Görner in dieser Biografie ausführlicher gewünscht. Ebenso fehlt es seiner Ansicht nach manchen Stellen an interpretierendem Tiefgang und sprachlichem Schliff. Insgesamt überwiege allerdings das Verdienst der Autorin, "wichtiges Material zum Verständnis von Perutz` Leben und Werk erschlossen und aufgearbeitet zu haben". Entsprechend lobt Görner Siebauers Quellenkenntnis und Blick aufs Wesentliche. Sein eigener Blick richtet sich vor allem auf "Zauber, Traum und Abgrund" - so der Titel seiner Rezension - und somit auf den Aspekt der Fantastik jenseits aller Quellenkenntnisse.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.07.2000

Leider erfährt man über dieses Buch kaum etwas bei Oliver Vogel, der in seiner als Besprechung dieser Biografie getarnten Hymne auf den aus Prag stammenden Schriftsteller Leo Perutz vor allem zu sagen versucht: lest Perutz! Nach dem, was Vogel aus den Romanen erzählt, z.B. von der schönen Esther und Rudolf II in der "Steinernen Brücke" (der korrekte Titel lautet allerdings: "Nachts unter der steinernen Brücke") will man ihm gerne glauben. Aber gerade darum wüsste man gern, wie sich Ulrike Siebauer ihrer Aufgabe entledigt hat, eine Biografie über den anderen großen Versicherungsangestellten aus Prag zu schreiben, der schnell berühmt und viel gelesen war, am Ende jedoch verarmt und unbekannt in Palästina starb. Immerhin heißt es am Ende der Besprechung, das Buch sei "angenehm unaufgeregt, unsentimental, informativ, zugleich von Idolatrie und unnötigem Ballast freigehalten". Und es ist nur nacherzählend und selten interpretativ, was Vogel spürbar erleichtert vermerkt. Den Band dann nur als willkommene "Werbung für den Autor" zu bezeichnen, ist aber dann doch ein bisschen dünne.
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