Michael Ruetz

Pogrom 1938

Das Gesicht in der Menge
Cover: Pogrom 1938
Nimbus Verlag, Wädenswil 2018
ISBN 9783038500506
Kartoniert, 144 Seiten, 29,80 EUR

Klappentext

Unter Mitarbeit von Astrid Köppe und Christoph Stölzl. Als am 9. November 2014 der 25. Jahrestag des Mauerfalls mit Reden, Feuerwerk und Musik am Brandenburger Tor gefeiert wurde, stand auch Michael Ruetz in der Menge. Fassungslos verfolgte er, wie kein Wort darüber fiel, dass der 9. November auch der Tag der Pogrome des Jahres 1938 ist - der "Reichskristallnacht", wie die Nazis ihren Terror nannten. Dieses neuerliche Erlebnis deutscher Geschichtsverdrängung veranlasste ihn, auf die Suche nach Bilddokumenten und Augenzeugenberichten zum 9. November 1938 zu gehen. Zusammen mit Astrid Köppe hat er mehr als tausend lokale, regionale und internationale Archive kontaktiert, um eine konkrete Vorstellung davon zu gewinnen, was an jenem Tag des Jahres 1938 geschehen ist: Was der 'ganz normale' Bürger getan, gebilligt und gesehen hat bzw. gewusst haben muss. Die Recherche förderte eine ungeahnte Fülle an Bildern und Zeitzeugenberichten zutage, die eine weitreichende Komplizenschaft von Tätern und Mitläufern zeigen: hier die Zerstörungswut und triumphierende Häme des entfesselten Mob, dort die feige Neugier der Zuschauer mit den Händen in den Taschen. Die Fotos aus ganz Deutschland dokumentieren, wie leicht auch und gerade in der 'Provinz', wo jeder jeden kannte, die Gewaltbereitschaft zu entfesseln war - und wie wenig Mut und Zivilcourage sich dagegen erhob. So markiert der 9. November 1938 den Probelauf und Anfangspunkt des Holocaust - unter aller Augen. Dem Band ist eine Rede von Christoph Stölzl, dem Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums, vom 9. November 1988 beigegeben, die sich der Frage widmet, wie das kollektive Gedenken an einen solchen Tag des Verbrechens aussehen könnte - oder müsste. Denn selbst hier droht eine Gedenktags-Routine, als wäre dieser Tag ein historisches Datum wie viele andere - zumal seit dem 9. November 1989 das neue deutsche Einigkeitsgefühl diese Frage in den Hintergrund drängt. Ein Essay von Michael Ruetz über den deutschen Umgang mit dem Datum des 9. November beschließt den Band.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.11.2018

Erschüttert hat sich Rezensent Andreas Kilb diesen Band mit Fotografien vom Pogrom 1938 angesehen, für den der Fotograf Michael Ruetz und die Historikerin Astrid Köppe jahrelang die Archive durchforstet haben. Auf den teils ausschnitthaft vergrößerten Bildern aus mehr als hundertzwanzig Dörfern und Städten sieht der Kritiker neben "gaffenden Passanten" und zerstörenden Handwerkern auch "plündernde" Frauen und Kinder, die posieren. Die Fotos sind "visueller Pranger" genug, meint Kilb und findet: Auf die sarkastisch gemeinten, aber "oberlehrerhaft" wirkenden Bildkommentare hätte man verzichten können.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.11.2018

Beklemmend findet Lothar Müller die Bild- und Textdokumente in dem vom Fotografen Michael Ruetz initiierten Buch. Erinnerungen an die Zerstörung der Synagogen in Deutschland 1938, etwa aus dem Siegerländer Geschichtsverein lassen ihn das Ausmaß der damaligen Gewalt erkennen. Auch wenn der Band aufgrund von fehlenden Datierungen und Unvollständigkeit wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, wie Müller feststellt, scheint ihm die Wirkung des Buches stark zu sein. Wenn die Schänder der Synagogen etwa stolz in die Kamera schauen und über ihr Zerstörungswerk berichten, schaut Müller tief in die Innenwelt der Täter hinab.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.11.2018

"Pogrom 1938" ist eine Bild- und Textdokumentation der Reichspogromnacht, die den Fokus weniger auf die Schandtaten an sich, als auf ihre Täter und Zuschauer richtet, erklärt Rezensent Wilfried Weinke. Die Unterscheidung zwischen Tätern, Opfern und Schaulustigen ist keinesfalls neu, ebenso wenig sind alle Fotografien in diesem Band unveröffentlicht, lesen wir. Und trotzdem leistet das Buch einen großen Beitrag zur Erinnerung, Aufklärung und Aufarbeitung der Geschehnisse vom 9. November 1938, versichert Weinke. Die teils schockierenden und "bedrückenden" Fotografien haben der Fotograf Michael Ruetz und seine Co-Herausgeber in über 1.200 Archiven und Privathaushalten zusammen gesucht und durch schriftliche Augenzeugenberichte und Zeugenaussagen ergänzt. Sie zeigen unwiderlegbar und anhand zahlreicher Beispiele, dass die sogenannten "Zuschauer" keineswegs unbeteiligt waren, sondern sich teilweise heiter an der Zerstörungs- und Plünderungsarbeit beteiligten - wenn nicht aktiv, dann passiv - gaffend und lachend, so der Rezensent. Dieses Buch ist also ein nachträglicher, genauer Blick in die Menge. Dass die Karte im Anhang etwas missverständlich ist, tut seiner Wirkung keinen Abbruch, findet Weinke.