Niklas Luhmann

Die Religion der Gesellschaft

Cover: Die Religion der Gesellschaft
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518582916
Gebunden, 376 Seiten, 21,47 EUR

Klappentext

"Die Religion der Gesellschaft" untersucht Religion als autonomes Kommunikationssystem innerhalb der angeblich religionsfernen modernen Gesellschaft. Die in diesem Bereich grundlegende Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz sowie die dadurch ermöglichte Differenzierung von Moral und Religion ist übertragbar auch auf andere Funktionsbereiche der Gesellschaft. So kann die Untersuchung dieser Begriffe zu einem vergleichenden Urteil über die Zukunft von Religion in der modernen Gesellschaft beitragen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.03.2001

Die Rezension von Hans Bernhard Schmid gibt vor, sich den beiden Nachlassbänden Niklas Luhmanns zu widmen - nach einer kurzen Einführung in die Grundbegrifflichkeit der Systemtheorie (Teilsysteme, Autopoiesis) konzentriert sich der Rezensent aber ganz auf "Die Religion der Gesellschaft". Für die "Politik der Gesellschaft" konstatiert er nur knapp, dass die Politik als den anderen prinzipiell gleichgeordnetes Teilsystem der Gesellschaft (und in der Reduktion ihrer Bedeutung auf den Unterschied von Regierung und Opposition) in der Systemtheorie eine ungleich weniger prominente Stelle einnehme als in anderen soziologischen Entwürfen. Umgekehrt erfahre die Religion gerade durch diese Gleichrangigkeit eine Aufwertung. Um zu begreifen, welche Funktion ihr nach Luhmann in der modernen Gesellschaft zukommt, muss man sich freilich, so Schmid, "aufs oberste Abstraktionsniveau" der Logik begeben. Dass man zuletzt bei Nikolaus von Kues und der Mystik landet, wird keinen überraschen, der Luhmann kennt. Das Argument geht so: Jede Rückfrage nach dem Grund unserer Unterscheidungen - etwa, einschlägig, von gut und böse - führt letztlich durch die Selbstanwendung zur Paradoxie der Form: Ist die Unterscheidung selbst eigentlich gut oder böse? Im Alltag geht man der Paradoxie mit (schlechten) Tricks oder durch Desinteresse aus dem Weg, vermeiden lässt sie sich grundsätzlich nicht. Der Umgang der Religion mit dieser Paradoxie (auch nur ein Trick, aber ein raffinierter) macht ihre Einmaligkeit aus: Sie setzt der Welt ein Jenseits entgegen und postuliert die Möglichkeit einer Einheit der Unterscheidung: Gott. Dass diese Einheit selbst paradox im höchsten Maß ist, hat eben gerade der von Luhmann verehrte Nikolaus von Kues immer wieder vorgeführt. Anders als in allen anderen Teilsystemen wird aber die - als Einheit (Gott) auftretende - Paradoxie in der Religion zum Anfangs- und Endpunkt der Überlegungen. Daher Luhmanns Sympathie. Nicht ganz so groß ist wiederum Schmids Sympathie für Luhmann. Das zeigt sich weniger an konkreten Vorbehalten als an einer immer wieder aufscheinenden Mokanz des Tons. Insgesamt aber urteilt Schmid nicht, sondern referiert sehr ausführlich Luhmanns Argumente.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.09.2000

Otto Kallscheuer verbringt fast die Hälfte seiner Rezension damit, die Luhmannsche Systemtheorie in einer fortgesetzten Metapher als "barocke Residenz" zu beschreiben und durchaus in den höchsten Tönen zu preisen. Wenn er endlich auf das nachgelassene Werk "Die Religion der Gesellschaft" zu sprechen kommt, bestätigt sich die Ahnung, die man nach der langen Einleitung schon hatte: der Rezensent ist enttäuscht. Nichts Neues habe Luhmann hier zu bieten, anderswo hat man es schon "klarer, knapper, brillanter, ironischer" gelesen. Kallscheuer ist ganz einverstanden damit, dass Luhmann diverse der Religion angetragene Sinn- und Funktionszumutungen hier ablehnt - nur das, was er stattdessen vorschlägt, sei allzu bekannt: die Religion nun also auch als selbstreferentielles System. Da wäre es Kallscheuer schon lieber gewesen, Luhmann hätte sich mehr für "vernetzte autoreferentielle Computersysteme" interessiert (da sieht der Rezensent offenbar ein funktionales Äquivalent zu Luhmanns Gott) und seine Tage als "Cyber-Buddhist" beschlossen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 30.08.2000

In einer Sammelrezension bespricht Niels Werber die drei nachgelassenen Bände "Die Religion der Gesellschaft", "Die Politik der Gesellschaft" (beide bei Suhrkamp) sowie "Organisation und Entscheidung" (Westdeutscher Verlag), ohne im einzelnen zwischen den Bänden zu unterscheiden. Zunächst legt Werber dar, dass Luhmann mit diesen Werken seine Theorie abschließt und in gewisser Weise auch krönt, denn nach Werber muss man die Sphären der Politik, also des Souveräns, und der Religion, also Gottes, zumindest im landläufigen Sinn als die alles überwölbenden ansehen - während Luhmann (und mit ihm Werber) allerdings betont, dass gesellschaftlichen Subsysteme wie Religion und Politik, aber auch Wissenschaft oder Kunst, ihre Autonomie haben. Besonderen Wert legt Werber in seiner Besprechung darauf, dass Luhmann Oberbegriffe wie Religion oder Politik, die für ihn gesellschaftliche Systeme bezeichnen, scharf unterscheidet von "Organisationen" wie Kirche oder Parlament - auch wenn sich diese Organisationen selbst gern mit den Sphären, innerhalb derer sie existieren, in eins setzen. Hier geht Werber besonders auf die "Kontrollillusion" der Politiker ein, die ernstlich glauben, in andere gesellschaftliche Systeme wie etwa die Wirtschaft eingreifen zu können. Folgt man Werbers Darstellung von Luhmanns System, so bewegen sich Politiker (aber parallel etwa auch Kirchenleute) dagegen wie Goldfische in einem Aquarium und verwechseln es mit der Welt. Indirekt ist daraus zu schließen, dass erst ein Politiker, der Luhmann versteht, versteht, was er ist - wir sehen schon vor unserem innern Auge, wie die Bundestagsabgeordneten an ihren Parlamentsbänken heimlich den Luhmann aus der Tasche holen, um ihn zu studieren!

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 01.08.2000

Peter Fuchs liefert mit seiner ausführlichen Besprechung des nachgelassenen und von André Kieserling edierten Luhman-Buchs über das Funktionssystem der Religion zugleich eine Einführung in das Luhmannsche Denken. Das Funktionssystem Religion nimmt ähnlich wie der Bereich Kunst unter den vielen anderen Funktionssystemen einen besonderen Stellenwert ein, was die Sache in Fuchs` Augen besonders spannend macht, gerade weil die Systemtheorie eher ungeeignet für ein solch existenzielle Fragen aufwerfendes Thema zu sein scheint. "Behutsam" und für seine Verhältnisse "ironiearm" sei Luhmann bei diesem Thema vorgegangen, schreibt Fuchs. Dabei bediene sich Luhmann aber auch diesmal zur Funktionsbestimmung der Religion "eines differenz- und beobachtungstheoretischen Vokabulars", das den Zugang für nicht eingeweihte Luhmann-Leser schwierig mache. Fuchs gibt sich alle Mühe, dieses auf Paradoxen aufbauende Denksystem dem Leser näher zu bringen: "Aller Sinn hat einen Sinn, der immanent nur nicht erkennbar ist, aber garantiert werden kann".