Amir Gutfreund

Unser Holocaust

Roman
Cover: Unser Holocaust
Berlin Verlag, Berlin 2003
ISBN 9783827004581
Gebunden, 633 Seiten, 28,90 EUR

Klappentext

Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Die Sommer der Kindheit von Der Ich-Erzähler Amir und seine Freundin Effi in einer Vorortsiedlung von Haifa sind bevölkert mit Holocaust-Überlebenden, die den unbefangenen Kinderblicken in hohem Maß sonderbar erscheinen. In den skurrilen Gestalten entdecken die beiden ein völlig anderes Gesicht des Holocaust als das, welches ihnen aus der öffentlichen Erinnerungskultur ihres Landes vertraut ist. Ein ungleich interessanteres, finden Amir und Effi, und widmen ihre Sommerferien fortan der Erforschung von "unserem Holocaust".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.05.2004

Anton Thuswaldner hat einiges an diesem Roman zu beanstanden, den er für "keine Meisterarbeit stilistischer Glanzpunkte" hält und der sich, zählt er weiter auf, "über Gebühr in die Fläche" ausbreitet und den man eher als Episodensammlung bezeichnen könnte. Außerdem konnte sich der Rezensent des Eindrucks nicht erwehren, der Autor hätte einige Thesen beweisen wollen. Das alles sind große Schwächen des Buches, die seltsamerweise, wundert sich Thuswaldner, seinem insgesamt positiven Lektüreerlebnis nichts anhaben konnten. Er habe das Buch extra ein paar Wochen liegen und wirken lassen, bekundet er, der positive Eindruck sei geblieben. Das läge daran, dass Amir Gutfreund, Jahrgang 1963, in Israel geboren und aufgewachsen, Figuren zeichnen könne. Der Protagonist des Romans ist im gleichen Jahr geboren wie sein Erfinder, das heißt auch er hat den Holocaust nur aus zweiter Hand erlebt und beschrieben bekommen und sammelt nun in Haifa die Lebensgeschichten der Menschen in seinem Stadtviertel. Wo der Historiker über Individuen hinwegsehen muss, da kann der Autor zuhören, sammeln, aufschreiben, seinen eigenen Bewusstwerdungsprozess, was das Besondere seiner Umgebung ausmacht, aufzeichnen, erläutert Thuswaldner. Gutfreund mache das "lange Nachbeben der Vergangenheit" deutlich, schreibt er , auch wenn der Autor leider hier und da das Interpretieren nicht lassen könne.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2003

Jeder Versuch, den Holocaust zu verstehen, schreibt Carsten Hueck, macht die Leerstelle, die der Versuch zu schließen sucht, umso größer - die, mit Agamben gesprochen, "Aporie von Auschwitz". Um ebenjene "Leerstelle menschlichen Begreifens" drehe sich der Roman von Amir Gutfreund, in dem ein Junge mit den unverständlichen Eigenarten alter Menschen, die den Holocaust überlebt haben, konfrontiert wird und sich daran macht, die dahinter stehende Geschichte zu ergründen. Die Suche nach einer Antwort begleitet sein Aufwachsen, "doch die Fülle der Informationen, der Akt der Entmystifizierung löst seine Beklemmung nicht. Im Gegenteil, je mehr er begreifen kann, desto fassungsloser wird er" - er scheitere, weil er scheitern müsse, auch wenn dieses Scheitern nie den Versuch delegitimiere. Ein "sperriger Roman", informiert Huech: weil er die Genres mischt, weil er die Handlung zu Episoden zersplittert, weil sein Tonfall "herausfordernd, sarkastisch, aggressiv ist", seine Sprache "salopp und eigenwillig". Doch das mache seine außergewöhnliche Qualität aus. Die Aporie ist unauflösbar, aber sie zumindest ist darstellbar - durch einen Erzähler, den man sich "zwar nicht als glücklichen, aber lachenden Menschen" vorstellen muss, erklärt der Rezensent.
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