Barbara Honigmann

Alles, alles Liebe

Roman
Cover: Alles, alles Liebe
Carl Hanser Verlag, München 2000
ISBN 9783446199101
Gebunden, 184 Seiten, 17,38 EUR

Klappentext

Anna, eine junge jüdische Frau in Ost-Berlin, verlässt Mitte der siebziger Jahre zum ersten Mal ihre Stadt und geht als Regisseurin an ein Provinztheater. Ihr bisheriges Leben, die Berliner Boheme, bleibt zurück und sie gerät in einen kleinen Kreis, der gerne etwas Besonderes wäre, doch unter seiner Abgeschlossenheit leidet. Einziges Band zwischen diesen beiden völlig unterschiedlichen Welten sind Annas Briefe.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.12.2000

Recht angetan scheint Yaak Karsunke von Barbara Honigmanns Roman über einige der Nischen, die die Kunstszene der DDR für sich gefunden hatte, die sich aber - so bilanziert der Rezensent - trotzdem "innerhalb eines Staatsgebäudes befinden, das sie bestenfalls duldet, aber immer dominiert". Protagonistin ist Anna Herzfeld, die kurzzeitig an einem Prenzlauer Provinztheater arbeitet und sich per Brief mit ihrer Ostberliner Künstlerfreunden - allesamt "jung, nicht etabliert" - austauscht. Über zwei Monate im Jahre 1975 erstreckt sich der Roman und in dieser Zeit geht für sie persönlich und beruflich einiges den Bach runter. Das "eher altmodische" Stilmittel des Briefwechsels findet der Rezensent passend, denn so "entstehen Bilder, deren Unschärfe nicht einem nostalgischen Weichzeichner, sondern der Vieldeutigkeit von Menschen und ihren Entwicklungen geschuldet ist". Außer an Komplexität gewinnt der Roman Karsunkes Ansicht nach durch dieses langsame Offenlegen an Spannung. Auch gefällt ihm, dass die Porträts der Akteure subtil und sensibel ausfallen und oberflächliche Stilisierungen, etwa zu "Helden des Widerstands" vermeiden.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.11.2000

Paul Michael Lützeler ist bei Barbara Honigmann auf tiefste DDR-Provinz gestoßen, wie sie für ihn bislang keiner so intensiv beschrieben hat: eng, spießig, erstickend. Honigmanns Briefroman setzt Mitte der 70er Jahre an, erzählt Lützeler, im kurzen "Sommer der Liebe" der nachzügelnden DDR-Hippiejugend, kurz bevor Wolf Biermann vor die Tür gesetzt wurde. Aber die Tage der Kommune sind gezählt, und auch die Monate am Provinztheater, wohin es die Protagonistin verschlägt. Anna korrespondiert, mit Freund und Freundinnen, die Perspektiven wechseln: Lützeler hält die "ambitiöse Erzählform" des Briefromans für ausgesprochen gelungen. Die Anordnung der Perspektiven seien spannend und stimmig, jeder Briefpartner verfüge über ein eigenes Profil und eine nuancierte Alltagssprache. Aber der Roman leiste mehr als einen beklemmenden Rückblick auf den DDR-Provinzmief, erklärt der Rezensent, da er die besondere Situation der jüdischen Künstler und Intellektuellen im DRR-Staat thematisiere. Die Protagonistin ist - wie die Autorin - ein Kind jüdischer Emigranten, die zur Gründer- und Funktionärselite der DDR gehören, ihre jüdische Herkunft aber vergessen haben. Ein Thema, das sich durch alle Bücher Honigmanns zieht, so Lützeler, die sich damit "wie Vor- und Nachgeschichten ihres neuen Romans" lesen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.10.2000

Michael Braun zeigt sich in seiner kurzen Rezension begeistert von diesem Roman, der von Liebe und Verrat an einem Provinztheater in der DDR der siebziger Jahre handelt, in dessen Zentrum eine jüdische Regisseurin steht. Wie schon in ihrem Debütroman gelingt es der Autorin, die "angestaubte Gattung" des Briefromans mit Leben zu füllen, schwärmt der Rezensent. Er preist die unübertroffene "Eindringlichkeit" und "Direktheit", mit der Honigmann ihre "spannende Geschichte" erzählt und meint, dass ihr mit diesem Buch etwas "Bedeutendes gelungen" ist.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.10.2000

Claus-Ulrich Bielefeld ist sehr angetan von Barbara Honigmanns jüngstem Roman, der Rückschau hält auf die "bleiernen Jahre" der DDR. Ein deprimierendes Thema, sagt der Rezensent, das sie mit überraschender Leichtigkeit stemmt. Anna, die Protagonistin des Romans, die Mitte der 70er Jahre in die Theaterprovinz geht, weist nicht von ungefähr Ähnlichkeiten mit dem Lebenslauf der Autorin auf. Bielefeld weist darauf hin, dass auch Barbara Honigmann als Kind jüdischer Emigranten bis 1984 in der DDR lebte. Honigmann beschreibe das Gefühl "dazugehören (zu wollen) und nicht dazu gehören (zu können)", Teil einer Bohème oder Elite zu sein, sozusagen im inneren Kreis der Macht zu sitzen und deren Protektion zu genießen - wobei von Genuss nicht wirklich die Rede sein kann. Der Kunstgriff des Briefromans erlaube es der Autorin, schnell die Perspektiven zu wechseln: "ein Kunststück der Desillusionierung", schreibt der Rezensent über das Buch, das der traurigen Thematik - DDR-Alltag und das Scheitern einer Liebesbeziehung - mit einer lebensfrohen und lebensklugen Ausstrahlung trotze.
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