Neige Sinno

Trauriger Tiger

Cover: Trauriger Tiger
dtv, München 2024
ISBN 9783423284226
Gebunden, 304 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Michael Meßner. Als Kind immer wieder sexueller Gewalt ausgesetzt, erzählt Neige Sinno von einem Familienleben, das um Lügen und Täuschungen herum gebaut ist. Und von den vielen Facetten von Erinnerung, den vielen Gesichtern eines Menschen in Ungeheuerlichkeit und Banalität. Wie werden wir zu denen, die wir sind? Kommt vor Gericht zur Sprache, was in Familien ungesagt bleibt?

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.09.2024

"Dieses Buch ist eine Zumutung", ruft und Rezensent Rainer Moritz zu - und das bedeutet nichts Schlechtes. Denn Sinno, inzwischen in Mexiko lebende Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin, erzählt von den jahrelangen Vergewaltigungen durch ihren Stiefvater. Und der Kritiker kann nur staunen: Gnadenlos und offen, ohne Mitleid zu fordern, schildert die Autorin nicht nur den brutalen Missbrauch, sondern denkt auch über die gesellschaftlichen Folgen von Vergewaltigungstaten nach: Etwa über den Umgang mit Opfern und Tätern oder die Diskussion der 1970er und 1980er zur Entkriminalisierung von Pädophilie. Darüber hinaus ist der Text, den Sinno ein "Memoir" nennt, ein stetes Ringen um Erinnerungen, angereichert mit literarischen Exkursen zu Annie Ernaux, Toni Morrison, Emmanuel Carrere und vielen anderen, ergänzt Moritz, der die Lektüre unbedingt empfiehlt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.09.2024

Rezensentin Johanna Adorjan stellt Neige Sinnos Nonfiction über den jahrelangen Missbrauch ihres Stiefvaters an ihr als "monumentales Buch" vor. Kühn ist für Adorjan der Ansatz, Missbrauch als literarisches Material zu verwenden, um über das Innere des Täters zu schreiben und mit literarischen und philosophischen Referenzen, die das Böse umkreisen, zu spielen. Dass der Leserin dabei die Gedanken des Opfers als erwachsener Frau dargelegt werden, hält die Rezensentin für einen zusätzlichen Gewinn. Heftige Szenen im Buch und eine "grausame Wahrheit" sind harte Brocken für die Leser. Doch schließlich ist es eine Heldengeschichte, versichert Adorjan, mit der Autorin als Heldin.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.09.2024

Rezensentin Barbara von Machui schließt mit der Begründung der Schülerinnen, die diesem Buch der Französin Neige Sinno den Prix Goncourt des lycéens verliehen haben: Sinno verspreche "ganzen Generationen, aus dem Labyrinth der Schande und des Schweigens herauszufinden. Und sie bestätige "die unabweisbare Macht der Literatur". Es ist aber auch nicht einfach, dieses Buch im klassischen Sinne zu rezensieren, erzählt Sinno doch von den Vergewaltigungen, die sie von ihrem siebten bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr durch den Stiefvater erlitt. Erschüttert liest die Kritikerin hier nicht nur von dem Missbrauch, sondern auch von Ich-Dissoziation oder dem Gerichtsprozess, bei dem selbst eine Leiterin einer Opfervereinigung für den charismatischen Täter aussagt. Mit Bewunderung folgt Machui indes Sinnos Kampf ums Überleben, das auch der Literatur zu verdanken ist, in der sie immer wieder Orientierung sucht: So zitiert sie Virginia Woolf, Toni Morrison oder Annie Ernaux, spürt vergewaltigte Kinder in der Literatur von Zola über Faulkner bis Foster Wallace auf und kommt natürlich immer wieder auf Nabokovs Lolita zurück. Ein "vielstimmiger Text", ganz ohne Voyeurismus und zurecht preisgekrönt, schließt Machui.
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