Jochen Schimmang

Adorno wohnt hier nicht mehr

Erzählungen
Cover: Adorno wohnt hier nicht mehr
Edition Nautilus, Hamburg 2019
ISBN 9783960542001
Gebunden, 208 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Vor 50 Jahren, im August 1969, starb Adorno - und Jochen Schimmang übt sich in Abwesenheitspflege. In zum Teil autobiografisch gefärbten Geschichten erzählt er von Formen und Figuren des Verschwindens. Von Menschen, Gebäuden, ganzen Vierteln; von Techniken, Gesten, Sprechweisen. Ein Jubilar versteckt sich mit seiner Frau auf dem Dachboden vor seinen Freunden, die zum 70. Geburtstag aus allen Himmelsrichtungen auf ihn einstürmen, obwohl er viel lieber nur mit zweien von ihnen essen gegangen wäre. Rothermund macht sich auf die Suche nach dem verschwundenen Maler Gutermuth. Ein Spaziergang durch Frankfurt zeigt, wer, außer Adorno, noch alles nicht mehr dort wohnt. Aber Spaziergänge sind ohnehin sterbende Institutionen, ein Sich-Verirren in der Welt kann zum Verwirren der Welt werden. Milieus, die sich nicht mehr erreichen, Nomaden in Monaden. Nur Gott ist nicht verschwunden, er taucht pünktlich um halb sieben in der Kirche auf - im Fischgrätmantel. Jochen Schimmangs Erzählungen gehen auf Spurensuche nach Lücken und Verlusten und zeigen zugleich, dass "Identität" eine höchst fragile Konstruktion ist.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.01.2020

Rezensent Helmut Böttiger freut sich, dass Jochen Schimmang in seinem neuen Buch das Verschwindende zu bewahren sucht: ob es die von Adorno geforderte, elf Jahre nach seinem Tod schließlich doch noch aufgestellte Ampel an der Frankfurter Senckenberganlage ist oder der Optimismus von Michael Rutschky. Am besten gefällt Böttiger die "leichtfüßige" Verknüpfung von Leben und Sehnsucht bei Schimmang, wenn der Autor sich keine Identitäten ausdenkt, sondern die Anspielungen, etwa auf Autorenkollegen, ganz ungetarnt bleiben. Was gewesen wäre? Diese Frage erörtert Schimmang laut Rezensent am überzeugendsten, wenn er die "Suggestivkraft der Fiktion einsetzt", ohne zu erfinden.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.01.2020

Rezensentin Angelika Overath verliert sich gern in Jochen Schimmangs autobiografischen Erzählungen, die für sie eine untergegangene geistige Kultur heraufbeschwören, melancholisch, zärtlich, witzig, empathisch an der Seite der Verlierer und Verschwundenen, wie Overath erklärt. Die nachweisbare Wirklichkeit in den Texten wird laut Rezensentin dabei immer wieder vom poetisch Surrealen eingeholt, etwa wenn Schimmangs Frankfurt zur Zeit der K-Gruppen durch das gastfreundliche Ehepaar Rutschky personifiziert wird, die dem Erzähler in identischen Bademänteln mit Waffelmuster erscheinen.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.10.2019

Sabine Peters staunt, wie gut es Jochen Schimmang in seinen Erzählungen gelingt, vom Verschwinden zu erzählen, ohne allzu nostalgisch beschwörend zu werden. Für sie sind die Texte über versteckte und verschwindende Künstler, Techniken und Milieus geprägt von philosophischem, irrlichterndem Esprit und Genauigkeit der Darstellung. Dass Identität nichts Stabiles ist, lernt Peters hier spielend, etwa indem sie mit dem Autor durch ein Frankfurt spaziert, in dem Adorno nicht mehr wohnt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 23.08.2019

Wolfgang Schneider, gesegnet mit einem Interesse am Literatur- und Kulturbetrieb nach 1960 kann Jochen Schimmangs Geschichten genießen. Wer von Adorno wenig weiß, wird Schimmangs melancholische Ausführungen über die Frankfurter Szene der 60er und die Adorno-Ampel vielleicht nicht so toll finden wie der Rezensent. So einem Leser aber bleiben ja noch andere Stücke in dem zyklisch angelegten Band, etwa über einen verschwundenen Künstler oder Schimmangs Anfänge als Schriftsteller. Das Motiv des Verlorengehens bzw. Verschwindens prägt den Band laut Schneider, ebenso subtile literarische Anspielungen, Erinnerungen, Reflexionen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 02.08.2019

Rezensent Martin Oehlen schätzt das Verspielte an den Erzählungen von Jochen Schimmang. Dass sie allesamt vom Verschwinden handeln, wird laut Oehlen von dem "melan-komischen" Ton wettgemacht, vom Schmunzeln, zu dem die Texte über ewige Menschheitsfragen, Kriminalfälle, in denen Maler und Kulturangestellte abhanden kommen, und Adornos Ampel in Frankfurt den Rezensenten anregen. So unterschiedlich die Texte im Band auch sind, meint Oehlen, so autobiografisch dürften sie sämtlich sein.