Colson Whitehead

John Henry Days

Roman
Cover: John Henry Days
Carl Hanser Verlag, München 2004
ISBN 9783446204690
Gebunden, 592 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. John Henry, der Mann mit dem Hammer in der Hand, ist der Held unzähliger Volkslieder und Balladen, ein amerikanischer Gründungsmythos und ein ehemaliger Sklave. Im Wettstreit mit einer Bohrmaschine siegt der schwarze Tunnelarbeiter, doch bezahlt er diesen Triumph mit dem Leben - das behauptet zumindest die Legende. Mehr als hundert Jahre später wird ihm zu Ehren in einem Kaff in West Virginia ein Festival gefeiert und eine neue Briefmarke ausgegeben. Eine ganze Horde von Journalisten trifft ein, und der einzige Schwarze unter ihnen, J. Sutter, ist dabei, einen neuen Rekord im Spesenrittertum aufzustellen. Ihm ist nicht wohl in dem einstigen Sklavenstaat, und auch deshalb freundet er sich an mit einer jungen New Yorkerin, die die John-Henry-Devotionalien ihres Vaters loswerden will. Dass der Mann, der ihm gleich am ersten Abend vor dem Tod rettet, nicht der harmlose Briefmarkensammler ist, als der er sich ausgibt - das wird J. vielleicht nie erfahren.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.04.2004

Ein bisschen mehr Subtilität hätte dem neuen Roman von Colson Whitehead gut getan, urteilt Konrad Heidkamp. Colson Whiteheads Roman über den legendären John Henry, der 1872 den Kampf gegen eine Dampfbohrmaschine mit dem Leben bezahlte, schildere den Weg eines Arbeiters zum Kultobjekt. Das Werk sei einem "enzyklopädischen" Romantypus zuzuordnen, der damit leben müsse, dass der Leser mitunter "durch manche Kapitel pflichtschuldigst" hindurchhusche. Lob verdient die "böse" Darstellung der Journalisten, die bei der Einführung der John-Henry-Gedenkmarke in den neunziger Jahren mehr essen als Fragen stellen, so Heidkamp. Denn hier zeichne der Autor das Bild eines Berufsstandes, der die "Kultur des Schreibens" in die Kunst, sich "stilvoll durchzufuttern" verwandelt habe. Doch obwohl der Leser immer wieder Sätze finde, die er "genüsslich im Kopf zergehen" lassen könne, nützten sich die "kleinen Gimmicks" und großen Gemeinheiten nach und nach ab. Ein bisschen leiser also, wünscht sich der Rezensent, und das nächste Mal auch "100 Seiten" weniger.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.03.2004

Die "John Henry Days" erinnerten 1996 in Talcott an den titelgebenden afroamerikanischen Gleisbauarbeiter, der um 1870 das Bohrduell mit einer Dampfmaschine gewann und danach erschöpft verstarb, berichtet Thomas Leuchtenmüller. Colson Whitehead verarbeitet diese Festivitäten zu einer Mediensatire um den Spesenritter J. Sutter, einem freiberuflichen Journalisten, der gute Chancen hat, einen "Rekord im Dauerschmarotzen" aufzustellen. Der Autor gewährt jedoch nicht nur "tiefe Einblicke" in das undurchsichtige Milieu der "Presserreisen- und Gratisbuffet"-Schnorrer, versichert der Rezensent. Anhand der Legenden um John Henry, häufiger Reminiszenzen an frühere literarische Varianten dieses Sujets und nicht zuletzt des subtilen Rassismus, dem der ebenfalls afroamerikanische Sutter innerhalb der Medienbranche ausgesetzt ist, arbeitet Whitehead auch ein Stück der "schmerzvollen Historie" der Schwarzen in Amerika auf, lobt Leuchtenmüller. Lediglich die zuweilen allzu sehr am Original "klebende" deutsche Übersetzung von Nikolaus Stingl gab unserem Rezensenten Anlass zur Kritik: sie mindere die Wirkung der durch "exakte Beobachtung gespeisten, enorm gelungenen Wortfolgen" Whiteheads.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.03.2004

Zum "Star" kürt Reinhard Helling den afroamerikanischen Schriftsteller Colson Whitehead, nachdem er dessen neuestes Buch gelesen hat. Die Geschichte John Henrys, der vom Sklaven zum Eisenbahnbauer und nach seinem Tod schließlich zur Legende wurde, sei erstmals auf spielerische und behutsame Weise aus ihrer Zeit "ins Heute getragen" worden. Technikgeschichte und Klassenkampf seien Whiteheads Themen, mit denen er "ausdrücklich auch ein weißes Publikum" ansprechen wolle, obwohl er selbst in der Tradition schwarzer Autoren wie Ralph Ellison oder James Baldwin verhaftet sei. Das Buch sei ein "eine kühne Komposition" eines "vollendeten Stimmenimitators", dem es nicht in erster Linie um Chronologie und korrekte Anschlüsse gehe, sondern darum, dass der Leser seine eigenen Schlüsse ziehe. Ein "vielstimmiger, ambitionierter Roman" sei das Werk, der "Realien" aufnehme, um sie kunstvoll und "poetisch" zu verdichten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.02.2004

Jochen Förster konstatiert als neue Modewelle in der Gegenwartsliteratur den "großen, jungen amerikanischen Wurf", der in einem Rundumschlag ganze Epochen in den Blick nimmt und umfassende Gegenwartsbestimmungen vornimmt. Auch der zweite Roman von Colson Whitehead schwimmt seiner Ansicht nach auf dieser Welle, und der Rezensent prognostiziert, dass der Autor zum "Franzen dieser Saison" aufsteigen wird. Das Buch, in dem die mythische Figur des im 19. Jahrhundert berühmt gewordenen Bohrhauers John Henry einem Journalisten unserer Zeit gegenübergestellt wird, der kein anderes Ziel hat, als den Rekord der ununterbrochenen PR-Veranstaltungsbesuche zu brechen, ist bereits mit Lob der Kritik überschüttet worden, weiß der Rezensent. Er meint, dass sich die "stärksten Passagen" dann auch in der Schilderungen der "PR-Termin-Journaille" finden lassen und zunächst ringt ihm dieser "wilde, bissige, eine Wucht von Roman" auch einigen Respekt ab. Doch fragt er sich im Lauf der Lektüre, ob es denn eigentlich ausreicht, die "Erkaltung der Welt im Pop" zu beschreiben. Im Grunde sei dieses Buch nämlich ein "Angeberroman", in dem Whitehead mit der Geste des alles durchschauenden Intellektuellen auf den Zustand der Welt verweist, für den "Handeln keine Option" ist. Eigentlich ist das "Interessanteste" an dieser Art Literatur ihre Aufnahme durch das Lesepublikum, meint Förster, denn er findet, dass das überschwängliche Lob durch die Kritik in "keinem Verhältnis" zur mangelnden "kompositorischen Strenge" des Romans steht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.02.2004

Begeistert zeigt sich Rezensent Andrian Kreye von Colson Whiteheads Roman über den schwarzen Volkshelden John Henry, der in den 1870er Jahren bei einem Tunneldurchstich gegen einen Dampfhammer angetreten war, und sein modernes Pedant, den schwarzen Journalisten und Spesenritter J. Sutter, dessen Ehrgeiz darin besteht, sich drei Monate nur von Gratisbüffets der Pressetermine zu ernähren. Die beiden Männern bilden für Kreye das "zentrale Bild" des Romans: Auf der einen Seite der Volksheld und sein vergebliches letztes Aufbäumen gegen die Industrialisierung, auf der anderen der Medienknecht mit seinem erbärmlichen Versuch einer wirklichen Leistung. Wie Kreye berichtet, kreisen um diese beiden Figuren Kompanien von Nebendarstellern auf Nebenschauplätzen. Die dabei entstehende Fragmentierung des Erzählbogens versteht Kreye als Programm - schließlich fügen sich kurze Szenen zu einem Gesamtbild, "das für eine schlichte lineare Struktur zu komplex wäre". An Don DeLillo erinnert Kreye das geradezu enzyklopädisches Wissen, das Whitehead in seinen Roman eingearbeitet und so fest in einem "nachvollziehbaren Realismus" verankert hat, dass man als Leser nicht einen Moment lang aus der Bahn der Gedanken des Autors getragen werde. Überhaupt haben Kreye das "gewaltige Vokabular" und das "breit gefächerte Instrumentarium der Formen und Stile" beeindruckt, das Whitehead "zum Vergnügen der Leser" voll ausschöpfe. Das Resümee des Rezensenten: "hochambitioniert" und "virtuos" in der Sprache.
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