Nedim Gürsel

Allahs Töchter

Roman
Cover: Allahs Töchter
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
ISBN 9783518422915
Gebunden, 346 Seiten, 24,95 EUR

Klappentext

Aus dem Nedim Gürsel, Jahrgang 1951, erzählt von der eigenen Kindheit, die er bei den Großeltern in Manisa in der Türkei verlebte. Der Großvater führt Nedim in die Welt des Islam ein. Er tut es sanft und menschlich. Trotzdem beschäftigen und plagen den Jungen die Rätsel, Wunder und Legenden der Religion von denen Gürsel ebenfalls erzählt: von der "Kindheit" des Islam, in der "Allahs Töchter" dem Kampf Mohammeds für den einen Gott zu weichen haben. In einer Mischung aus Bedauern, Eifersucht, Neid und Faszination läßt er Lat, Manat und Uzza so heißen die drei weiblichen Götzen aus der Kaaba in Mekka berichten. Der Großvater diente im Ersten Weltkrieg "nebenan", in Medina, als Soldat. Aus seinen Erinnerungen erfahren wir mehr über den Untergang des Osmanischen Reichs, über Geburtswehen und "Kindheit" der modernen Türkei.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 09.07.2012

Für Stefan Weidner schließt Nedim Gürsels Roman eine Lücke, deren Existenz dem Rezensenten bisher gar nicht bewusst war: die Mythen und Legenden aus der Frühzeit des Islam, die den Glauben vieler Muslime wahrscheinlich stärker prägten als die schwer zugänglichen Korantexte. Auch Gürsels Blick auf den Ersten Weltkrieg war für den Rezensenten neu: Wie der Großvater des Erzählers seinen Kampf an der Seite des Deutschen Reichs und gegen die europäischen Großmächte und ihre arabischen Verbündeten (Lawrence!) rechtfertigt, das hat Weidner so noch nicht gelesen. Literarisch scheint Gürsel das Gewicht, das er sich hiermit aufbürdet, nicht ganz mühelos zu schultern, wie der Rezensent durchblicken lässt. Weidner kann aber versichern, dass  Blasphemie-Vorwürfe gegen "Allahs Töchter" völlig an der Sache vorbei gehen, eher sieht er das Buch als Teil einer "religiös-imperialen Renaissance" in Erdogans Türkei, ohne dies weiter auszuführen.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.07.2012

Monika Carbe bewundert Nedim Gürsels Roman, der zwischen Fiktion und Autobiografie von den Erlebnissen des Großvaters im Ersten Weltkrieg, seiner Kindheit in den 1950er Jahren, der Religiosität und dem Nationalismus erzählt, für seine feinfühlige Erzählweise und seine besondere Erzählhaltung. Der Erzähler, den die Rezensentin für mehr oder minder identisch mit dem Autor hält, richtet sich mit einem vertrauten Du an sein Kindheits-Ich und schafft damit eine besonders intime Atmosphäre, findet Carbe. Die Rezensentin weiß vom Blasphemie-Vorwurf, der Gürsel 2008 kurz nach dem Erscheinen seines Romans in der Türkei vor Gericht brachte, kann aber beim besten Willen nichts Gotteslästerliches entdecken. Dafür hat sie eine Theorie, was die Fundamentalisten auf den Plan gerufen haben könnte: Während der Autor "beeindruckend kenntnisreich" von vorislamischen Mythen und der Islamisierung durch Mohammed erzählt und seinen Roman mit zahlreichen Zitaten aus dem Koran unterfüttert, macht er gleichzeitig aus seiner Absage sowohl an die Religion wie an den Nationalismus, dem der Großvater im Ersten Weltkrieg einen Arm geopfert hatte, keinen Hehl. Dass das den Glaubenshütern verdächtig ist, wundert die Rezensentin nicht, die viel Begeisterung für diesen, wie sie zudem lobt, gelungen übersetzten Roman aufbringt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.05.2012

Sabine Berking kann nicht recht nachvollziehen, warum der türkische Autor Nedim Gürsel für seinen Roman "Allahs Töchter" von einem türkischen Gericht wegen Blasphemie angeklagt wurde. Denn die eingenommene Rezensentin findet mitnichten Korankritik und gotteslästerliche Auslassungen in diesem Roman, der 2008 im türkischen Original erschien, sondern vielmehr eine subtile und melancholische Erkundung des Glaubens und des Glaubensverlusts. Vor allem aber findet sie hier auch eine Feier des "Zaubers des Korans", den der Erzähler in seinen Erinnerungen an seine Kindheit bei seinen tiefgläubigen Großeltern beschwört. Viel Lob erhält der Roman, der in vorislamischen Zeiten anhebt und bis ins 20. Jahrhundert führt, für seine polyphone Erzählweise, die geschickt zwischen den Zeiten und zwischen traditionellen und modernen Stimmlagen wechselt. Für die faszinierte Rezensentin fragt das Werk des im französischen Exil lebenden Autors so "subtil" wie überzeugend nach dem "Bruch zwischen Religion und Kultur" in der Moderne und ruft dabei zugleich das Verbindende zwischen "Arabien und der Türkei" auf.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.04.2012

Nach Hans Christoph Buchs Bericht erinnert dieser Roman von fern an Rushdies "Satanische Verse" (die der Rezensent aber nicht erwähnt), denn auch hier geht es - verwoben mit biografischen Erzählsträngen - offenbar um den Übergang von den heidnischen vorislamischen Religionen, in denen üppige Göttinnen eine größere Rolle spielten als zornige alte Männer - zum Islam mit seinen strengen Lehren. Obwohl Gürsel, anders als Rushdie, seinen Roman keineswegs in blasphemischer Absicht schrieb, berichtet Buch, dass er in der Türkei Ärger wegen "Verächtlichungmachung des Islams" bekam. Schon die Schilderung Mohammeds als historische Figur gilt demnach manchen als Blasphemie. Buch spricht eine herzliche Lesempfehlung aus, lobt die Übersetzung und hofft, dass ein weiterer Roman Gürsels über den Großschriftsteller Nazim Hikmet, der zum Teil in der DDR spielt, ebenfalls bald übersetzt wird.