Daniil Charms

Zirkus Sardam

Vorstellung in zwei Akten
Cover: Zirkus Sardam
Friedenauer Presse, Berlin 2002
ISBN 9783932109270
Broschiert, 36 Seiten, 9,50 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Peter Urban. Mit farbigen Illustrationen von Horst Hussel. Anfang des Jahres 1935 wurde in Leningrad unter Leitung von L.V. Saporina (1879-1967) ein Marionettentheater gegründet, das kaum ein Jahr existierte. Für dieses Theater schrieb Charms das "Zirkus"-Stück: Im ersten Teil stört in den Pausen ein Tolpatsch namens Vertunov den Ablauf, indem er den Zirkusdirektor mit der Bitte nervt, ebenfalls auftreten zu dürfen. Im zweiten Teil erscheint auf der Bühne ein großes Aquarium, Vertunov stößt - mit dem Holzkopf des Direktors - ein Loch hinein, der ganze Zirkus ist unter Wasser gesetzt. "Wir sind alle unter Wasser", verkündet der Direktor, doch ertrunken sind sie, wie er nach eingehender Prüfung feststellt, nicht: weil sie eben Holzköpfe sind ... Kein Wunder, das das Stück nach seiner Premiere im Oktober 1935 gleich wieder "vom Spielplan genommen" - verboten wurde.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.08.2003

Bei diesem Zirkusstück dürfte jedem Besucher das Lachen im Halse stecken geblieben sein, als es 1935 in Petersburg uraufgeführt wurde, vermutet Rezensentin Sibylle Cramer. Es handelt von einem adretten Herrn in mittleren Jahren, der in den Puppenzirkus Sardam gerät und dort erstaunlicherweise mühelos mit Haifischen und Schlangen mithalten kann. Am Ende begreift man, dass der Mann in ein Monster mutiert ist, das den Lesern von Daniil Charms als Genosse Vertunov bekannt sein dürfte. Das Stück wurde nach der Premiere natürlich prompt verboten, 1941 wurde Charms der "Verbreitung defätistischer Propaganda" angeklagt, für unzurechnungsfähig erklärt und in die Gefängnispsychiatrie gesteckt, wo er schließlich verhungerte. Für Cramer beweist dieses Lach- oder Gruselstück des in gefährliche Zeiten hineingeborenen Russen Charms, dass "der Abstand zwischen Lage und poetischer Lagebesprechung" nirgendwo größer ist als im Humor, wobei in Charms Fall "hinter dem Spielwerk des Komischen der stalinistische Terror" lauert.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.03.2003

Birgit Veit hebt zu einem großen Loblied auf die kleine Friedenauer Presse an, der es gelungen ist, mit der kontinuierlichen Übersetzung und Herausgabe von Charms' Schriften diesem lange vergessenen Autor im deutschen Sprachraum zu einer unbestrittenen Akzeptanz zu verhelfen. Die verlegerische Arbeit von Katharina Wagenbach und Peter Urban sei umso wichtiger, als der Haffmans Verlag, in dem ebenfalls Teile von Charms' Texten erschienen sind, pleite gegangen ist. Erstmals übersetzt wurde das Kinderstück "Zirkus Sardam" von Charms, das sich heute viel unbekümmerter liest als es damals gemeint gewesen sein muss, vermutet Veit. Lange Jahre habe sich Charms nur noch notdürftig mit Kinderliteratur über Wasser halten können, bis auch diese Einnahmequelle versiegte.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 06.02.2003

Ganz begeistert ist Martin Mosebach von diesem kleinen Stück, das der "geniale" Daniil Charms eigentlich für das Leningrader Marionettentheater geschrieben hat, und fragt sich, ob Charms als russischer Dichter unter Stalin wohl den "Ubu roi" von Alfred Jarry gekannt haben kann. Er fühlt sich zumindest durch all das Eindreschen, Kopf- und Beinabreißen, Mit-dem-Schädel-gegen-die-Wand-schlagen ein wenig an die blutrünstige Tradition erinnert, die von Charms Surrealisten-Kollegen als große künstlerische Offenbarung gefeiert wurde. Die Schläge in den Unterleib, die Charms Figuren vorzugsweise den Alten und Schwachen verpassen, staunt Mosebach, "richten sich mit der kleinen, aber geballten Kraft des Einzelgängers gegen das Gesamtgebäude gesellschaftlicher Konventionen". Und worin sich Charms von den Kollegen der surrealistischen Internationale natürlich unterscheidet, meint Mosebach, sei, dass er die Albträume als Wirklichkeit erlebte. König Ubu hatte den Untergrund der Fantasie verlassen und war zum realen Herrscher Russlands geworden.