Intervention

Parallele Irrtümer

Von Peter Mathews
18.05.2022. Der Ukraine-Krieg legte offen, dass die Mentalität des "Wandels durch Handel" und der "Friedlichen Koexistenz" an Komplizentum grenzen kann. Diese Mentalität dominiert aber mitnichten nur in der Außenpolitik, sie ist auch Leitlinie bei innenpolitischen Konflikten, etwa mit dem Politischen Islam.
Der große Irrtum sozialdemokratischer/merkelscher Politik gegenüber Russland bestand darin, dass man annahm, sich Wohlwollen erkaufen zu können. Verdrängt wurde dabei, dass "friedliche Koexistenz", dass das Handel treiben mit Anderen bei gleichzeitiger Nichteinmischung in schmutzige Angelegenheiten, letztlich nur aufgrund der militärischen Stärke Amerikas gelingen konnte. Die Formel "Wandel durch Handel" machte die Win-Win-Situation zum Schlüsselmodus dieser Politik. Dass dieses Modell nun krachend und grundsätzlich gescheitert ist, scheint längst nicht allen Beteiligten klar zu sein.

Teilhaben, partizipieren lassen, dem anderen etwas gönnen, "Jeder ist wie er ist und das ist gut so", andere Auffassungen nicht Frage zu stellen, und dafür die eigenen Werte nicht ganz so ernst zu nehmen, wenn es dem Geschäft dient, wird als Methode ja nicht nur in der Außenpolitik, vor allem gegenüber autoritären Systemen wie China, Iran oder eben Russland praktiziert, sondern ist auch Leitschnur in der Innenpolitik. Angela Merkel hat diese Methode perfektioniert und es als Bundeskanzlerin geschafft, die Diskurskultur, besser das konfrontative und öffentliche Ringen um Positionen, abzuschaffen. Sie regierte im Stil einer Populistin mit Meinungsumfragen, vermied Auseinandersetzungen , setzte auf Naivität und Simplifizierung von komplexen Zusammenhängen und bediente sich außerordentlicher (Fukushima) oder trivialer (Brigitte-Interview bei "Ehe für alle") Ereignisse um neue Positionen durchzusetzen. Streit vermied sie, Streithähne (in den eigenen Reihen) entsorgte sie. Die "Methode Merkel"  verklappte Themen, die ihr keinen Gewinn versprachen im Stillen Ozean der Nichtbefassung.

Herausragendes Beispiel dieser Politikmethode ist der Umgang sozialdemokratisch/merkelscher Politik mit dem politischen Islam und der Integrationspolitik.

Nachdem ihr in der ersten Wahlperiode 2005 bis 2009 klar wurde, dass trotz Islamkonferenz mit den muslimischen Verbänden weder Staat, noch Integration zu machen ist, verschwand dieses "Verliererthema" von ihrer Agenda und wurde den Sozialdemokraten, konkret in der Person der Staatsministerin für Integration , Aydan Özuguz und der von ihr finanzierten Migrationsforschung, überlassen. Merkel erklärte "Multikulti" für tot, ließ aber nichts anderes praktizieren.

Özuguz setzte fort, was die Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Olaf Scholz (SPD) mit dem Hamburger Staatsvertrag mit den Islamverbänden auf den Weg gebracht hatten, eine Kooperation mit dem politischen Islam auf Augenhöhe. Es wurde und wird so getan als würden die Moscheevereine die organisatorischen, theologischen Voraussetzungen einer kirchenähnlichen Institution erfüllen. Ihre Haltung zum demokratischen Staat wurde nicht hinterfragt. Dass es sich bei den Vertragspartnern um administrative Organisationen von Diktaturen wie dem iranischen Islamischen Zentrum Hamburg (IZH) oder der von der türkischen Regierung  angeleiteten und finanzierten DITIB oder sektenähnlichen Vereinen wie der Ahmadiyya (AMJ) handelt, wurde weitgehend ignoriert.

Der Gewinn für die politisch Verantwortlichen bestand offenbar allein darin, dass man "im Gespräch blieb" und keine eigene Haltung formulieren musste. Positive Ergebnisse dieser Zusammenarbeit in Sachen Integration tendieren gen Null. Bürgerschaftliches Engagement, Konfliktbearbeitung durch die Islamverbände blieben unter Null. Denn dass die Islamverbände oder die vielen vom Staat finanzierten Initiativen für mehr Frauenrechte durch Initiativen für  Selbstbestimmung, gegen Gewalt in der Familie, Zwangsheirat, Beschneidung von Mädchen, gegen das Kinderkopftuch, gegen Antisemitismus, Terrorprävention aufgefallen wären, lässt sich nicht behaupten. Noch haben sie sich in irgendeiner Weise bemüht, sich der Gesellschaft zu öffnen. Selbst zu Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban oder die Mullahs kein Wort, keine Solidarität mit den entrechteten Frauen.

Im Gegenteil wird  in letzter Zeit vor allem an Schulen von "konfrontativer Religionsbekundung" durch muslimische Schülerinnen und Schüler berichtet. Damit ist zum Beispiel gemeint, dass Schüler muslimischer Herkunft, die zum Beispiel nicht am Ramadan teilnehmen, von anderen Schülern unter Druck gesetzt werden. Die islamischen Vereine interessieren sich nicht für diese Themen, im Gegenteil, sie pflegen ihren Opferstatus und betreiben Ab- und Ausgrenzung. Selbst die Dokumentation solcher Vorfälle durch eine Dokumentationstelle des Vereins für  Demokratie und Vielfalt (Devi) wird von GEW und rot-grünen  Freunden als diskriminierend abgelehnt. Dass der Antisemitismus bei gläubigen Muslimen in Deutschland  prägend für ihr Weltbild ist, bestätigt gerade eine Untersuchung des Allensbach Instituts (mehr hier).

Was also tun? Nicht nur Sozialdemokraten sollten sich von der "kultivierten Naivität" (Herfried Münkler) frei machen und eingestehen, dass sie in Sachen politischer Islam falsch gelegen haben und ihre Politik revidieren müssen.

Wie wir uns in der Politik gegenüber Russland auf die eigenen demokratischen Werte besinnen und sie verteidigen müssen, sollten wir unsere Werteordnung, unsere Haltung zu Unverletzlichkeit der Person, Selbstbestimmung und die strikte Trennung von Religion und Politik zum Maßstab machen. Nur eine Gesellschaft, die sich selbst sicher ist wie sie leben will, kann integrieren. Es geht um die Einheit der demokratischen Gesellschaft, sie ist die Voraussetzung für die Vielfalt. Nicht umgekehrt.

Konkret bedeutet das, dass andere Formen der Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern muslimischen Glaubens gefunden werden müssen. Nur mit den Islamverbänden und nicht mit der Mehrheit der säkularen Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens zu sprechen, wäre es so, als würde man mit Gazprom über die Energiewende verhandeln.

Peter Mathews