Stewart O'Nan

Halloween

Roman
Cover: Halloween
Rowohlt Verlag, Reinbek 2004
ISBN 9783498050337
Gebunden, 256 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. Halloween, Tag der lebenden Leichen. Die Geister dreier toter Teenager kehren aus dem Zwischenreich zurück nach Avon, Connecticut. Vor genau einem Jahr sind sie hier gestorben: eine rasende Tour über den Highway, die Smashing Pumpkins laut aus den Boxen, ein Joint, hinter ihnen ein Polizeiwagen mit heulender Sirene. Eine scharfe Kurve. Ein Baum. Nun sehen sie nach den Freunden, die den Unfall überlebt haben: Kyle, entstellt und debil, und Tim, völlig unverletzt, aber innerlich "längst tot". So etwas merken Geister, und sie merken auch, dass Tim etwas Schreckliches vorhat. Doch sie können es nicht verhindern, gegen den Willen der Lebenden kommen sie nicht an.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.10.2004

In einer sehr umfassenden Besprechung des Gesamtwerks von Stewart O'Nan macht Jürgen Brocan auch bei den beiden jüngst in deutscher Sprache erschienenen Romanen "Ganz alltägliche Leute" und "Halloween" Station. Letzterer beruht, wie wir erfahren, auf einer wahren Begebenheit: Junge Leute, die bei einem Autounfall ums Leben kommen. Fiktional freilich ist die Wiederkehr der Toten an den Ort, an dem sie lebten, und zwar als Geister. Der Eingriff in die Gegenwart der Lebenden ist ihnen nicht möglich, es ist die Erinnerung, die sie ruft. Bewundernswert findet der Rezensent vor allem, wie in diesem wie stets durch dichte Beschreibung der Sozialmilieus glänzenden Roman "Jugendsprache und elegischer Duktus zu einer Einheit" verschmelzen. Eine eher oberflächliche Zutat und unnötige Konzession ans Spannungsliterarische scheinen Brocan allerdings die Momente aus dem Horrorgenre, auf die O'Nan hier nicht verzichtet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.02.2004

Die Geister gehen wieder um bei Stewart O'Nan, und es sind, wie Christian Thomas zu berichten weiß, nicht nur die Geister der Jugendlichen, die bei einem Verkehrunfall ums Leben kamen und nun, ein Jahr später, die Schauplätze des Geschehens heimsuchen. Denn Avon, Connecticut ist eigentlich selber eine Gespensterstadt, "eine Gesellschaft der Häuser aus dem Geist der Fortifikation" - Neuengland: "gartengrün, durchzogen von schwarzen Flüssen und Blutbädern" (O'Nan). "Der Wahnsinn in Avon hat Prime-Time-Format", schreibt der Rezensent und lässt keine Zweifel daran, dass die Hoffnung längst gestorben ist, gemeinsam mit den Institutionen einer funktionierenden Gesellschaft, in deren schattenhaften Kulissen O'Nan eine beinahe klassische Tragödie entfaltet, "eine Geschichte zwischen Gothic Novel und Sozialreport, zwischen einem hochromantischem Allerseelen-Realismus und krudem Soundtrack".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.01.2004

Die Toten sind mitten unter uns, jedenfalls in den Romanen Stewart O'Nans und in keinem mehr als in seinem jüngsten, "Halloween". Erzählt wird die Geschichte von fünf Jugendlichen, von denen drei bei einem Autounfall ums Leben kommen. Ein weiterer erleidet schwere geistige Behinderungen und einer überlebt unversehrt. Vom Tode gezeichnet aber sind sie alle, nicht zuletzt, weil die Toten nicht schweigen. Ihnen nämlich gibt O'Nan eine zusätzliche Erzählerstimme, die gegen das Vergessen anspricht. Neben dem Bezug auf die Gothic Novel und den Pulp-Roman findet sich, das will der Rezensent Gerrit Bartels nicht übersehen, O'Nans Sinn für amerikanischen Alltag und amerikanische Popkultur. Das beginnt mit einem Kurt-Cobain-Motto und zeigt sich in präzisen Beschreibungen von Autos und der unglamourösen Beschreibung des Handlungsorts Avon, aus dem es, so Bartels, keinen Ausweg gibt als den Tod.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.01.2004

Brauchen wir einen Roman über Halloween, wo es doch bei uns das schöne Allerseelen gibt? Hubert Winkels hat seine Bedenken, wischt sie dann jedoch mutig fort: zu spannend findet er Stewart O'Nans Horrorroman, als dass er ihn auf dem Altar der Kultur Alteuropas opfern möchte. Es geht um zwei Jugendliche, die einen Autounfall überlebt haben, bei dem drei andere ums Leben kamen, und um einen Polizisten, der den Unfall mit einer Verfolgungsjagd provoziert hatte. Erzählt wird die Geschichte von den Toten, "Teenager-Erinnyen" nennt Winkels sie, die sich immer bei dem Überlebenden aufhalten, der an sie denkt. Und die Überlebenden denken pausenlos an die Toten, sie sind "besessen von der Erinnerung", so Winkels. Vor allem einer der Überlebenden, Tim, beschwört die tragische Fahrt und den Unfall immer wieder herauf, indem er jedes Jahr an Halloween die rasende Autofahrt wiederholt. Wie O'Nan dies alles erzählt, hat Winkels - fast möchte man sagen: gegen seinen Willen - beeindruckt. O'Nan bediene die klassischen Erwartungen an eine Gespenstergeschichte, doch zugleich fordert und erlangt er "stärkste Empathie für seine schwer, bis zur Lebensunfähigkeit traumatisierten Figuren". Darüber hinaus beschreibe O'Nan "alltagsnah, detailgesättigt, dicht" die amerikanische Kleinstadt, in der das ganze spielt. Wer aber dennoch lieber über Allerseelen lese würde, den verweist Winkels an den gleichnamigen Roman von Cees Nooteboom, einen "europäischen, einen ganz andersartigen Erinnerungsbeschwörer".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.01.2004

Wie gut, dass wir die Amerikaner haben, seufzt der Schriftsteller Georg Klein - und er meint es nicht nur ironisch. Stewart O'Nan jedenfalls, so viel wird klar, gehört seine ganze Bewunderung. O'Nan hat in seinen früheren Romanen schon eine Art Kartografie des Totenreichs angelegt, erfahren wir. In diesem neuen Roman geht es um ein sehr "schmales Territorium" dieser Landschaft. Es ist das Grenzgebiet, in dem die gerade erst Verstorbenen leben, so Klein. Aber auch Lebende halten sich dort auf - diejenigen nämlich, die einen "heiß geliebten Menschen" verloren haben oder schuld am Tod eines anderen sind. Der Erzähler ist schon tot. Er kam bei einem Autounfall ums Leben, mit ihm zwei andere junge Männer. Die einzigen zwei Überlebenden sind von dem Unfall psychisch und physisch gezeichnet. Vielmehr verrät Klein nicht vom Inhalt dieses "Gespenster-Romans", der ihn tief beeindruckt hat: "Wer dem Sog der Spannung widersteht und langsam genug liest, kann auf jeder Seite spüren, wie das Buch einlädt, an einem Totenkult teilzunehmen. Sorgsam wird abgewogen, was sich die Anrainer der großen Grenze gegenseitig schulden." Nachdem wir alten Europäer vergessen haben, was Fasching und Karneval für die Toten bedeutet haben, lehrt O'Nan uns den amerikanischen Totenkult - Georg Klein lässt es sich von diesem "sanften Hexenmeister" gern gefallen.
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