Juan Marse

Stimmen in der Schlucht

Roman
Cover: Stimmen in der Schlucht
Carl Hanser Verlag, München 2002
ISBN 9783446202184
Gebunden, 367 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Juan Marse erzählt vom Sommer 1945 in Barcelona, von einer Frau und drei Männern. Und von dem vierzehnjährigen David, der nach Wahrhaftigkeit sucht in einem System, das auf Lügen gebaut ist. Marse beweist mit diesem Roman, dass er zu Recht zu den großen spanischen Romanciers des 20. Jahrhunderts gezählt wird.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.10.2003

Ein Roman, der sich seinen Weg bahnt wie Wasser in einer Schlucht, der alles aufnimmt, mitreißt, mal schnell mal langsam fließt, ein "imaginäres Wasser", so Christina Nord, die sichtlich unsicher ist, ob man beim Eintauchen in diesen Erzählstrom nur nasse Füße bekommt oder gleich ganz baden geht. Der Roman gibt nur zögerlich preis, wovon er erzählt, meint Nord, und ob das, was berichtet wird, nur in der Einbildung oder in der Wirklichkeit des Erzählers stattfindet, werde auch nie ganz klar. Soviel aber weiß sie: "Stimmen in der Schlucht" spielt 1945 in Barcelona, zur Zeit des Franco-Regimes also, und der Vater des Ich-Erzählers wird als Regime-Gegner bezeichnet und verschwindet. Eigentlich ist die Jahreszahl aber ohne Bedeutung, seufzt Nord, da in der Schlucht ohnehin Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander fielen. Und je düsterer die Verhältnisse des Franco-Regimes würden, desto mehr heize das offensichtlich die Einbildungskraft an, desto turbulenter werden die Situationen und die "Stimmen in der Schlucht", die sich teilweise überlagerten - und eine etwas verwirrte Rezensentin zurücklassen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.11.2002

Steffan Richter rühmt den Roman über die Franco-Zeit in mehrerlei Hinsicht. Erstens verhelfe er der noch jungen spanischen "Gedächtnisliteratur" zu neuem Rang. Zum zweiten lobt Richter den narrativen Erzähler bei Marse - ein Fötus. Der Blick des Ungeborenen sei zwar stark an den der Mutter gebunden, aber dieses "Informationsdefizit" kompensiere der Fötus durch Streitgespräche mit seinem sechzehnjährigen Bruder Daniel - der Hauptfigur. Zwar sei dies nicht das erste Buch mit einer narrativen Erzählerperspektive - Carlos Fuentes und Laurence Sterne hätten es vorgemacht - aber Marse ziehe aus Erzählungen dieser beiden "einen grandiosen literarischen Gewinn". An der Dreiecksbeziehung zwischen Daniel, seiner schönen Mutter und einem Verehrer der aus dem Widerstand in den Franquistischen Polizeiapparat gewechselt ist, geht Daniel schließlich zugrunde. In dieser Gesellschaft, in der die Täuschung zum obersten Gesetz erkoren wird, falle es schwer Wahrheit und Lüge auseinander zu halten. Die Stimmung, so der Rezensent, sei voller Stille und Gewalt, der Autor sei ein "Meister der gezielten Ungenauigkeit". "All das lässt Marse seinen ungeborenen Erzähler in einer Sprache vortragen, die die Arsenale des Poetischen voll ausschöpft".
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