Frank Bösch

Deals mit Diktaturen

Eine andere Geschichte der Bundesrepublik
Cover: Deals mit Diktaturen
C.H. Beck Verlag, München 2024
ISBN 9783406813399
Gebunden, 622 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Der Umgang mit Diktatoren hat die bundesdeutsche Demokratie von Anfang an herausgefordert. Frank Bösch zeigt auf der Grundlage umfassender Archivrecherchen, welche Interessen dabei aufeinandertrafen und was in den Hinterzimmern besprochen und angebahnt wurde. Mit den Regierungen wandelte sich der Austausch mit Autokratien in Südamerika, Ostasien oder im Ostblock. Durch gesellschaftlichen Protest gewannen Werte und Sanktionen allmählich an Bedeutung. Doch der wirtschaftsorientierte Pragmatismus blieb, wie Frank Bösch zeigt, das vorherrschende Muster, das die Geschichte der Bundesrepublik zutiefst prägte.Dezember 1964: Der kongolesische Ministerpräsident Tschombé wird feierlich in Berlin empfangen. Demonstranten stürmen über die Absperrungen. Den "Mörder von Lumumba" trifft eine Tomate "voll in die Fresse", wie Rudi Dutschke mit Genugtuung notiert. Für Dutschke war dies der "Beginn unserer Kultur-Revolution". Nachdem in den fünfziger Jahren die "Kaiser" aus Iran und Äthiopien bejubelt worden waren, führten in den Sechzigern Proteste von oppositionellen Migranten, antikolonialen Gruppen oder auch von Amnesty International zu einer stärker wertebasierten Diplomatie mit Diktatoren: Handel ja, aber bitte auch Freilassung einzelner Oppositioneller. Frank Bösch zeigt in seinem glänzend geschriebenen Buch, wie sich in den Jahrzehnten nach dem Nationalsozialismus im Umgang mit Diktaturen wirtschaftliche, politische und zivilgesellschaftliche Interessen zu einem Schlingerkurs verschränkten, dessen Widersprüche und Folgen uns bis heute beschäftigen. "Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang." Franz Josef Strauß nach dem Putsch Pinochets 1973 Eine der brisantesten Fragen der Gegenwart: der Umgang mit Diktaturen wie China oder Iran Bisher unbekanntes Material u.a. aus dem Bundesarchiv, den Archiven von BND und Amnesty International.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.02.2024

Ein wichtiges Buch mit ein paar Schönheitsfehlern ist Frank Böschs Studie über das Verhältnis der deutschen Politik seit Gründung der Bundesrepublik zu diversen Unrechtsregimes für Rezensent Rainer Stephan. Wenig überraschend, aber in der geballten Faktendichte lesenswert, findet Stephan die Chronik des Appeasements gegenüber diktatorischen Regimes wie der Sowjetunion und China - stets im Namen von Wirtschaftsinteressen und unter Ignorierung von Menschenrechtsfragen. Schwieriger wird es laut Rezensent, wenn Bösch neben der Kontinuität der wirtschaftsfreundlichen Machtpolitik auch den Wertewandel hin zu mehr Problembewusstsein in der Öffentlichkeit darstellen will. Auf harte Empirie kann er sich bei Letzterem zumeist nicht stützen, was in einem Ungleichgewicht resultiert, so Stephan. Auch die Verwendung des Begriffs "Deal" für ganz unterschiedliche Umgänge mit diktatorischen Regimes stifte eher Verwirrung.  Zudem hätte der das Buch gleichwohl mit Interesse lesende Rezensent gern mehr über die Rolle des Bundestages erfahren, der seiner Meinung nach bei Bösch noch zu gut wegkommt.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 16.02.2024

Rezensent Peter Carstens liest die Studie des Zeithistorikers Frank Bösch mit Spannung. Als andere Geschichte der BRD erscheint ihm, was der Autor aufschreibt - zu Waffen- und Energiedeals mit Diktatoren und Potentaten wie Haile Selassi oder dem Schah von Persien während der Regierungszeit von Adenauer, Schmidt und Brandt. Dass die deutsche Nachkriegspolitik kritische Presseberichterstattung über die Diktaturen in Griechenland, Portugal oder Chile zu unterbinden suchte, um den eigenen wirtschaftlichen Aufstieg nicht zu gefährden, macht Carstens noch heute sprachlos über den "kalten Pragmatismus" der Nachkriegszeit.

Buch in der Debatte

9punkt 10.04.2024
Im Tagesspiegel unterhalten sich Ofer Waldman und Sasha Marianna Salzmann mit Christiane Peitz über die permanente Ausnahmesituation, in der sie sich seit dem 7. Oktober befinden. Ihr Buch "Gleichzeit", in dem sie ihren Briefwechsel veröffentlichen, ist eine "Absage ans Rechthaben", sagt Salzmann, ein Versuch, aus dem Kreislauf der Polarisierung heraus zu treten. Geschockt waren beide über die Reaktionen, denen sie sich in der Zeit nach dem Hamas-Massaker ausgesetzt sahen, wie Salzmann erklärt: "Mich hat anfangs vor allem die Kaltblütigkeit erschreckt, mit der das Massaker sofort analysiert, relativiert und beurteilt wurde. Sofort wurde vergewaltigten Frauen ihre Erfahrung abgesprochen - weil sie Jüdinnen sind. Das sind Erfahrungen, die unsere Art, die Welt wahrzunehmen, für immer prägen werden. Wie bewahren wir in so einer Zeit Menschlichkeit? Durch Anhalten. Nachdenken."  Waldman ergänzt: "Ich kenne antisemitische Anfeindungen aus meiner Zeit in einem deutschen Orchester. Da sagte mir ein Kollege ins Gesicht, 'die Juden' schadeten dem Orchester. Ich dachte nur: Alter, aus welcher Museumsvitrine kommst du denn? Aber die Erfahrung, von der universellen Gültigkeit der Menschenrechte ausgeschlossen zu werden, weil ich Jude bin, habe ich vor dem 7. Oktober noch nie gemacht." Unser Resümee