Colson Whitehead

Die Nickel Boys

Roman
Cover: Die Nickel Boys
Carl Hanser Verlag, München 2019
ISBN 9783446262768
Gebunden, 224 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Florida, Anfang der sechziger Jahre. Der sechzehnjährige Elwood lebt mit seiner Großmutter im schwarzen Ghetto von Tallahassee und ist ein Bewunderer Martin Luther Kings. Als er einen Platz am College bekommt, scheint sein Traum von gesellschaftlicher Veränderung in Erfüllung zu gehen. Doch durch einen Zufall gerät er in ein gestohlenes Auto und wird ohne gerechtes Verfahren in die Besserungsanstalt Nickel Academy gesperrt. Dort werden die Jungen missbraucht, gepeinigt und ausgenutzt. Erneut bringt Whitehead den tief verwurzelten Rassismus und das nicht enden wollende Trauma der amerikanischen Geschichte zutage. Sein neuer Roman beruht auf einer wahren Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.07.2019

Johannes Franzen bedauert, dass die deutsche Übersetzung von Colson Whiteheads politischem Roman wie eine Doku über deutsche Jugenkriminalität in den achtziger Jahren klingt. Das hat der Text schon deshalb nicht verdient, findet er, weil Whitehead eine erstaunlich zeitgemäße Version engagierter Literatur vorlegt, indem er die echte Geschichte einer Besserungsanstalt in Florida zu einer Analyse des Rassismus in den USA um- beziehungsweise weiterschreibt. Wie er zu diesem Zweck den Stoff seine Figuren charakterisiert und Emotionen schürt, findet Franzen höchst gelungen: Gerade die Vereinfachung, meint Franzen, verleihe dem Roman seine emotionale Wucht. So entsteht laut Rezensent eine Geschichte der Gewalt, die durch verhaltene erlebte Rede jeder Sensationslust entgeht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.07.2019

Rezensentin Angela Schader verstört die Lektüre von Colson Whiteheads Roman nachhaltig. Vor allem aber stellt sie anerkennend fest, dass Whitehead den schwarzen Opfern der im Buch nach realem Vorbild porträtierten Besserungsanstalt eine Stimme verleiht. Wie der Autor seine Protagonisten darstellt, tugendhaft und clever, gefällt ihr, ebenso der Umstand, dass Whitehead den Horror der Quälereien und Misshandlungen in der Anstalt nicht unnötig ausschlachtet. Das Ende des Romans findet sie raffiniert, verrät es uns aber natürlich nicht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.06.2019

Rezensent Nicolas Freund hält Colson Whiteheads neuen Roman für die Fortsetzung von "Underground Railroad" in realistischerer Form und versetzt in die 1960er Jahre. Bedrohlich scheint ihm die Atmosphäre im Text um das Leid junger Schwarzer in einer  Erziehungsanstalt im Südwesten der USA gleichwohl. Dass der Autor bei seiner Beschreibung des rassistischen Anstaltsterrors kaum fiktionalisiert und auf Polizei- und Justizberichte zurückgreift, sorgt für Freund für den eigentlichen Horror, auch wenn sich der Roman laut Rezensent teilweise wie ein Abenteuerroman liest. Wie Whitehead sich hier ganz auf die Nachbildung einer trostlosen Wirklichkeit konzentriert und bewusst auf poetische Konstruktionen verzichtet, findet Freund stark.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 07.06.2019

Christoph Schröder scheint selbst erstaunt, dass Colson Whiteheads neuer Roman, der den historisch belegten Missbrauch in einem Erziehungsheim in Florida seit den 60er Jahren behandelt, bei all seiner deprimierenden Wirkung dennoch auf humanistische Ideale vertraut und dem Leser Trost bietet. Die Geschichte des aufgrund eines Justizirrtums in die Institution eingelieferten jungen schwarzen Protagonisten scheint Schröder zwar grausam, aber ebenso spannend. Das liegt laut Schröder an Whiteheads beträchtlichen literarischen Fähigkeiten, die sogar den Verzicht auf jeglichen Humor im Text verschmerzen lassen. Ein Buch von hohem dokumentarischen wie literarischem Wert, das ergreifend darstellt, nicht belehrt, meint Schröder.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.06.2019

Zunächst skizziert Rezensent Ulrich Greiner die Romanhandlung und widmet sich kurz der Aufdeckung ihrer historischen Grundlage, den Ereignissen in der skandalösen und mörderischen Jugendstrafanstalt, genannt Nickel, wo vor allem schwarze Jugendliche grausam misshandelt und teilweise ermordet wurden. Das Thema erweist sich für Greiner aber als etwas zu groß für den Roman: Die vielen auftauchenden Figuren werden ihm nicht "plastisch" genug und das Vorhaben, von dem Skandal der zerstörten Leben schwarzer Jugendlicher zur Zeit der Rassentrennung in den USA zu erzählen und dabei einen spannenden Roman zu schreiben, sei nicht so ganz aufgegangen. Immerhin bekommt der Autor, der als "kraftvolle Stimme der jüngeren afroamerikanischen Literatur" gilt, immer wieder knapp die Kurve zurück zur zentralen Geschichte - inmitten einer manchmal zu sehr ausufernden "Sozialreportage", so Greiner. Sehr gefallen hat dem von den beschriebenen Zuständen durchaus empörten Rezensenten der Ton des Autors, der von "leisem Sarkasmus geprägt" sei.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 03.06.2019

Rezensent Carsten Hueck liest mit Schaudern diesen Roman, in dem der amerikanische Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead ein wahres Horrorkabinett eröffnet: Whitehead erzählt in "Die Nickel Boys" von einer Besserungsanstalt im Florida der sechziger Jahre, in der vor allem schwarze Jungen einem sadistischen System der Misshandlung und des Missbrauchs ausgeliefert sind. Hueck liest mit Entsetzen von den Torturen, denen die Jungen durch ihre weißen Peiniger unterworfen sind, während am fernen Horizont schon die Bürgerrechtsbewegung und die Literatur von James Baldwin aufscheint. Aber weil Whitehead diese Leidensgeschichte so verhalten-poetisch erzählt, so bildhaft und rhythmisch, wiegt sich der Rezensent am Ende doch ganz gern in diesem expressiven Blues.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.06.2019

Sandra Kegel fasst das kalte Grauen beim Lesen von Colson Whiteheads neuem Roman. Dass der Autor diesmal ganz ohne Fantastik, nüchtern und nah an den drastischen Fakten entlang erzählt, macht die Sache für Kegel umso unerträglicher. Es geht um die Qualen junger Schwarzer in der als Besserungsanstalt getarnten Folteranstalt Nickel alias Dozier School in Florida, deren ganzes Ausmaß erst 2014 ans Licht kam, als man dort geheime Gräber entdeckte. Das Thema Missbrauch geht der Autor laut Kegel analytisch und schonungslos genau an, indem er das Zusammenwirken von Scham, Ohnmacht und Macht untersucht und zeigt, wie ein junges Leben systematisch vernichtet wird.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 01.06.2019

Wieland Freund bewundert Colson Whitehead für seine Fähigkeit, in seinen historischen Romanen die Fakten im Blick zu behalten. So auch diesmal, wenn Whitehead einen schwarzen Jungen von den Foltern in einer Besserungsanstalt in den Südstaaten erzählen lässt. Dass der Autor immer dann ausblendet, wenn es blutig wird, macht die Lektüre für Freund allerdings nicht leichter, er ahnt ja, welche Gewalt er dem Leser damit vorenthält, und der Kampf der Protagonisten um ihre Würde ist nicht weniger qualvoll und herzerweichend, findet Freund.