Ulf Erdmann Ziegler

Eine andere Epoche

Roman
Cover: Eine andere Epoche
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
ISBN 9783518430156
Gebunden, 256 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Berlin, Bundestag, Herbst 2011. Die SPD schlummert in der Opposition, als an einem Novembertag in Eisenach ein ausgebranntes Wohnmobil gefunden wird: Das Ende einer rechtsextremen Terrorzelle stellt die noch junge Berliner Republik vor nahezu unlösbare Fragen. Plötzlich zur moralischen Instanz erhoben, brilliert der Abgeordnete Andi Nair als Vorsitzender des eingesetzten Untersuchungsausschusses. Protokolliert wird das Geschehen von seinem Büroleiter Wegman Frost, der die Verkommenheit der Verhältnisse, das Versagen der Behörden kaum fassen kann und in einen Strudel von Selbstzweifeln gerissen wird. Als Pflegekind mit ungewisser Herkunft hatte ihn sein Einsatz gegen Fremdenhass in die Politik geführt. Damit ist er nicht allein: Sein Freund aus Jugendtagen, Flo Janssen - einst als namenloses Baby aus dem brennenden Saigon ausgeflogen -, steht jetzt am Rednerpult des Reichstags und verkündet neoliberale Ideen. Der ist nicht irgendjemand, er ist der Vizekanzler.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.12.2021

Rezensent Christoph Bartmann liest eine Art "SPD-Schlüsselroman" mit dem neuen Buch von Ulf Erdmann Ziegler, das ihn zurückführt in die Jahre 2011 bis 2013. Der Rücktritt des damaligen Bundespräsidenten, das Scheitern von Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat oder die Aufdeckung der NSU-Morde spielen im Hintergrund eine Rolle, während Ziegler einer Gruppe SPD-Abgeordneter folgt: Im Mittelpunkt steht Wegman Frost, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Abgeordneten Andi Nair, der das politische Geschehen so genau beobachtet und kommentiert wie die eigenen Befindlichkeiten und die seiner Mitstreiter im Berliner Betrieb, resümiert Bartmann. Dass Ziegler nicht "moralisiert", rechnet ihm der Kritiker hoch an. Umso mehr erfreut er sich an mancher Einsicht von "Luhmannscher Dimension".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.12.2021

Rezensent Paul Jandl findet famos, wie Ulf Erdmann Ziegler den Leser in das Räderwerk der Politik aus Kalkül und Psychologie einführt. Anhand leicht zu entziffernder Figuren buchstabiert der in den zehner Jahren spielende Schlüsselroman laut Jandl aus, wie ein Politiker zu dem wird, was er ist. Bekannte Orte und Ereignisse, von den NSU-Morden bis zur Causa Christian Wulff, kommen vor, eigentlich aber geht es weniger um konkrete Politik als um ihre Sprache und das Menschliche, Allzumenschliche, erklärt Jandl. Erstere entwirft der Autor mit großem Gespür für Codes und mit Lakonie, meint der Rezensent. Für Jandl gehört der Roman wie Koeppens "Treibhaus" zu den "wichtigen literarischen Analysen deutscher Machtstrukturen".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.2021

Ulf Erdmann Ziegler hat es mit seinem neuen Roman für Rezensent Nils Kahlefendt nahezu in die Gefilde der Perfektion geschafft. Wie in seinen Vorgängerromanen gelinge es ihm auch hier wieder, aus "Realitätssplittern" ein Bild der Bundesrepublik vor der Wende zu kreieren, ohne die man die neue nach der Wende nicht begreifen könne, staunt Kahlefeldt. Aus der Sicht von Wegman Frost, Büroleiter des Bundestagsabgeordneten Andreas Nair (laut Kahlefendt dem realen NSU-Untersuchungsausschuss-Vorsitzenden Sebastian Edathy nachempfundenen), geht es um die politischen Wirren zwischen 2011 und 2014. Wie Ziegler dabei aus der Perspektive eines "kleinen Rädchens" die Mechanismen und Seilschaften in der Berliner Politik freilegt, Bonner und Berliner Republik "stilistisch brillant" kurzschließe und gleichzeitig souverän abgründige Figuren schafft, imponiert dem Kritiker. Ein "großer Roman", findet er.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.09.2021

Rezensent Ekkehard Knörer macht sich grundsätzliche Gedanken über Sinn und Unsinn der Nacherzählung wahrer Begebenheiten im Roman. Ulf Erdmann Zieglers Text um ein kleines Licht im Berliner politischen Betrieb zur Zeit von NSU, Philipp Rösler und der Affäre Wulff, der Zeitgeschichtliches und fiktive Elemente verbindet, scheint ihm weniger als Schlüsselroman interessant, obwohl jede Menge Klarnamen zu einer solchen Lektüre einladen, sondern eher als distanzierte Perspektive auf Geschehenes, als "Relektüre" des Vergangenen mit leicht verschobenem Blickwinkel. Wie der Autor das anstellt, mit Abständen, Rückblenden, Hervorhebung von Nebensächlichem und so weiter findet Knörer eindrucksvoll.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 11.09.2021

Rezensent Jörg Magenau findet Ulf Erdmann Zieglers Roman genial. Ziegler gelingt viel mehr als ein Roman über die politischen Themen zwischen 2011 und 2014, den rechten Terror, Christian Wulffs Rücktritt, die "Edathy-Affäre" und die Niederlage der FDP, findet er. Grandios scheint ihm, wie der Autor das Politische im Persönlichen seiner erkennbar an die Wirklichkeit angelehnten plastischen und in sich gespaltenen Figuren herausarbeitet und umgekehrt die persönliche Dimension von Politik ahnbar macht. Analytisch wie dramaturgisch setzt Ziegler Maßstäbe, meint Magenau. Am besten aber findet er den Text, wenn der Autor sich von den realen Berliner Ereignissen entfernt und ganz nah an seinen Figuren ist.