W. G. Sebald

Campo Santo

Cover: Campo Santo
Carl Hanser Verlag, München 2003
ISBN 9783446203563
Gebunden, 260 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Ausgewählt und herausgegeben von Sven Meyer. Das Vermächtnis eines großen Erzählers: Im Mittelpunkt stehen Teile von W. G. Sebalds unvollendetem Prosawerk, an dem er in den letzten Monaten seines Lebens arbeitete. Außerdem enthält der Band eine Zusammenstellung von Essays zur Literatur, die noch einmal Sebalds Vorlieben dokumentieren.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.12.2003

Michael Braun bekennt, er habe geglaubt, die literarischen Quellen und Vorbilder, aus denen sich W.G. Sebalds literarischer Kosmos gespeist hat, aus dessen früheren Essay-Bänden zu kennen. Irrtum, sagt er sich jetzt nach Lektüre des zunächst wie ein Sammelsurium wirkenden Nachlassbandes: wichtige Impulse habe Sebald auch aus zeitgenössischer Literatur und Kunst bezogen. In verschiedenen Essays hat sich Sebald mit Peter Weiss, Jean Amery und Wolfgang Hildesheimer auseinandergesetzt; bei allen dreien habe Sebald Kernelemente seiner negativen Kulturanthropologie gefunden, aufgenommen und zu einem eigenen literarischen Entwurf einer von Zerstörung und Vernichtung geprägten Welt verarbeitet. Vor allem das Motiv des Weltenbrands zieht sich durch Sebalds ganzes Werk, erläutert der Rezensent; bereits 1982 habe Sebald in einem Essay erste Gedanken zu einer literarischen Beschreibung völliger Zerstörung skizziert, die 15 Jahre später zu seinen heftig diskutierten Thesen über die Literatur und den Luftkrieg führen sollten. Nachzulesen in diesem Band, der weit mehr als eine zufällige Blütenlese darstellt, so Braun; neben den Essays enthält er auch vier in sich geschlossene Fragmente aus Sebalds Korsika-Projekt, darunter ein Besuch im devotionalienhaltigen Napoleon-Museum und auf dem "Campo Santo", das er jedoch zugunsten seines Romans "Austerlitz" abbrach.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.11.2003

Wehmut wie Skpesis vermeldet Andreas Isenschmidt aufgrund eines Bandes mit nachgelassenen literarischen und essayistischen Texten W.G. Sebalds. Die Wehmut erklärt sich mit Hinweis auf den Unfalltod des Autors im Jahr 2001; Skepsis wiederum findet Isenschmidt angebracht angesichts eines Sammelsuriums von Texten, die nur miteinander gemein haben, dass sie dem unveröffentlichten Nachlass entstammen. Die Skepsis weicht bei Isenschmidt schnell der Begeisterung, allein die vier Texte über Korsika zerstreuen auf der Stelle alle Bedenken, verkündet Isenschmidt. Ausgiebig widme sich Sebald dort u.a. den Totenritualen der Korsen, so Isenschmidt, womit sich der Kreis zum letzten Text des Buches schließt, der "Campo Santo" (italienisch für Friedhof) überschrieben ist. Noch spannender findet der Rezensent jedoch die literarischen Essays, die für ihn insofern einen Doppelcharakter besitzen, als dass Sebald darin nicht einfach andere Autoren rezipiert, sondern indirekt seine eigenen Bücher kommentiert. Eine Art "Gruppenbild mit Ahnen" sieht Isenschmidt hier versammelt, das der für Sebald dringlichen Frage nachgeht, welche Form das Schreiben nach dem Holocaust annehmen könne. Anders als viele Kollegen plädierte Sebald für "ein Experimentieren mit dem prosaischen Genre des Berichts", so Isenschmidt, das er in diesem Band noch einmal meisterlich vorgeführt findet.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.10.2003

Der Band hält nicht, was die Verlagswerbung verspricht, stellt Oliver Pfohlmann fest. Versprochen wurden Fragmente des großen Romans, an dem W.G. Sebald zum Zeitpunkt seines Todes vor anderthalb Jahren arbeitete, informiert Pfohlmann, stattdessen enthält der Band im ersten Teil die (bereits verstreut publizierten) Entwürfe zu einem Buch über Korsika, ein Projekt, das Sebald 1996 bereits aufgegeben habe. Dennoch sei ihre Publizierung begrüßenswert, meint der Rezensent, auch wenn sie sich nicht zu einem Ganzen fügen wollten. Diese Texte Sebalds lesen sich wie "letzte Grüße an seine Leser", schreibt Pfohlmann, zumal sie sich teilweise mit den Begräbnisritualen der Korsen befassen. Im zweiten Teil des Bandes kommt dann der Germanist Sebald mit verschiedenen Reden, Vorträgen, Rezensionen und Essays zur Sprache. Vor allem aber in seiner "empathischen" Auseinandersetzung mit Autoren wie Peter Handke, Alexander Kluge, Wolfgang Hildesheimer oder Jean Amery nähme die Sebaldsche "dokumentarische" Ästhetik Gestalt an, die von vornherein um die Themen Trauer, Erinnerung, Zerstörung kreiste, so Pfohlmann. Auch hier käme der "unverwechselbare Sebald-Sound" zum Klingen, der die Grenze zwischen Literatur und Wissenschaft so unnachahmlich aufhebe, was eben nicht nur für Sebalds Prosa, sondern auch für seine literaturwissenschaftlichen Texte gelte, schwärmt Pfohlmann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.10.2003

Burkhard Müller ist sehr beeindruckt von W. G. Sebalds nachgelassenen Schriften: Dies ist kein sprachlicher "Sperrmüll", wie es sonst so oft bei nachgelassenen Schriften der Fall sei, erklärt Müller. Er hat hier vielmehr kluge, aufschlussreiche Texte gefunden, die ihm sogar die Idee einer "wahren Traditionslinie der Einzelnen" - in etwa: Weiss, Sebald, Kluge und hoffentlich Folgende - eingegeben haben, gegen die "fortdauernde Dominanz der Gruppe 47". Der Grund dafür ist, dass sich Sebald in seinen Essays, die neben Reisestücken über Korsika und vor allem über den dortigen Totenkult dieses Buch füllen, sehr stark mit der deutschen Nachkriegsliteratur auseinandersetzt und den Mangel an wirklicher, ehrlicher Erinnerung beklagt. Diejenigen, die es doch getan haben (Sebalds Beispiele: Weiss, Améry, Hildesheimer), die "Entflohenen und irreparabel Beschädigten", mögen dabei auch von Ressentiments geprägt gewesen sein, doch seien ihre Werke für Sebald einem wirklichen Ringen mit der Vergangenheit entsprungen - im Gegensatz zu "einer leichtfertigen Verallgemeinerung, einer billigen Abfuhr der Katastrophe" deren er Böll und vor allem Grass bezichtige, dessen "Denkfaulheit" und so wohlfeile wie selbstgerechte "Gedenkerei" er ausführlich darlege. Müller stimmt ihm von Herzen zu und lobt den "gewissenhaften Ernst", die "knappe Schärfe" der Sebald'schen Gedanken.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2003

W. G. Sebalds Bücher sind von der Art, "die man immer wieder lesen kann, ja lesen muss", konstatiert Andrea Köhler, und "Campo Santo" sei da keine Ausnahme. Das aus dem Nachlass stammende Erzählfragment sowie die verstreuten Essays zur Literatur sind für die Rezensentin trotz der unterschiedlichen Textsorten einleuchtend editiert und ergeben ein eigenständiges Buch, das nicht nur ein Panorama der Themen, sondern darüber hinaus eine "Art negative Ästhetik" darstelle. Sebalds Anliegen, den Versäumnissen der deutschen Nachkriegsliteratur etwas entgegenzusetzen, sich angemessen mit der Zerstörung, Vernichtung und Seelenverheerung des Zweiten Weltkriegs auseinanderzusetzen, werde in diesem Band durchaus Rechnung getragen. Die immer präsente Melancholie des Autors werde dabei aufgewogen durch eine "bis in die letzte Kadenz stimmige, mäandernde Satzmelodie". Und mehr noch als Schwermut, schreibt Köhler, bleibt von der Prosa am Ende die Schönheit der Bilder, "die - wie von flämischen Malern gemalt - die Welt mit der Abendsonne in Brand stecken".