Maxim Biller

Bernsteintage

Sechs neue Geschichten
Cover: Bernsteintage
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2004
ISBN 9783462033618
Gebunden, 203 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Unsere Kindheit ist das Paradies, das wir alle eines Tages verlassen müssen. Mit großer Zärtlichkeit und Wehmut erzählt Maxim Biller von diesem Ort, an dem alles begann und an den wir niezurückkehren werden. Sehnsucht durchweht diese Geschichten - aber auch von verlorenen Illusionen ist in ihnen die Rede und von Hoffnungen, die nie vergehen. Da ist der achtjährige David, der den Einmarsch der russischen Panzer in seine tschechische Heimat als große, betörende Show erlebt; da ist Henry, der sich als Sohn eines jüdischen Gangsters in München seine heile Jugend erst erfinden muss; da ist Jossi, dessen Bruder als halbes Kind freiwillig in den Yom-Kippur-Krieg zieht und im Feuer der eigenen Leute stirbt. Sie alle wissen, dass die Zeit, die hinter ihnen liegt, für immer vorbei ist, und trotzdem können sie nicht aufhören, in ihr zu leben.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.05.2004

Kristina Maidt-Zinke nimmt Maxim Billers neuen Erzählband mit gemischten Gefühlen auf. Einerseits staunt sie über die "große Milde und Diskretion", mit der Biller seine Geschichten aufzieht, wobei die Rezensentin hier viel Autobiographisches verarbeitet glaubt - nämlich Eindrücke aus seiner Kindheit im Prager Frühling. Sie sieht ihn in Anbetracht seines ungewohnten Erzählstils auf dem Weg, an "ehrwürdige jüdische Erzähltraditionen anzuknüpfen". Trotzdem fehlt ihr bei seinen neuen Erzählungen ein bisschen die Spannung: sein "Bemühen, den Rückblick auf Erlebtes von jeglicher Verzerrung frei zu halten, führt auch zu einem Verlust an Präzision und Plastizität", findet Maidt-Zinke, obwohl ihm an manchen Stellen dennoch "mit minimalem Aufwand ein starker atmosphärischer Eindruck" gelinge. Auch wenn der Rezensentin der Gesamteindruck aus den Erzählungen nur eingeschränkt gefällt, ist sie nach der Lektüre doch gespannt, wie sich der Erzähler Biller weiterentwickelt: "Wenn ihm die Bosheit, die ihn berühmt gemacht hat, bei fortschreitender Abgeklärtheit nicht ganz abhanden kommt, könnte daraus eine interessante Mischung entstehen."
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.04.2004

Zuerst bekam Wolfgang Schneider einen Schrecken, dass Maxim Biller, "bekannt für Polemik und Provokation", sich auf die leisen Töne verlegt haben sollte. Ob das gutgeht? Und die erste "eher ein bisschen langweilige" Erzählung gefiel ihm auch tatsächlich nicht so. Aber dann überraschte ihn das einstige Enfant terrible mit "kunstvoll komponierten Familienszenarien", überzeugte vor allem durch das Ausmaß des "zeitgeschichtlichen Hintergrunds" seiner Texte - was sich wohltuend abhebe von Pop und Produktdesign. Ob es nun um den Holocaust geht, um eine vage an Günter Eich angelehnte Schriftstellerfigur, die mit ihrer NS-Vergangenheit konfrontiert wird, oder um den Kampf um die Golanhöhen - immer behaupte sich "Billers überlegte Motivführung" gegen die Gefahr des Abrutschens in Billig- und Süßlichkeit. Zu loben sei der "bernsteinklare Fluss" der Billerschen Prosa, die "stilistische Eleganz" und der "Kunstverstand" - nicht zu vergessen die "oft bemerkenswert geglückten Schlusspointen".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 11.03.2004

Eine überraschende Entwicklung attestiert Andreas Isenschmid dem sonst so "garstigen" Autor Maxim Biller: Das "buchhalterisch Abrechnende und subtil Denunziatorische" sei aus seinem Schreibens ebenso verschwunden, wie seine "erzählerische Ideenlosigkeit", die er bisher mit "Knallfröschen" aufzupeppen pflegte. Stattdessen sei dem Autor ein "butterzartes" Gefühl für "die Balance und die Führung mehrerer Figuren" zugewachsen, meint der Rezensent. Den sechs "sehnsuchtsvollen" Geschichten - die "auch wenn sie rund gebaut sind, schön offen enden" - profitieren wesentlich davon, dass Biller weniger "quasselt", versichert Isenschmid. Vor allem die zwei mittleren Geschichten, die von jüdischen Leben handeln, "in die nach dem Holocaust der Tod eine Lücke geschlagen hat", gewinnen an "großer Innigkeit", indem der Autor "den Akzent nun aufs halb Gesagte legt". So zeigt sich unser Rezensent sichtlich erstaunt über den neuen Biller, auch wenn er über dilettantische Wetter- und Stadtbeschreibungen spottet und vom "Sehnsuchtston" des Buches nicht gerade begeistert scheint: "sei's drum".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 28.02.2004

Die Aufgeregtheit um Maxim Billers juristisch umtobten letzten Roman hat sich gerade gelegt, da erscheint ein neuer Band mit Erzählungen. Und siehe da, meint Gerrit Bartels, der zugibt, die Romane des Autors nicht so zu schätzen: Biller kann auch anders als aufgeregt und böse, nämlich "leiser, zarter, sanfter". Gut aufgebaut seien sie dazu, die Geschichten, in denen Melancholie auf "Altersweisheit" trifft und Sätze gebiert, die Bartels sehr schön findet wie diesen: "Alles war, wie es war, und wie es anders hätte sein können, wusste man nicht". Der Mittelpunkt der Erzählungen sind die 70er Jahre, von da aus erinnert sich etwa David in der Titelerzählung, an den Prager Frühling, während in einer anderen Geschichte einer von seiner Nazi-Vergangenheit eingeholt wird. Klare Ansage des Rezensenten: "Tolles Comeback".