Susanne Riedel

Kains Töchter

Roman
Cover: Kains Töchter
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2000
ISBN 9783871343858
Gebunden, 332 Seiten, 20,35 EUR

Klappentext

Seit Generationen lebt der Leghorn-Clan über dem Fluss Otsch, in einer wilden, betörend schönen Landschaft. Joas Vater, Caleb, hat sich in die Stadt abgesetzt, sein Bruder Zack, ein Holzfäller, ernährt die Familie. Calebs Tochter Joa ist dreizehn, als ihre Mutter wieder schwanger wird. Früh zieht Timpie die Hassliebe der Mutter auf sich. Sie frisst Dreck, verweigert das Sprechen. Mit fünf stürzt sie ihre Mutter von der Brücke in den Otsch und gilt als Mörderin. Viele Jahre später entdeckt Joa in einer Buchhandlung einen Gedichtband der siebzehnjährigen Timpie Leghorn. Wie die Schwestern einander wieder finden, wie Joa einer weit schockierenderen Wahrheit auf die Spur kommt und sich zuletzt des Mordes an Timpie bezichtigt, den ihr niemand glaubt - all das geschieht mit einer skandalösen Unausweichlichkeit: ein modernes Märchen über die Krankheit Familie.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.08.2000

In einer Doppelrezension bespricht Andrea Köhler zwei Debüt-Romane deutscher Autoren. Beide weisen ihrer Ansicht nach zwar auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten auf. Dennoch: In qualitativer Hinsicht siedelt die Rezensentin beide weit höher an, als sie dies den meisten anderen Romanen junger deutscher Autoren zugestehen würde.
1) David Wagner: "Meine nachtblaue Hose" (Fest Verlag)
Zwar ist Köhler der Ansicht, das der Vergleich mit Marcel Proust, den ein Kollege angeführt hat, etwas übertrieben ist. Dennoch kann sie Wagner durchaus handwerkliche Qualitäten zugestehen. Der Roman ist ein "Buch der Absenzen", erfährt der Leser. Überall ist Leere. Die Mutter des pubertierenden Protagonisten hat sich nach England abgesetzt, der Vater führt lieber pausenlos Monologe als mit seinem Sohn zu sprechen, und selbst in der Glotze herrscht die gleiche Langeweile wie überall sonst in der Beamten-Reihenhaus-Siedlung. Und der Protagonist hat, so Köhler, selbst unter Absenzen zu leiden: Es gibt einen nur schwer überbrückbaren Abstand zwischen ihm und der realen Welt. Der Versuch, eine Hose anzuziehen, nimmt mehr Raum ein als der im Fernsehen verkündetet Fall der Mauer, stellt die Rezensentin fest. Ein ?großes Egal schwebe über allem: Scheidung der Eltern, Trennung von der Freundin. Und doch unterscheidet sich Wagner von seinen jungen Schriftsteller-Kollegen, so Köhler: nämlich durch den "Blues des Verlusts", der in diesem Buch spürbar ist.
2) Susanne Riedel: "Kains Töchter" (Rowohlt Verlag)
Köhler zeigt sich äußerst beeindruckt von diesem Buch und bescheinigt ihm gar eine "alttestamentarische Wucht" (wobei sie nach dem Duden eigentlich von "alttestamentlicher Wucht sprechen müsste). Zwar scheint sie es ziemlich riskant zu finden, gleich mit den ganz großen Themen ("Mord, Inzest, Eifersucht, Wahnsinn und Schuld") zum Debüt anzutreten. Letztlich hat Riedel dies ihrer Meinung nach jedoch hervorragend gemeistert. Köhler begründet dies primär mit zwei Aspekten: da ist zum einen die Sprache, zum anderen die ungewöhnliche Perspektive, denn es bleibt - wie die Rezensentin anmerkt - bis zum Ende des Buchs unklar, ob die Ereignisse wirklich stattgefunden haben oder sich lediglich im Kopf der Erzählerin abgespielt haben.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.08.2000

In einer Doppelrezension bespricht Andrea Köhler zwei Debüt-Romane deutscher Autoren. Beide weisen ihrer Ansicht nach zwar auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten auf. Dennoch: In qualitativer Hinsicht siedelt die Rezensentin beide weit höher an, als sie dies den meisten anderen Romanen junger deutscher Autoren zugestehen würde.
1) David Wagner: "Meine nachtblaue Hose" (Fest Verlag)
Zwar ist Köhler der Ansicht, das der Vergleich mit Marcel Proust, den ein Kollege angeführt hat, etwas übertrieben ist. Dennoch kann sie Wagner durchaus handwerkliche Qualitäten zugestehen. Der Roman ist ein "Buch der Absenzen", erfährt der Leser. Überall ist Leere. Die Mutter des pubertierenden Protagonisten hat sich nach England abgesetzt, der Vater führt lieber pausenlos Monologe als mit seinem Sohn zu sprechen, und selbst in der Glotze herrscht die gleiche Langeweile wie überall sonst in der Beamten-Reihenhaus-Siedlung. Und der Protagonist hat, so Köhler, selbst unter Absenzen zu leiden: Es gibt einen nur schwer überbrückbaren Abstand zwischen ihm und der realen Welt. Der Versuch, eine Hose anzuziehen, nimmt mehr Raum ein als der im Fernsehen verkündetet Fall der Mauer, stellt die Rezensentin fest. Ein ?großes Egal schwebe über allem: Scheidung der Eltern, Trennung von der Freundin. Und doch unterscheidet sich Wagner von seinen jungen Schriftsteller-Kollegen, so Köhler: nämlich durch den "Blues des Verlusts", der in diesem Buch spürbar ist.
2) Susanne Riedel: "Kains Töchter" (Rowohlt Verlag)
Köhler zeigt sich äußerst beeindruckt von diesem Buch und bescheinigt ihm gar eine "alttestamentarische Wucht" (wobei sie nach dem Duden eigentlich von "alttestamentlicher Wucht sprechen müsste). Zwar scheint sie es ziemlich riskant zu finden, gleich mit den ganz großen Themen ("Mord, Inzest, Eifersucht, Wahnsinn und Schuld") zum Debüt anzutreten. Letztlich hat Riedel dies ihrer Meinung nach jedoch hervorragend gemeistert. Köhler begründet dies primär mit zwei Aspekten: da ist zum einen die Sprache, zum anderen die ungewöhnliche Perspektive, denn es bleibt - wie die Rezensentin anmerkt - bis zum Ende des Buchs unklar, ob die Ereignisse wirklich stattgefunden haben oder sich lediglich im Kopf der Erzählerin abgespielt haben.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.07.2000

Für Meike Fessmann hat dieser Roman viel Ähnlichkeit mit einem Gedicht: "Es geht ein Zauber von ihm aus, er rührt an, und doch lässt sich kaum erzählen, wovon er handelt." Entsprechend rätselhaft lesen sich auch einige Passagen der Rezension. Fessmanns Faszination wird dennoch deutlich. So zeigt sie sich von der Eiseskälte der geschilderten Welt einerseits, und der Wärme, ja "sengender Energie" andererseits spürbar beeindruckt. Als eine "Seelenlandschaft" könne man diesen Roman bezeichnen, der ihrer Ansicht nach nicht nur durch die Handlung, sondern vor allem auch durch die Sprache berührt. Letztlich geht es in dem Buch, so Fessmann, um die verzweifelten Versuche der Töchter nach väterlicher Anerkennung und Liebe. Dafür habe Riedel "eine Sprache gefunden, die ihresgleichen sucht".
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.06.2000

Auf Ursula März hat dieser Roman zunächst einen "ziemlich verdrehten Eindruck" gemacht. Doch bei fortgeschrittener Lektüre wurde ihr klar, wieso: die Erzählerin berichtet aus der Perspektive einer Neurotikerin, bei der sich Wirklichkeit und Fantasie, "Mythen und Wahrheiten" bisweilen vermischen. Nicht immer kann sich der Leser daher sicher sein, was von den Berichten der Protagonistin wirklich stimmt oder nur ein Produkt ihrer Einbildung ist. Dabei hat die Autorin - wie März anmerkt - bei dieser nicht ungefährlichen Erzählweise viel Geschick und Sicherheit gezeigt, und auch in sprachlicher Hinsicht findet März den Roman vollkommen überzeugend. Verglichen mit anderen Erstlingen sei dieses Debüt "eine Besonderheit", lobt die Rezensentin, die das Wort "Tragödie" für diese Geschichte einer vollkommen übergeschnappten Familie viel zu harmlos findet.
Stichwörter