Melinda Nadj Abonji

Schildkrötensoldat

Roman
Cover: Schildkrötensoldat
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
ISBN 9783518427590
Gebunden, 173 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Zoltán Kertész, blauäugiger Sohn eines "Halbzigeuners" und einer Tagelöhnerin mit ständig wechselnden Liebhabern, ist der Außenseiter in einem kleinen Ort in Serbien. Als Kind ist er dem Vater in voller Fahrt vom Motorrad gefallen, und der Bäcker, dem er die Mehlsäcke nicht schnell genug durch die Backstube schleppte, hat ihm den Kopf blutig geschlagen. Seither hat er das "Schläfenflattern", sitzt am liebsten in seiner Scheune und löst Kreuzworträtsel. Als 1991 der jugoslawische Bürgerkrieg ausbricht, sehen das die Eltern als Chance für den Sohn: In der Volksarmee soll der "Taugenichts", der "Idiot" zuerst zum Mann und dann zum Helden werden. Aber Zoltán passt auch dort nicht ins System, stellt die falschen Fragen und die auch noch stotternd. Als sein einziger Freund bei einem Trainingsmarsch in der Folge sinnloser Schleiferei tot zusammenbricht, verweigert sich Zoltán endgültig einer Ordnung, die alle Macht dem Stärkeren zugesteht. Vom sanften Widerstand der Fantasie gegen die Beschränkungen eines Systems, das nur Befehl, Gehorsam und Unterwerfung kennt, erzählt Melinda Nadj Abonji in ihrem Roman Schildkrötensoldat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.12.2017

In "Schildkrötensoldat" berichtet die Erfolgsautorin Melinda Nadj Abonji aus zweifacher Perspektive vom Balkankrieg, so Karl-Markus Gauß. Da gibt es einmal Zoltán, der eine tragische Kindheit durchleben musste und die Realität des Krieges und der Vorbereitungen darauf so viel klarer wahrnimmt als alle anderen um ihn herum und dennoch oder vielleicht sogar genau deswegen seinen Kameraden als "nicht ganz richtig im Kopf" auffällt. Auf der anderen Seite folgt die Geschichte seiner Cousine Hanna bezeihungsweise Anna, deren Name beliebig vertauscht wird, und die hier und da betäubt von Xanax auf dem Weg zurück in ihre Heimat Jugoslawien ist, die es eigentlich nicht mehr gibt. Gauß findet zurückhaltendes Gefallen an dem zweiten Buch Abonjis, das sich zum Teil sprachlichem Balkankitsch hingibt und nicht alle Erzählstränge konsistent verbinden kann, aber dennoch emotional berührend geschrieben ist, findet der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.12.2017

Als "leuchtendes Requiem" würdigt Rezensentin Nicole Henneberg Melinda Nadj Abondjis neuen Roman, der ihr von der Freundschaft zwischen dem liebenswert-naiven, in der serbischen Provinz Vojvodina aufwachsenden Zoltan und seiner in die Schweiz ausgewanderten Cousine Anna erzählt. Das musikalische Gespür der Autorin für "raffinierte" Tempi und "rhythmische Wiederholungen" kennt die Kritikerin bereits aus vorherigen Romanen, "Schildkrötensoldat" besticht zudem aber vor allem durch Bilder voller Poesie, schwärmt die Rezensentin, die ebenso bewegt wie fasziniert liest, wie Abondji Historie verdichtet und dabei humorvoll, sinnlich und leichthändig an ein verschwundenes Land erinnert.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.11.2017

Rezensentin Judith von Sternburg mag den "klugen Simpel", der ihr in Melinda Nadj Abonjis neuem Roman "Schildkrötensoldat" begegnet. Jener Zoltan nämlich bringe gute Laune und wunderbare Sprachbilder in den Roman, in dem die Kritikerin Zoltans Cousine Hanna nach dessen Tod in das Serbien der neunziger Jahre begleitet. Wie die Autorin es bei aller Poesie ihres Romans unter der Oberfläche "brodeln" lässt, hat die Rezensentin beeindruckt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.10.2017

Es ist die Last der Erwartungen, die Melinda Nadj Abonjis Roman und dessen Protagonisten zu gefährden scheint, doch gerade im Unterlaufen dieser Erwartungen, im Versteck vor der Gefahr der Kategorisierung und Überinterpretation - genau dort ist sein Platz, dort kann er seine vollständige Kraft entwickeln und die ist groß, meint Rezensent Philipp Theisohn, der sie, die "eigene Größe" des Textes mit recht abstrakten Worten zu erklären sucht. Was soll man also von diesem Text erwarten, in dem ein Junge vom Motorrad fällt, geschlagen und schließlich zur Jugoslawischen Armee geschickt wird, bevor er nicht auf dem Schlachtfeld - nein - in seinem Zimmer stirbt und eine durch Benzo ruhig gestellte und pathosbefreite Cousine seine Spuren bis zum Grab verfolgt, wo sie ihn, der sich selbst als "Buchstaben-Fresser" bezeichnete, wie im Leben mit Buchstaben füttert, lesen wir. Wir sollten, trotz der Tatsache, dass die Geschichte 2014 schon einmal auf der Bühne erschienen ist, kein Drama erwarten und keinen dramatischen Helden, wir sollten auch kein Zeitbild, keinen "Balkan-Roman", kein "Panorama" erwarten, sondern ihn nur als das lesen, was er ist, so der augenscheinlich hingerissene Rezensent: Als Literatur, die sich sogar vor sich selbst zu verstecken vermag, was auch immer das heißen kann.