Vor zwanzig Jahren begannen Amerikaner, Briten und ihre Alliierten den
Irakkrieg mit dem berüchtigten Shock-and-Awe-Angriff auf Bagdad. Der
Guardian umreißt recht bündig die verhängnisvolle Bilanz des Krieges: "Die Invasion machte die Hoffnungen auf eine Stabilisierung Afghanistans zunichte, indem sie Aufmerksamkeit, Ressourcen und Truppen abzog. Sie hat den Iran gestärkt und ermutigt. Sie bestärkte Nordkorea in seiner Überzeugung, dass der Erwerb und die Verteidigung von Massenvernichtungswaffen unerlässlich sind. Er beschleunigte das Ende des kurzen unipolaren Moments und untergrub die Visionen einer auf Regeln basierenden globalen Ordnung. Ein
militärisches Abenteuer, das von vielen Akteuren nach den Anschlägen vom 11. September als dreiste Stärkung der Vormachtstellung der USA gedacht war, hat das Land nur geschwächt und unterminiert - umso mehr nach den Schrecken von Abu Ghraib und der allgemeinen Brutalität gegen Zivilisten.
Russland und China haben dies zur Kenntnis genommen."
In der
SZ ergänzt Dunja Ramadan, dass die USA mit dem Krieg ihren moralischen Kredit in den Ländern des Globalen Süden verspielt haben: "Ihr Eindruck ist: Wenn es um westliche Interessen geht, ist
das Völkerrecht beliebig interpretierbar. Sie geben deshalb nicht viel darauf, wenn die USA plötzlich auf das Völkerrecht beharren. Natürlich taugt ein früherer Angriffskrieg nicht zur Rechtfertigung des eigenen Angriffskriegs. Doch für viele Menschen im Nahen und Mittleren Osten sind die Amerikaner nicht die Anführer der 'freien Welt', sondern
verhasste Besatzer, die ihr Land ins ewige Chaos gestürzt haben."
Guardian-Kolumnist Jonathan Freedland
zieht aus dem Desaster zwei Konsequenzen: "Ein ehemaliger hochrangiger Geheimdienstoffizier drückte es mir gegenüber diese Woche so aus: 'Wie abscheulich ein Regime auch sein mag, Chaos und Unordnung sind schlimmer'. Zumindest könne man ein abscheuliches Regime zur Rechenschaft ziehen und Maßnahmen dagegen ergreifen, erklärte der Ex-Spion und nannte das heutige Russland als Beispiel. Aber
Chaos ist einfach nur Chaos. Eine zweite Lektion: Wenn es um
klassifizierte Geheimdienstinformationen geht, sollte man skeptisch sein. Als Blair die Gründe für den Krieg darlegte, legte er großen Wert auf die Geheimdienstinformationen, die seiner Meinung nach 'keinen Zweifel' daran ließen, dass Saddam Massenvernichtungswaffen besaß. Das stellte sich bekanntlich als völlig falsch heraus: Es gab keine Massenvernichtungswaffen. Die Chilcot-Untersuchung ergab, dass der damalige Premierminister die Bedrohung absichtlich übertrieben hatte und 'eine Gewissheit behauptete, die nicht gerechtfertigt war'. Allein diese Tatsache reicht aus, um Blair in den Augen der Geschichte zu verdammen."
---
Bei Staatsbesuchen im Westen mögen Georgiens Politiker noch
proeuropäische Masken aufsetzen, aber in Tiflis selbst schlagen sie unverhohlen andere Töne an, schreibt der Literaturwissenschaftler
Zaal Andronikashvili in der
FAZ und feiert die Proteste gegen die Regierung des moskautreuen Oligarchen Bidsina Iwanischwili: "Auch die bisher als apolitisch geltende Generation Z nahm aktiv an den jüngsten Protesten teil. Für viele junge Menschen, die der georgische Ministerpräsident nur 'als Satanisten verkleidet' nennt, war das ihre erste Demonstration. Salome Kenchiaschwili etwa wurde als 'das Mädchen,
das mit dem Wasserstrahl tanzt' schlagartig berühmt, nachdem ein Video viral ging, auf dem zu sehen ist, wie sie minutenlang um den Strahl eines Wasserwerfers der Polizei mit der georgischen Fahne herumtanzt. Die Minderjährige wurde von der Polizei gewaltsam festgenommen, ließ sich aber nicht einschüchtern. Salome ist eine Sportlerin, ihr Geld verdient sie als Verkäuferin. Sie wird wiedererkannt und als Heldin gefeiert, doch als Heldin sieht sie sich nicht. Dem Sender Radio Free Europe Georgien sagte sie, dass sie protestieren ging, weil sie nicht eines Tages
in Russland aufwachen wollte."
In der
FR fragt sich die
Susan Neiman, Philosophin und Direktorin des Einstein Forums, warum Deutschland Benjamin Netanjahu nicht auf höfliche Art ausgeladen hat. Beschönigung können doch die Deutschen: "Deutsche Medien berichten zwar von 'regelmäßigen Großdemonstrationen'. Was nicht berichtet wird: dass tausende Demonstranten
die Wege zum Flughafen blockierten, als Netanyahu letzte Woche nach Italien zum Staatsbesuch bei Giorgia Meloni fliegen wollte. Netanjahu musste per Helikopter zum Flughafen gebracht werden. Allerdings wurde er mit einem Polizeihelikopter geflogen, statt wie üblich mit einem der Luftwaffe. Traute er der Luftwaffe nicht, da viele ihrer Piloten verkündet haben, gar nicht zu fliegen, falls das geplante Justizgesetz verabschiedet wird? Schon davor haben sich
die Piloten von El Al, der nationalen Fluggesellschaft, geweigert, ihren eigenen Premierminister zu fliegen; die Manager der Gesellschaft mussten selbst die Kontrolle übernehmen. Sieht das wie
eine normale Demonstration aus, egal welcher Größe?"
Im
FR-Interview mit Michael Hesse
glaubt die Islamwissenschaftlerin
Katajun Amirpur überhaupt nicht, dass der Aufstand der Iranerinnen schon vorbei sei. Und vor allem betont sie, dass sich jetzt auch die einfachen und konservativen Milieus den Protesten angeschlossen haben: "Es gibt Umfragen, die sogar vom Regime selbst in Auftrag gegeben wurden, die sagen, dass selbst in den religiösen Zentren Irans es ebenso viele Gegner wie Befürworter des Kopftuchs gibt. Das ist eine immens hohe Zahl für diese Zentren. Manch eine mag ja sagen, dass sie persönlich ein Kopftuch tragen würde, was aber falsch sei, ist
der staatliche Zwang im Iran, das Kopftuch zu tragen. Ich würde daher eher annehmen, dass hier 90 Prozent der Bevölkerung diese Einstellung haben. Davon abgesehen, geht es gar nicht um das Kopftuch als solches, es geht um das Kopftuch als
Symbol der islamischen Republik."