Die Stalin-Note vom 10. März 1952

Neue Quellen und Analysen
Cover: Die Stalin-Note vom 10. März 1952
Oldenbourg Verlag, München 2002
ISBN 9783486645842
Broschiert, 212 Seiten, 24,80 EUR

Klappentext

Mit Beiträgen von Wolfried Loth, Hermann Graml und Gerhard Wettig. Herausgegeben von Jürgen Zarusky. Die Diskussion über die Absichten, die Stalin mit seiner Note an die Westmächte vom 10. März 1952 verfolgte, hält seit fünf Jahrzehnten an. War das Angebot für eine Wiedervereinigung Deutschlands als neutraler Staat ernstgemeint oder diente es nur Propagandazwecken? Die seit einiger Zeit begrenzt zugänglichen sowjetischen Archivquellen haben der wissenschaftlichen Diskussion über diese Fragen neue Perspektiven eröffnet. Erstmals werden hier Schlüsseldokumente zur Entstehung der Stalin-Note vom 10. März 1952 aus dem Archiv des russischen Außenministeriums in deutscher Übersetzung veröffentlicht und von drei prominenten Autoren, die sich schon seit Jahrzehnten durchaus kontrovers mit der Problematik auseinandersetzen, analysiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.04.2002

Die Antwort auf die spannende Frage, ob die Wiedervereinigung dank der sowjetischen Offerte bereits vor 50 Jahren möglich gewesen wäre, fand Rezensent Hans-Erich Volkmann in dem hier diskutierten neuen Archivmaterial aus Moskau leider nicht. Auch wenn der Historiker Wilfried Loth nun alle Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Note ausgeräumt sieht, sei das Material in dieser Hinsicht eine Enttäuschung, schreibt Volkmann. Die politischen Intentionen der Sowjets lägen weiter im Dunkeln, und der Rezensent schließt sich der Einschätzung Gerhard Wettigs an, der das Ganze eher für ein "Störfeuer" zu den Verhandlungen zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft hält. Volkmann vermutet in französischen Archiven aufschlussreicheres Material, da es bedeutsame Hinweise auf französische Interessen an einem geteilten Deutschland gab, so dass die womöglich keinesfalls ernsthafte Stalin-Note lediglich "Moskaus Werben um die Gunst Frankreichs" war.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.03.2002

Seit den fünfziger Jahren gab es Streit unter den Historikern, schreibt Christian Semler einführend, wie man die berühmte Deutschland-Note Stalins zu interpretieren habe: als ernstgemeintes Angebot für ein neutrales vereinigtes Deutschland oder als geschicktes Propagandamanöver? Inzwischen stehen die Sowjetarchive auch ausländischen Forschern zur Verfügung. Das Interessante an dem vorliegenden Buch ist Semler zufolge nun, dass die alten Streiter - die Historiker Wilfried Loth, Hermann Graml und Gerhard Wettig - nun unter Berücksichtigung der Akten aus dem sowjetischen Außenministerium sowie dem veröffentlichten Tagebuch von Wilhelm Pieck ihren Streit fortsetzen können. Und es wundert Semler nicht: Sie kommen keineswegs zu neuen Positionen. Dennoch lohnt sich für ihn die Lektüre, schon weil die Quellen mitveröffentlicht sind. Für Semler deutet jedenfalls nichts darauf hin, dass die Sowjets das ganze "mit dem Ziel des Scheiterns" unternommen hätten. Die Stalin-Note sei "ernst gemeint" gewesen, so Semler, aber ohne Verständnis für den westlichen Diskurs. Man habe sich in Moskau einfach nicht vorstellen können, dass die Deutschen ihren Nationalismus aufgeben und stattdessen auf die amerikanische Karte setzen würden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.03.2002

Vor fünfzig Jahren offerierte Stalin den Westmächten die nationale Einheit und Souveränität Deutschlands und forderte als Gegenleistung die "strikte Neutralität" des Landes, wie Rezensent Alexander Gallus berichtet. Die inzwischen möglich gewordene Einsicht in sowjetische Regierungsakten habe der immer wieder auflodernden Diskussion um die Ernsthaftigkeit dieser Note neue Nahrung gegeben. Ob es sich lediglich um den Versuch eines "propagandistisches Störfeuers" zwischen den Westdeutschen und ihren Besatzern oder doch um die erste Chance zur Wiedervereinigung gehandelt habe, interpretieren die Kontrahenten dieser Diskussion bei Zarusky naturgemäß völlig unterschiedlich, wie Gallus aufzeigt. Während der Essener Historiker Wilfried Loth die Entstehung der sowjetischen Noteninitiative rekonstruiert und überzeugt von Belegen für die Glaubhaftigkeit der Anstrengungen spricht (es "sei das Bemühen um die Annehmbarkeit bei den westlichen Mächten zu erkennen"), deutet Hermann Graml die Aussagen der Dokumente völlig anders, da genügend "Unannehmbares" darin enthalten sei, das entweder für die Westmächte oder die Westdeutschen nicht akzeptabel sein konnte (zum Beispiel die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze), schreibt Gallus. Graml weise zudem auf den ausgeprägten Herrschaftswillen der Sowjetunion Anfang der fünfziger Jahre hin und auch dem Rezensenten will Stalins Interesse an einem demokratischen Gesamtdeutschland "nicht recht einleuchten".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.03.2002

Um es gleich vorwegzunehmen: Rezensent Gregor Schöllgen hält wenig von der pünklich zum 50. Jahrestag von Stalins Entwurf über die Grundlagen eines Friedensvertrags wieder aufgeflammten und in Buchform erschienenen Debatte. Auch die erstmals in deutscher Sprache vorgelegten Dokumente aus dem Archiv des Außenministeriums der Russischen Föderation bringen keine neuen Erkenntnisse, im Gegenteil: Schöllgen ist überaus erstaunt, wie die drei maßgeblich in die Debatte involvierten Historiker nach Auswertung derselben Quellen zur Festigung des jeweils bereits vorher bestehenden Standpunkts gelangen. Auch wundert er sich, dass die Welt außerhalb Deutschlands nicht vorkomme und man zu der Ansicht gelangen könnte, den immer strategisch denkenden Diktator habe das Weltgeschehen nicht interessiert. Stalins ungewöhnliche Verengung der Perspektive sei zumindest erklärungsbedürftig, findet der Rezensent und stellt in unverhohlener Ironie in den Raum, dass diese Frage vielleicht erst der nächsten Diskussionsrunde vorbehalten sei.