9punkt - Die Debattenrundschau

Keiner von ihnen hat je widersprochen

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.01.2024. Der 7. Oktober dominiert nach wie vor die Debatten. Und er stellt auch das Gedenken an den Holocaust in ein neues Licht, meinen Josef Schuster in der Jüdischen Allgemeinen und Rachel Salamander in ihrer Rede zum Moses-Mendelssohn-Preis. Auch die Nähe der auch von Deutschland finanzierten UNRWA zur Hamas ist weiter Debattenthema. Atlantic prangert die  totalitären Fantasien von Techno-Königen wie Mark Zuckerberg und Elon Musk an.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 31.01.2024 finden Sie hier

Politik

Indien gilt noch als Demokratie und wird vom Westen als Gegengewicht zu China umworben. Aber der indische Ministerpräsident Narendra Modi hat den Säkularismus seiner Vorgänger fallen lassen, wie die Einweihung eines gigantischen Tempels in Ayodhya auf dem Gelände einer ehemaligen Moschee (mehr in der Magazinrundschau) zeigt. "Modi kann sich derweil wie ein Guru feiern lassen", schreibt FAZ-Korrespondent Till Fähnders. "Er ist populär, und die Ideologie seiner Partei findet immer mehr Anhänger. Sie glauben, dass in Ayodhya einst ein Tempel den Ort markiert hat, an dem ihr Gott Ram geboren wurde. Dort stand von 1528 an eine Moschee. Als das Gebäude im Jahr 1992 illegal von einem Mob fanatischer Hindus abgerissen wurde, verurteilten viele Inder die Tat. Heute schaut das ganze Land zu, wie auf dem Grundstück ein gigantischer Hindu-Tempel eröffnet wird. Für die 200 Millionen indischen Muslime ist das eine Demütigung."

Die Israelis sind gespalten und "mit den Nerven am Ende", schreibt Steffi Hentschke auf Zeit Online. Umfragen zeigen, wie sehr die Meinungen auseinandergehen: "Nach der jüngsten Friedensindex-Umfrage der Universität Tel Aviv sind 43 Prozent der Befragten der Meinung, dass Israels Armee mehr Feuerkraft in Gaza einsetzen solle. Zudem unterstützen nur 27 Prozent der jüdischen Befragten aktuell eine Zweistaatenlösung, während innerhalb der arabischen Minderheit Israels zwei Drittel dafür sind." Was die Bevölkerung bräuchte, wäre eine politische Führung, die Perspektiven schafft: "Das Ende des Kriegs, ein Ende der Angst um die Geiseln und die Soldaten, hängt aber nicht von ihrer Meinung, sondern von den politischen Entscheidungen ab. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weigert sich weiterhin, seinem Land, den Verbündeten und den Menschen in Gaza einen Plan für die Zeit nach dem Krieg zu bieten. Während Verteidigungsminister Joaw Galant, Mitglied in Netanjahus Likud-Partei, öffentlich erklärt, keine jüdischen Siedlungen in Gaza zu wollen, fordern die rechtsextremen Koalitionspartner genau das."

Zehn Prozent der UNRWA-Mitarbeiter sollen Hamas-Mitglieder gewesen sein (unser Resümee). Die Enthüllungen schockieren - und dann doch wieder nicht, denn die Nähe der UN-Organisation zur Terrororganisation war längst bekannt, schreibt Michael Thaidigsmann in der Jüdischen Allgemeinen: "Die UNRWA betreibt in Gaza 288 Schulen, beschäftigt dort mehr als 9.000 Lehrer. Es liegt daher auf der Hand, dass zahlreiche der am Massaker Beteiligten einst dort unterrichtet wurden. Mehr als 76 Millionen Euro bekam die UNRWA 2023 allein aus Deutschland. An eine solche Organisation sollten aber keine Gelder fließen, deutsche schon gar nicht."

Der amerikanische Kongress hat immerhin eine Anhörung zum Thema gemacht, die hier dokumentiert ist - schade, dass der Bundestag diese Form öffentlicher Auseinandersetzung nicht übernimmt! Hier sprach auch Hillel Neuer von der NGO UN Watch, der die Sache mit Berichten über eine Telegram-Gruppe von Hamas-Lehrern ins Rollen gebracht hatte. 3.000 Lehrer: "Keiner von ihnen hat je widersprochen und gesagt: 'Das ist falsch'". Wer auch immer sich zu diesem Thema geäußert hat, hat Terroranschläge bejubelt. Das sind UN-Lehrer."
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Gesellschaft

Vor fünfzig Jahren wurde die japanische Botschaft in Kuwait von Mitgliedern der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" gestürmt, gleichzeitig nahmen Mitglieder der Japanischen Roten Armee auf einer Anlage des Shell-Konzerns auf einer Insel vor Singapur fünf Geiseln. Auch die Japanische Rote Armee hat Dutzende Israelis auf dem Gewissen, erinnert Arno Widmann in der FR. Und betont: "Es gab linken Antisemitismus." Er selbst engagierte sich Ende der sechziger Jahre, so schreibt er, bei der maoistischen Minipartei KPD/ML - bis er ein Schlüsselerlebnis hatte: "Zu dieser Episode gehört auch, dass die RAF im Jahr darauf gegründet wurde und dass die Frankfurter KPD/ML bald danach sich selbst zerschlug. Allerdings klingelte am 6. oder 7. September 1972 ein Genosse an meiner Wohnungstür und fragte, ob ich nicht jemanden für ein paar Tage unterbringen könnte. Ich wehrte erschrocken ab. Begründete die Ablehnung aber nicht politisch, sondern mit der Anwesenheit meiner Ehefrau und meines Kindes. Es ging offensichtlich darum, jemandem Unterschlupf zu gewähren, der - wie auch immer - verwickelt war in den Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft bei den Olympischen Spielen in München. Das Gespräch dauerte keine zwei Minuten. Aber mir wurde klar, wie falsch ich mich positioniert hatte. Wie sonst konnte er auf die Idee kommen, ausgerechnet bei mir zu klingeln."

Mit Schrecken und Traurigkeit kommen Haya Schulmann und Michael Waidner, beide Professoren für Sicherheit in der Informationstechnologie, in der FAZ auf die deutsche Gleichgültigkeit nach den Hamas-Pogromen vom 7. Oktober zurück. Anders als bei Muslimen, denen in den extremen Diskursen der AfD die Ausweisung droht, oder im Fall der Ukraine gab es gegenüber Israel und Juden in Deutschland keine breiteren Bekundungen von Solidarität, statt dessen Demonstrationen, "klein und leise pro Israel, groß und laut pro Palästina. Der Eindruck entstand, es gehe um einen Konflikt zwischen Israel und Palästina, nicht um den Kampf Israels gegen die Terrororganisation Hamas und ihre Verbündeten. Der einst breite Konsens darüber, was Terror ist, scheint verloren. Der Hamas ist es gelungen, die Realität zu verdrehen und aus legitimer Selbstverteidigung gegen den Hamas-Terror einen ungerechtfertigten Angriff auf die Bevölkerung Gazas zu machen."

Harvard-Präsidentin Claudine Gay ist zwar zurückgetreten (unsere Resümees). Aber Lawrence H. Summers, ehemaliger Präsident der Harvard-Universität, bekennt in einem längeren Twitter-Post, dass sein Vertrauen in die Leitung der Uni beschädigt bleibt. Was ihn stört, ist nicht, dass propalästinensischen Stimmen an der Uni viel Raum gegeben wird. "Ich stelle fest, dass der intellektuelle Erbe Edward Saids, Rashid Khalidi, der von vielen als antisemitisch angesehen wird, seit dem 7. Oktober zweimal eingeladen wurde, an der Universität zu sprechen. Natürlich sollte es jedem freistehen, zu sprechen oder Redner einzuladen. Ich stelle auch mit Enttäuschung, aber nicht wirklich mit Überraschung fest, dass Harvard meines Wissens nach keine Redner wie Dennis Ross oder Bret Stephens eingeladen hat, die pro-israelische Positionen vertreten." Und natürlich "gab es keine öffentliche Diskussion über die frühere Zusammenarbeit von Harvard mit von den Nazis kontrollierten deutschen Universitäten, über Quoten für Juden oder über die jüngste Diskriminierung israelischer Studenten."

Die Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Rachel Salamander hat die Moses-Mendelssohn-Medaille in München erhalten. In ihrer Rede zur Preisverleihung, die in der SZ abgedruckt ist, thematisiert sie die Folgen des 7. Oktober und die neuerlichen, beziehungsweise nie verschwundenen Gefahren, denen jüdisches Leben ausgesetzt ist: "Der 7. Oktober 2023 hat unmissverständlich klargemacht, dass es wieder keine jüdische Generation gibt ohne Verfolgung und Vernichtung." Vieles, was in der Vergangenheit überwunden schien, sei heute wieder an der Tagesordnung: "Ist heute die Rede von Juden, so meist nurmehr noch im Kontext von Antisemitismus, KZ oder Krieg. Vor nicht allzu langer Zeit sah das noch ganz anders aus. Da rühmte man ihren Geist, ihre Weltläufigkeit, ihren Witz und ihre so großartigen Beiträge zur deutschen Kultur. Heute scheiden sich im pluralen Kulturmilieu an ihnen die Geister. Juden und Israel sind zum Zankapfel einer sich moralisch überlegen fühlenden Avantgarde geworden. Einladungen, Ausladungen, Entzweiungen, Cancel Culture, ein Kampf der offenen Briefe mit garantierter Medienaufmerksamkeit. Auf der Strecke bleibt die zivilisierte gegenseitige Anerkennung. Das Gespräch der Verschiedenen, das mir am Herzen lag, ist Vergangenheit."
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Geschichte

Der 27. Januar war Holocaust-Gedenktag. Aber kann man ihn begehen, ohne den 7. Oktober zu erwähnen? Nein, meint Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in der Jüdischen Allgemeinen: "Der 7. Oktober hat auch in der Frage der Erinnerung und des Gedenkens an die Schoa eine Entwicklung katalysiert. Was bedeutet es 79 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, wenn junge Linke angesichts der Solidarisierung der deutschen Politik mit Israel 'Free Palestine from German Guilt' skandieren? Wenn an der Universität der Künste in Berlin Lynchmorde an Juden verherrlicht werden?" Auch Saba-Nur Cheema und Meron Mendel fragen in ihrer FAZ-Multikulti-Kolumne, wie man künftig des Holocaust gedenken soll - allerdings ohne auf den 7. Oktober zu sprechen zu kommen.
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Internet

Atlantic-Redakteurin Adrienne LaFrance veröffentlicht eine lange Diatribe gegen die totalitären Fantasien von Tech-Königen wie Mark Zuckerberg und Elon Musk und endet mit einem etwas kraftlosen Plädoyer für Humanität: "Technokraten haben Recht, wenn sie Technologie als Schlüssel zur Verbesserung der Welt sehen. Aber zuerst müssen wir die Welt so beschreiben, wie wir sie uns wünschen - die Probleme, die wir im öffentlichen Interesse und im Einklang mit den Werten und Rechten lösen wollen, die die Menschenwürde, Gleichheit, Freiheit, Privatsphäre, Gesundheit und Glück fördern. Und wir müssen darauf bestehen, dass Leiter von Institutionen, die uns repräsentieren - im Großen wie im Kleinen - Technologie so einsetzen, dass sie widerspiegelt, was für den Einzelnen und die Gesellschaft gut ist, und nicht nur das, was Technokraten bereichert."
Archiv: Internet
Stichwörter: Musk, Elon, Zuckerberg, Mark