Stewart O'Nan

Ganz alltägliche Leute

Roman
Cover: Ganz alltägliche Leute
Rowohlt Verlag, Reinbek 2004
ISBN 9783499235313
Taschenbuch, 320 Seiten, 12,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. Pittsburgh 1998: Der junge Chris "Crest" Tolbert ist beim Graffitisprühen gefallen und sitzt seitdem im Rollstuhl. Sein Freund Bean ist tot. Die Mutter seines Kindes ist ihm fremd geworden. Sein Bruder hat nach einer Knast-Karriere Gott gefunden. Sein Vater hat sich verliebt. Seine Mutter ahnt etwas. Eindringlich erzählt Stewart O'Nan die Geschichte einer Woche im Leben der Bewohner des armen, schwarzen Viertels East Liberty. Einer schicksalhaften, hoffnungsvollen Woche, die das Leben der Menschen dort verändern wird.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.10.2004

In einer sehr umfassenden Besprechung des Gesamtwerks von Stewart O'Nan macht Jürgen Brocan auch bei den beiden jüngst in deutscher Sprache erschienenen Romanen "Halloween" und "Ganz alltägliche Leute" Station. Das Original des letzteren erschien - unter dem Titel "Everyday People" - bereits 2001. Offen bleibt in diesem Roman, so Brocan, die genaue Erzählerposition, umso vielfältiger gerate diese "Studie über Menschen in einem Schwarzenghetto Pittsburghs". Im Zentrum stehen ein verunglückter Graffiti-Sprayer, sein Bruder, der Priester werden will, sein homosexueller Vater und die Mutter seines Kindes, die sich auf dem College für ihre "afroamerikanische Identität zu interessieren" beginnt. Der Blick auf dieses Milieu ist, wie der Rezensent feststellt, "kaleidoskopisch" und das Ganze erinnert an Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio". Das positive Urteil Brocans bleibt eher implizit, nur die Schlusswendung lobt er ausdrücklich als "perfekt kalkulierten literarischen Kniff".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.03.2004

Mit dieser Geschichte über das Leben im Pittsburgher Schwarzenviertel East Liberty und den Bau einer Straße, der East Liberty eher von der Stadt trennt als es mit ihr zu verbinden, knüpft Stewart O'Nan an die afro-amerikanische Erzähltradition der "oral history" an, schreibt der Rezensent Sebastian Handke. Denn die gerade mal eine Woche umfassende Handlung, so Handke, entspinnt sich in einzelnen, auf je eine Figur des Viertels zentrierten "Kurzgeschichten", die zusammen ein "literarisches Porträt der Menschen von East Liberty" ergeben, aber auch weit in die Vergangenheit zurück reichen, gleichsam um die Menschen vor dem ihnen drohenden Vergessenwerden zu retten. Ein stringentes Ganzes komme dabei allerdings nicht zustande, in folgerichtiger Spiegelung der Figuren, die verloren sind im Ganzen und sich keinen Begriff davon machen können, wo ihr Platz darin ist. Angesichts dieser eher in "Apathie" als in "Gewalt" mündenden Verlorenheit, entstehe zuweilen beim Leser "gepflegte Langeweile" und gar "Mitleid". "Ganz alltägliche Leute", so das Fazit des Rezensenten, gehört nicht zu O'Nans besten Romanen, eine Einschätzung, die scheinbar auch vom Verlag geteilt werde, denn der Roman sei lediglich als Taschenbuch erschienen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.02.2004

Christian Thomas hat in Stewart O'Nans Prosa das Prinzip der "Überdehnung" beobachtet: "Literatur als Zeitlupenprosa, die eine aussichtslose Realität still stellt." Aussichtslos wie das Leben der "ganz alltäglichen Leute" in Pittsburghs schwarzem Ghetto East Liberty, wo die Kulissen davon künden, dass die Institutionen städtischen Lebens zusammengebrochen und die Vision urbanen Lebens gegen die Wand gefahren sind. Doch inmitten der Einöde sind die Figuren noch am Leben, besessen vom Wunsch nach Flucht, doch ohne Chance, ihrer "mentalen Obdachlosigkeit" zu entkommen. Der Leser, schreibt Christian Thomas, wird zum "Zeugen quälend langer Selbstvergewisserungen". Doch wohin sie auch denken - nur die Sackgassen stehen offen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.01.2004

Wenn einer im Jahr ein, zwei Bücher veröffentlicht, ist's ja kein Wunder, meint Gerrit Bartels, dass die Verlage mit den Übersetzungen nicht mehr mitkommen. So erscheint jetzt der vor drei Jahren erstveröffentlichte Roman Stewart O'Nans "Ganz alltägliche Leute" zur gleichen Zeit wie sein neuester ("Halloween"), während sein Vietnam-Roman "The Name of the Dead" nach wie vor unübersetzt ist. Der Fleiß übrigens, beruhigt Bartels, schadet der Qualität der Werke gar nicht - und also findet er auch dieses Werk sehr lesenswert. Der Titel täuscht dabei ein wenig, denn der Alltag ist der in einem Schwarzen-Viertel von Pittsburgh und er besteht aus "Drogen, Drive-By Shootings etc.", aber auch aus den ganz unspektakulären Bewegungen der "everyday people". Das summiert sich kaum - und soll es auch gar nicht - zur geschlossenen Fiktion, meint der Rezensent, aber doch zur "Sozialreportage mit großen Momenten".
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