Magazinrundschau - Archiv

The Virginia Quarterly Review

7 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 11.07.2017 - Virginia Quarterly Review

Nationaler Volkssport in Kasachstan ist Kokpar - ein Reiterspiel um einen Ziegenkadaver. Sehr traditionell, erklärt Will Boast in einer schönen Reportage, wie überhaupt Traditionen in Kasachstan - dazu gehört auch die Frage, wer Kasache ist - seit der Unabhängigkeit eine große Rolle spielen: "Doch nicht jeder ist ein leidenschaftlicher Anhänger des traditionellen Lebens. 'Die Russen haben uns Schulen, Elektrizität und Medizin gebracht', sagt der immer ungeduldiger werdende Dschingis. 'Meine Großmutter wurde in einer Jurte geboren! Sie verlor zehn Kinder in einer Jurte! Meine Frau und ich werden unsere Kinder in dem besten Apartment großziehen, das wir uns leisten können. Für Dschingis und andere sind gute Kaffeehäuser und das Hard Rock Cafe so zentral für die kasachische Identität wie acht erwachsene Männer, die einen Ziegenkadaver übers Feld schleudern."
Stichwörter: Kasachstan, Kaffeehaus

Magazinrundschau vom 18.10.2016 - Virginia Quarterly Review

Lauren Markham porträtiert den überaus beliebten 33-jährigen Bürgermeister von San Salvador, Nayib Bukele. Es ist ein sehr optimistisches Porträt eines überaus sympathischen jungen Mannes, der seine Stadt nicht mit Polizeigewalt, sondern mit Verführung von ihrem destruktiven Verhalten abbringen will: Auf den ersten Blick erscheinen  Bukeles Anstrengungen - ein Pop-Up-Museum in der Stadtmitte, die Freigabe aller Plätze in der Stadt für Skateboards, der Umzug des Zentralmarkts aus der Stadtmitte an den Rand, wo es bessere Unterkünfte geben soll, die Aufstellung von Straßenlaternen noch in der letzten Ecke der Stadt - wie "Liebhaberprojekte eines reichen Kindes, dessen innere Logik eine naive Weltsicht offenbart: Ändere die strukturellen Ungerechtigkeiten und Friede und Wohlstand werden folgen. Um das zu tun, braucht man nicht einfach viel Geld (Haiti, so Bukele, siecht immer noch in Armut dahin, trotz milliardenschwerer Hilfe). Wichtiger sei, was er sein 'verborgenes Projekt der Inspiration' nennt, das Ausmaß, in dem der Salvadorianer davon überzeugen kann, dass ihr Land das Potential zu echter Größe hat. In Bukeles Vorstellung verändern Projekte wie die Wiederbelebung der Stadtmitte nicht nur die physische Realität der Stadt, sondern auch die Beziehung der Bürger zu dem Ort, den sie zu Hause nennen - und, in der Weiterung, die Beziehung, die sie miteinander haben."

Magazinrundschau vom 20.10.2014 - Virginia Quarterly Review

Armut, Krieg und Leid machen die Menschen nicht barmherziger. Diese Erfahrung machen viele Helfer in Syrien, erzählt Joshua Hersh in einer großen, von Danijel Žeželj illustrierten Reportage. Oft sind die Helfer Teil des Problems, aber oft scheitern sie auch einfach an menschlichen Schwächen. Ein Helfer aus Syrien, Hersh nennt ihn Abu Gharbeh, erklärt das an einem Beispiel: Eine Hilfsorganisation lieferte 2013 ungeplant Schuhe in einem Flüchtlingslager aus: ""Sie lieferten drei- oder viertausend Paar Schuhe, brachten sie in ein Depot und verteilten sie von dort aus einfach aus dem Fenster heraus", erzählt er. "Es herrschte totales Chaos, es war keine besonders intelligente oder würdevolle Handhabung." Die Verteilungsaktion geriet schnell außer Kontrolle, und Abu Gharbeh beobachtete, wie die Kinder vorn Schuhe einsammelten, nach hinten liefen und sie dann an Leute verkauften, die sich nicht durchkämpfen konnten. Ein paar Tage später sah er, als er durch das Camp ging, wie Dutzende von Schuhen auf dem Markt verkauft wurden. "Es zeigt sehr gut", meint er, "wie das ganze System funktionierte oder eben nicht"."

Magazinrundschau vom 08.10.2013 - Virginia Quarterly Review

Jeff Sharlet hat sich mit Harry Belafonte getroffen und ein umfangreiches, von Anekdoten nur so gespicktes Porträt über den amerikanischen Sänger und Bürgerrechtler geschrieben, der in den 50ern, wie er stolz anmerkt, mehr Platten als Elvis verkauft hat. Dabei kommt auch die Sprache auf seine ersten Abendshows. "1959 trat Belafonte in Las Vegas für 50.000 Dollar auf. Jeden Abend blickt er in einen weißen Ozean. Schwarze hätten sich seine Show nicht einmal dann leisten können, wenn Vegas nicht segregiert gewesen wäre. Aber das Fernsehen? Die Schwarzen hatten Fernseher. Ein Abend im TV erreichte mehr Schwarze als ein Jahr voller Sonntagabendauftritte im Apollo. Das Fernsehen, dachte Belafonte, würde sein Schlaghammer sein. Er würde sich die Idiotenkiste zunutze machen, um die Ketten aufzubrechen. Der Sponsor Revlon bestellte fünf weitere Sendungen. Doch nach nur einer weiteren Show trat Revlon mit einem Problem an ihn heran. 'Die Weißen unten im Süden mögen das nicht. Sie schalten den Sender aus.' Es liege an den Sängern und Tänzern. Einige weiß, andere schwarz. Wähle, hieß es. Egal, wie - solange die Gruppe homogen war. Man rechnete damit, dass Belafonte wohl die Schwarzen vorzog, wollte aber seine Freiheit respektieren. ... 'Ich sagte, macht's gut und auf Nimmerwiedersehen,' Belafonte lacht, wenn er das sagt, mit dem großzügigen Grinsen eines Haifischs. 'Macht's gut' - die Worte, mit denen er sich befreite. 'Statt ein dankbarer Nigger zu sein, der angekrochen kommt und sagt, wie wunderbar, dass Sie mir diese Möglichkeit bieten, saß ich also da und sagte: Nö, macht's gut.'"

Hier nimmt Belafonte Abschied von "Darlin' Cora": Er hat seinen Boss niedergeschlagen, weil er nicht "Boy" gerufen werden, will und jetzt ist der Sheriff hinter ihm her.



Magazinrundschau vom 09.04.2013 - Virginia Quarterly Review

In einem sehr anregenden und ermunternden Essay denkt der Verleger Richard Nash, selbst angeregt durch Bücher von Elizabeth Eisenstein ("The Printing Press as an Agent of Change), J. B. Thompson ("The Merchants of Culture"), Ted Striphas ("The Late Age of Print") und Laura Miller ("Reluctant Capitalists"), über die Vergangenheit des Buchs nach, die auch einiges über seine Zukunft sagt: Zunächst einmal bedroht die Digitalisierung nicht die schöngeistige Literatur und Bücher sind auch keine "Gegen-Technologie", im Gegenteil: "Bücher sind die Apotheose von Technologie - wie das Rad oder der Stuhl. [...] Es ist entscheidend zu verstehen, dass Bücher nicht kreischend und um sich schlagend in jede neue Ära des Kapitalismus gezerrt wurden. Bücher sind nicht nur ein wesentlicher Bestandteil des Konsumkapitalismus, sie haben ihn buchstäblich gestartet. Sie sind Teil seines Treibstoffs. Das Wachstum der Ketten im Buchhandel eröffnete dem Leser des 20. Jahrunderts die Möglichkeit, die Versupermarktung des Buchladens zu beklagen und dabei schlichweg die Tatsache zu leugnen, wie Striphas in 'The Late Age of Print' mit einem Zitat von Rachel Bowlby herausstreicht, dass der Buchladen tatsächlich das Vorbild für den Supermarkt ist: 'In der Geschichte der Ladeneinrichtung waren seltsamerweise die Buchläden die Vorläufer der Supermärkte. Unter allen Ladentypen benutzten nur sie Regale, die nicht hinter der Kasse standen, wo die Ware vom Kunden durchstöbert werden konnte. Als Lebensmittel mit Markennamen und charakteristischer Verpackung noch gar nicht existierten oder sehr selten waren, hatten Bücher schon Cover, die gestaltet waren, um sowohl den Inhalt zu schützen als auch den Kunden anzulocken. Sie waren Markenartikel mit erkennbarem Autor und neuen Titeln.' Es gibt andere Beispiele für signifikante Erfindungen, die durch Verleger angetrieben wurden, der springende Punkt hier ist, dass Bücher nicht grummelnd in der Holzklasse des Fliegers in die Zukunft sitzen. Sie sind im Cockpit."
Stichwörter: Buchhandel, Digitalisierung

Magazinrundschau vom 25.09.2012 - Virginia Quarterly Review

Delphine Schrank schickt eine adrenalingeladene Reportage aus Burma über den Wahlkampf von Aung San Suu Kyi und ihren Mitstreitern, allen voran Nigel und Thar: "Nigel, dessen Stirnlocke jeder Pomade trotzt, war der erste Kandidat (nach Suu Kyi), den die Parteiältesten der NLD ausgewählt hatten, sie bei den Nachwahlen im April zu repräsentieren. Mit 34 Jahren war er der Zweitjüngste. Er war angesehen, leidenschaftlich und - wie Freunde, Kollegen und Familienmitglieder unisono versicherten - 'ehrlich'. Er war außerdem gutaussehend, mit dieser Feierlichkeit einer alten Seele in seinen kantigen Gesichtszügen und dem lässigen Selbstvertrauen seines Gangs. Ein kleiner Bauch vervollständigte die Ausstrahlung von Reife, die die NLD-Älteren beeindruckt hatte. Er quoll über seine Jeans und über seinen Longyi, den burmesischen Sarong, den er manchmal trug - öfter jedenfalls als Thar, dessen puckhafte Ruhelosigkeit und schulterlange Mähne, Cargohosen und T-Shirts mit Aufdrucken von Heavymetal-Bands ihn ganz klar - jedenfalls vom Blickwinkel der konservativen Mode in Burma gesehen - ihn in den Mantel eines reichen Kriminellen kleidete. Sie waren - als Paar - Erde und Luft, der eine stramm, systematisch und geradeheraus, der andere impulsiv, sprunghaft und kolibrigleich. Der eine arbeitete offen, seine eingeborene Armut als Authentizitätspass für die Studenten und jetzt die Wähler nutzend; der andere manövrierte hinter der Maske des heimlichen Lebens, in Internet-Cafes schlafend, mit merkurischer Leichtigkeit die Identitäten wechselnd. In Internet-Cafes schlafen war nicht unbedingt weniger luxuriös als Nigels Situation. Aber es war nicht legal."
Stichwörter: Wahlkampf, Aung San Suu Kyi, Burma

Magazinrundschau vom 10.03.2009 - Virginia Quarterly Review

Aus dem Archiv ausgegraben: Ein Artikel von John Hammond Moore über die bewegte Geschichte des Cocktails. Dieser, so zitiert Moore den Schriftsteller H. L. Mencken, sei für viele Nicht-Amerikaner "der größte Beitrag des 'American Way of Life' zum Heil der Menschheit". Zwar bleibt der wahre Ursprung des Wortes "Cocktail" unklar, seit rund zweihundert Jahren wird es jedoch in seiner heutigen Bedeutung verwendet, lernen wir: "Das Wort 'Cocktail' wurde ... in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überall in den Vereinigten Staaten benutzt, um eine Auswahl gemischter Getränke zu beschreiben. Eine der ersten gedruckten Erwähnungen erschien im Mai 1806 in einer Zeitung aus Hudson, New York. Dem Redakteur des Balance zufolge ist ein Cocktail eine stimulierende Flüssigkeit, bestehend aus Alkoholika jeglicher Art, zusammen mit Wasser, Zucker und Magenbitter. Dieser wurde gewöhnlich als 'bittered sling' bezeichnet und sei besonders zu empfehlen für jeden demokratischen Kandidaten in einem öffentlichen Amt, da jeder, der ein Glas davon hinunterbekomme, bereit sei, alles zu schlucken."
Stichwörter: Cocktails, Wasser