Intervention

Die große Kapitulation

Von Wolfram Schütte
17.01.2018. Grausam: Wie die SPD-Führung von der CSU/CDU vorgeführt wird und wie die Süddeutsche Zeitung dabei assistiert. Durchaus möglich, überdies, dass "die Basis" wieder einmal zähneknirschend Ja & Amen sagt.
Unter dem Titel "Merkel semper triumphans" hatte ich, noch während des Strohfeuers des Schulz-Hypes, in meinen "Petits riens" am 4.12.2016 mir zurechtgereimt, warum es 2017 erneut zur Großen Kapitulation der SPD vor CDU/CSU kommen würde. Zwar wurde damals der demokratie-schädliche Dauerzustand noch nicht auf das neckische GroKo verharmlost, aber es hatte auch noch niemand (ich eingeschlossen) angenommen, dass alle drei GroßKoalitionäre von den deutschen Wählern 2017 derart eindrucksvoll abgestraft würden, dass Martin Schulz mitsamt seinem Parteivorstand am Wahlabend kategorisch eine Fortsetzung der Großen Koalition ausschließen würde und dass CDU/CSU unter dem Beifall der "bürgerlichen" Presse nichts lieber tun würde, als endlich die "Jamaika-Koalition" mit den Realo-Grünen & Lindners stramm auf ihn eingeschworener FDP in Gang zu setzen.

Der Coup einer von A bis Z "bürgerlichen" Koalition, aber auch einer sich politisch regenerierenden SPD als Oppositionsführerin, die der AfD parlamentarisch den oppositionellen Schneid als links-liberaldemokratische Alternative abgekauft hätte, war zum Greifen nahe, hätte nicht Lindner im allerletzten Moment, aus welchen Gründen auch immer, den Coup platzen lassen.

Niemand sprach bei diesem überraschenden Knalleffekt zum Ultimo der "bürgerlichen" Parteien von deren unterlassener politischen "Verantwortung" für eine "stabile", heißt: durch Parteidisziplin mehrheitsfähige Regierung; jedoch sofort wurde die endlich von ihrer jahrzehntelangen Regierungs-Verkettung mit ihren direkten politischen Gegnern befreite SPD an die offensichtlich allein für sie vorgesehene sittliche Verpflichtung in Geiselhaft genommen, "aus staatspolitischer Verantwortung" als Reservearmee möglichst selbstlos das politische Versagen der Klientel-Parteien ungeschehen zu machen & für die Union als Nothelfer in einer "GroKo" bereit zu stehen.

Wobei noch diesmal hinzukam, dass der kleinste (regionalistische) Partner der fortgesetzten politischen Mesalliance, die bayrische CSU, unverhohlen öffentlich verlangte, dass ihre politischen Bundes-Partner auf den diesjährigen bayrischen Wahlkampf & die CSU-Angst, von einer bayrischen AfD um ihre quasi angestammte absolute Mehrheit gebracht zu werden, gefälligst Rücksicht nehmen & nach ihrer Pfeife tanzen: eine schamlose, erpresserische Frechheit. Weder hat auch nur ein Politiker auch nur einer Partei gegen diese ebenso kleinkarierte wie selbstsüchtige Instrumentalisierung Protest eingelegt, noch die "bürgerlichen" Medien.

Speziell deren eindeutig ideologischer Beitrag zur deutschen Zwangsverbindung einer "Großen Koalition" (der Wahlverlierer) ist mir noch nie so erkennbar geworden wie dieses Mal. Andere mögliche politische Optionen (wie eine von der SPD weitreichend geduldete Minderheitenregierung oder Neuwahlen) hat die "bürgerliche" Presse von allem Anfang an klein geschrieben.

Die "GroKo" wurde erst mit der politisch-parlamentarisch abgesicherten, "reibungslos-effektiven" Handlungsfähigkeit einer deutschen Regierung begründet. Dann wurde mit "Europa" & Macron, die auf eine stabile deutsche Regierung hoffen, gewissermaßen der Druck zur unumgänglichen GroKo erhöht - wenn nicht gar (& das ist die Spitzen-Einrede der Printmedien!) angeblich die Welt-Gemeinschaft auf die "deutsche Stabilität", namens Angela Merkel, sehnlichst warte.

Der erste Leitartikel der neuen Innenpolitikchefin der SZ, Ferdos Forudastan, ist dafür mustergültig. In ihm wird das für die SPD twiggymagere Ergebnis der "Sondierungsgespräche" als alternativlos anempfohlen. Zwar wurde das ominöse Wort vermieden, das Faktum aber präzise gemeint. "So kann es gehen": lautet der mehrdeutige Titel des verschwurbelten Leitartikels. Gemeint ist damit nicht etwa warnend "So kann es gehen - wenn man übern Tisch gezogen wird", sondern appellativ: "Weiter so! Das ist der richtige Weg, den kann man gemeinsam gehen!"

Nach einer Abbreviatur von Konjunktiv-Sätzen über die Läppisch- & Vagheiten des Papiers endet die SZ-Autorin mit Kopfzerbrechen über die "Führung der Sozialdemokraten", die "einige Energie darauf verwenden (wird) müssen, den Blick darauf zu lenken, dass die Sozialdemokraten in dem Kompromiss zwar Federn lassen mussten, dass sie aber auch eine Reihe ihrer Anliegen durchsetzen konnten". Dass CDU/CSU bei diesem so fälschlich genannten "Kompromiss" keine "Federn lassen mussten", sondern sich die Feder an den Hut stecken konnten, die zentrale SPD-"Anliegen" (Bürgerversicherung & Spitzensteuersatz) komplett ignoriert zu haben, wird von der SZ selbstverständlich gar nicht mehr erwähnt.

Dafür droht sie erpresserisch mit der Angst vor der AfD - diesem illegitimen Balg, dem die vergangene "GroKa" ja zur Geburt verholfen hat: "Schließlich muss die SPD-Spitze sehr klar machen, dass die Alternative zu einem weiteren Bündnis aus Union und SPD sehr wahrscheinlich Neuwahlen hieße und was das bedeuten würde: noch mehr verdrossene Bürger, die den Eindruck haben, dass die Politik ihren Aufgaben nicht gewachsen ist oder sich vor ihnen drückt; noch weniger Stimmen auch und gerade für die SPD, noch mehr Zulauf für die AfD. Ob die sozialdemokratische Basis das hinnehmen will, ob sie es hinnehmen kann oder soll? Nein, nein und noch mal nein."Die Kursivierungen in diesem Leitartikel der SZ habe ich vorgenommen, um den Ton dieser Droh-Musik zu verdeutlichen. Argumentativ ist die Autorin (wie schon die SPD-Verhandlungsführer) auf die auftrumpfende Rhetorik &die raffinierte Ideologie der Union hereingefallen, die die SPD öffentlich in die Ecke getrieben hatte, als sie "erst einmal" zum "ergebnisoffenen" gemeinsamen "Sondieren" verführt wurde.

Votierte nun "die Basis" gegen die wiederholte Aussicht, als politisch nützlicher Idiot der Union zu dienen, würden alle anderen Parteien gemeinsam mit der "bürgerlichen" Presse über die SPD-Führung herfallen, weil sie ihre Parteigenossen nicht unter Kontrolle hat & an der kurzen Leine führt. Dabei "wagt" die SPD immer noch mehr reale Demokratie (nach Willy Brandts Losung) als die Union jemals. Durchaus möglich, dass die " Basis" aus Angst vor der zu erwartenden bösen Nachrede & aus falsch verstandener Solidarität mit ihrer unfähig-phantasielosen Führung, die dann ja beschämt im Regen stehen würde, wieder einmal zähneknirschend Ja & Amen sagt.

So aber würde die einst stolze Sozialdemokratie - ihre ehrenwerte Geschichte & aufrechte politische Haltung - endgültig zugrunde gerichtet werden. Eine politische Zukunft & volksparteiliche Zustimmung hätte sie doch gehabt, wenn sie in der Opposition sowohl der Union endlich einmal wieder souverän zeigte, wo Bartel den Most holt, wie auch - als historisch-parlamentarisch erfahrene kritische Alternative - der AfD das Wasser derart abgegraben hätte, dass sich dort künftig nur noch der rechte Dreck sammelt.

Wolfram Schütte