Catrin Kersten

Orte der Freundschaft

Niklas Luhmann und Das Meer in mir
Cover: Orte der Freundschaft
Kadmos Kulturverlag, Berlin 2008
ISBN 9783865990327
Gebunden, 143 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext

Was denn nun eigentlich das Wesen der Freundschaft ausmache, dies vermag die lange Tradition des Denkens und Schreibens über Freundschaft nicht zu beantworten: Freundschaft erweist sich als enorm beweglich, als nicht letztgültig bestimmbar, sie hat, so Silvia Bovenschen, keinen festen lebensweltlichen oder theoretischen Ort. So lässt sich die "Freundschaftslücke" im Werk des Soziologen Niklas Luhmann, so lässt sich die Tatsache, dass ihre Semantik in der Interpretation Luhmanns immer den Kürzeren ziehe und auch Freundschaft als zwischenmenschliche Beziehung von ihm nicht behandelt wird, letzten Endes als plausible Konsequenz dieser Definitionsschwierigkeiten lesen, muss doch eine Theorie, die einen solch besonderen Fokus auf bestimmbare Form und klare Abgrenzbarkeit legt, große Schwierigkeiten haben mit dem fortwährend sich Verändernden. Gleichwohl fällt die traditionelle Semantik der Freundschaft keineswegs "unter den Tisch": Die zentrale Fragestellung des Textes macht so Luhmanns Theorie sozialer Systeme zum Gegenstand einer genealogischen Lektüre; es zeigt sich, dass er bei der Formulierung zentraler Theoreme Semantiken und Topoi der Freundschaftstradition aktualisiert, dass Freundschaft zwar nicht an einem systematischen Ort, aber dennoch an ganz unterschiedlichen Orten in seiner Theorie auftaucht, in Form semantischer Fragmente. Auf diese Weise kristallisiert sich schließlich ein Bild von Freundschaft heraus, das gerade ihrem flexiblen und prekären Charakter gerecht wird, und deutlich macht, dass gerade darin ihr besonderer Wert liegt. Alejandro Amenabars oscargekrönter Film "Das Meer in mir" führt auf beispielhafte Weise vor, welches Potential eine solche Freundschaft entwickeln kann: Eben weil sie nicht an ein System und einen Ort gebunden ist, kann sie sich über die Grenzen der funktional spezialisierten Teilsysteme der Gesellschaft hinwegsetzen und so sehr individuelle Problemlösungen finden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.09.2008

Das soll eine akademische Abhandlung sein? Christian Geyer traut seinen Augen kaum. Vor lauter Glanz versteht sich und vor dem existentiellen Belang, den die Arbeit von Catrin Kersten ausstrahlt. Sich ausgerechnet beim Systemtheoretiker Niklas Luhmann auf die Suche nach dem Thema der Freundschaft zu machen, findet Geyer schon erstaunlich genug. Dass die Autorin dabei Bezüge aufdeckt zur alteuropäischen Freundschaftssemantik bei Cicero, Montaigne, Kracauer u. a., dass sie schließlich die Ortlosigkeit als theoretischen Ort der Freundschaft bei Luhmann konstatiert und darüberhinaus immer wieder von einer "reichen Phänomenologie der Freundschaft" leichterhand die Grenze zur Liebessemantik überschreitet, verschlägt Geyer fast den Atem. Derart bleibend erscheinen ihm die dadurch vermittelten Einsichten. Und derart plausibel kommt ihm Kerstens Ansatz vor, Intimität "von ihrer Schwäche her" sichtbar zu machen.
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