Jürgen Becker

Schnee in den Ardennen

Journalroman
Cover: Schnee in den Ardennen
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518414583
Gebunden, 186 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Eine Dachkammer in einem abgelegenen Gehöft ist der Raum von Imaginationen und Erinnerungen. Hier beginnt der Erzähler sein "Journal", und was er aufzeichnet, sind Vorgänge in nächster Umgebung und in ferner Vergangenheit, im Traum und in der Wirklichkeit. Beckers Beobachtungen streifen die Hügellandschaft seiner rheinischen Heimat, wandern nach Berlin und in den deutschen Osten, richten sich auf Bilder der ersten Jahre nach dem Krieg, erinnern sich an einen Karmann Ghia und an lange Fernsehabende, daran, wie man vor dem Radio saß, um Welt zu empfangen, an Möbel und Bilder.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.10.2004

"Schillernd" findet Rezensent Rolf Michaelis das neue Buch von Jürgen Becker. Angesiedelt in einer Form zwischen Tagebuch, Erzählung und kunsttheoretischen Notizen schildert der Dichter, der "Träumer", Geschichten aus der rheinischen Berglandschaft, erzählt vom Ausbau eines Dorfs zur Vorstadt, dem langsamen Verschwinden der Natur und verbindet "gesichtete" Gegenwart mit "geschmecktem" Vergangenen. So gelange er zu einer neuen "Quelle" des Erzählens, das die "Zukunft lebendig machen" kann. Begeistert zeigt sich der Kritiker von Beckers Manier, hinter seiner scheinbar "völkerkundlichen Studie" eine zweite Geschichte zu entwickeln. Entstanden ist so ein Werk, das den Leser mitnimmt in die Welt des Dichters. Ein "verteufelt schönes Buch" eben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 05.11.2003

Martin Krumbholz zeigt sich fasziniert von Jürgen Beckers "Journalroman", den man "notfalls auch als Roman ohne Plot definieren" könnte, da Fiktionales außen vor bleibe. Nicht die Erzählstoffe zählen für Becker, erklärt Krumbholz weiter, sondern allein die "Arbeit mit der Sprache" und die "Erfahrungsvermittlung". Was da letztlich vermittelt wird, sind alltägliche "Miniaturen" und "Beobachtungen", die der Autor in seinem "klugen Buch" "so genau, aber auch so erhellend wie möglich" in Sprache verwandelt. Manch Rätselhaftes liege in den "Katakomben und Labyrinthen dieses dicht gewobenen, verwobenen Erzählwerks" verborgen, schließt der Rezensent seine Besprechung, versteckt in gewöhnlichen Erfahrungen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.10.2003

Jürgen Becker galt lange Zeit als "Topograph des rheinischen Kapitalismus", führt Christoph Bartmann den Autor ein, der seinen Blick von Köln aus ins Bergische Land schweifen ließ oder aber Richtung Eifel, Belgien, Nordsee schaute. Nachdem sich der Autor in den 90er Jahren auch ostwärts gewandt hat, ist er nun wieder in der Eifel angelangt, wo "Schnee in den Ardennen" liegt. Ein Foto des Kriegsreporters Robert Capa führt Becker dorthin, und schnell geht es zu wie in all seinen Büchern, gesteht Bartmann ziemlich begeistert: ein kursiv gedrucktes Wort gebe Anlass zu einer Reflexion, die "ganz unangestrengt Geschichts- mit Naturbildern", historische Zeit und Gegenwart des verschränke. Das ist nicht mehr so aufregend wie früher, findet Bartmann, aber immer noch gut. Eher störend erweist sich für den Kritiker ein zweiter Erzähler neben dem Ich-Erzähler, ein gewisser Jörn Winter, der Becker-Lesern aus dessen letztem (und bislang einzigem) Roman "Aus der Geschichte der Trennungen" bekannt sein dürfte. Winter übernimmt den Part des Erzählers, der nicht vom räumlich oder zeitlich Naheliegenden berichtet, sondern von Reisen und besonderen Begebenheiten erzählt. Aber er "erzählt", bedauert Bartmann, während das Dichter-Ich nur mit- und aufschreibt, was er sieht und hört. Und das sei mit Abstand beeindruckender, so der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.08.2003

Über vier Jahrzehnte des Schreibens hielt Jürgen Becker am Begriff des "Journals" fest, weiß Andreas Nentwich und verweist auf Beckers letzten Gedichtzyklus "Journal der Wiederholungen" aus dem Jahr 1999; auch "Schnee in den Ardennen" heißt im Untertitel ein "Journalroman". Von der Fiktion als Schreib- und Welterkundungsmodell hatte sich Becker eigentlich in den 60er Jahren losgesagt, erläutert Nentwich, und in seinem ersten autobiografischen Roman von 1999 sei daher die "Erinnerung bereits Fiktion", schreibt Nentwich. Die Sprachskepsis, der erzählerische Vorbehalt seien dem 1932 Geborenen also geblieben, stellt Nentwich fest, wie ein Dorfchronist evoziere Becker alles Sicht- und Hörbare seiner Umgebung, in einer prägnanten lakonischen Sprache, die völlig "bei sich" sei, wie Nentwich begeistert meint. Dieses Beisichsein scheint Nentwich neu, als entwickle Becker eine Art Altersgelassenheit, bei der er zwar weiterhin das Medium für alles ihn Umgebende spiele, aber die ihn auch aus den Bildern heraustreten lasse. So wie Becker auch zwei weitere "Ichs" oder Alter Egos zulassen konnte, die besuchsweise in sein Haus und Dorf kommen und den Duft der weiten Welt hereinwehen. So kann Becker weiterhin, schließt Nentwich, ganz Auge und Ohr und ein guter Nachbar beziehungsweise Gastgeber sein.
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