Ulla Berkewicz

Überlebnis

Cover: Überlebnis
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518419557
Kartoniert, 139 Seiten, 14,80 EUR

Klappentext

Wir wissen, dass wir sterben müssen. Wie aber leben wir mit diesem Wissen? Wie leben wir eingedenk des Todes? Wie leben wir mit dem Tod der nahen Menschen? Weicht man der mit dem Tod einhergehenden Angst vor dem Verlust und der Erfahrung des Schmerzes nicht aus, begegnet man dem Unverschmerzten auf den Wegen des Nachdenkens und Erinnerns, öffnet sich das, was nicht mehr ist, auf das hin, was bleibt und bleiben wird. Überlebnis ist ein Buch, das die Trauer durchquert, subjektiv und radikal. "Die einzige Angst, die ich jetzt noch habe, ist die, zu vergessen."

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.05.2008

Mit äußerster Skepsis begegnet Rezensent Jörg Magenau Ulla Berkevicz' Buch über den Tod ihres Mannes Siegfried Unseld. Denn er sieht hier sehr unübersichtlich "das Literarische, das Religiöse und das Machtpolitische im Hause Suhrkamp" miteinander verquickt. Fassbar wird dieses Vorgehen für den Rezensenten besonders im Bild der Uhr, die Berkewicz ihrem sterbenden Mann schenkt, als seine eigene Uhr stehen geblieben ist, und die er auch im Grab anbehielt: Es sei, als würde sie damit die Herrschaft über ihn antreten. Ganz davon abgesehen, dass ein Lektorat aus Magenaus Sicht kaum möglich zu sein scheint, wenn die Autorin gleichzeitig die Verlegerin ist. Auch nervt ihn der "raunende, gebetshaft-pathetische Ton", in dem sie den Abschied zelebriert. Die Sätze seien "groß und hohl genug", dass jederzeit auch das Gegenteil hineinfließen könne, merkt er süffisant an. Richtig peinlich findet er, wenn sich Berkewicz mit jesushafter Wunde in der Hand zur Heiligen stilisiert. Auch stören ihn höchst menschliche Unzulänglichkeiten: Für Magenau lässt die Erzählerin jede Form von Takt vermissen. Auch zeige sie eine große Respekt- und Distanzlosigkeit all jenen gegenüber, die nicht Siegfried Unseld oder sie selber sind: "Solche Angehörigen sind der Schrecken der Ärzteschaft", meint Magenau.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.05.2008

Jens Malte Fischer ist hin und her gerissen. Zwischen Achtung und Befremdung schwankend, entscheidet der Rezensent am Ende: Diesem Grabgesang und seiner Autorin Ulla Berkewicz gebührt Achtung. Dem zeitlichen Abstand zum Sterben Siegfried Unselds, das hier noch einmal durchlitten wird, entspricht nach Fischer kein emotionaler. Distanz? Fehlanzeige. Schon die einführenden Kindheitserinnerungen der Autorin bezeugen dies für Fischer, aber auch die sich bei Orphik und Kabbala bedienenden, laut Fischer eher sperrigen Interludien. Der musikalischen Grammatik des Textes folgend erfährt Fischer Satz um Satz und Akt um Akt dieses Requiems. Bis in die Hölle der Intensivstation, ein "atemloses Presto furioso", und schließlich, hier wieder glaubwürdiger, wie Fischer findet, aufs heimische Sterbelager. Was die Autorin dem Rezensenten unterwegs zumutet, ist nicht ohne. "Peinvoll", ja "ekelerregend", schreibt Fischer, doch nicht ohne dem Sterbenden Würde zu verleihen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.04.2008

Mehr ein religiöser Opferungsakt als ein literarisches Werk. Eine Art Pfingsterlebnis und Zungenreden der Suhrkampschen Erzmoderne (von Beckett bis Celan, von Bernhard bis Jelinek), das aus der Verfasserin dieses Todes- und Trauerbuchs spricht. Ein Wechsel auf eine Zukunft, in der die "zwei Kulturen" von Literatur und Wissenschaft zu etwas Neuem, Dritten verschmelzen, in der durch den "Spalt", der hier geöffnet und offengehalten wird, eine neue Kultur denkbar wird, in der zwischen "kabbalistischen Paradoxen" und "jüdischem Witz" nichts unmöglich scheint. Und dies alles als großer Totengesang - "delirierend, insistierend, gestelzt" - über das Leiden und Sterben des Ungenannten, in dem Siegfried Unseld zu erkennen allzu leicht ist. So ungefähr beschreibt Ingeborg Harms dieses Buch der Unseld-Witwe, das ihr die normalen Kriterien der literarischen Beurteilung zu sprengen scheint. Es liegt für sie offenbar - und natürlich ist auch Nietzsche sehr wichtig - eher jenseits von Gut und Böse. Was mutmaßlich aber ein großes Lob ist, denn: "Gegenüber dem Tod ist alles erlaubt."
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.04.2008

Dies sei kein Buch über das Sterben Siegfried Unselds, möchte Rezensent Roman Bucheli zuerst einmal klarstellen. Es handelt sich aus seiner Sicht um ein wesentlich umfänglicheres Unternehmen, nämlich "eine Klage vor Gott über das Sterben und den Tod sowie eine Meditation über die Maßlosigkeit jeder Trauer". Es gehe ums Ganze, nämlich um Jenseits, Zeitlosigkeit und Ewigkeit. In Form eines "Triptychons" handele das Buch das Sterben der als "Mann" bezeichneten Person ab, und zwar eingerahmt von Bildern aus der Kindheit der Erzählerin auf der einen und der Trauer auf der anderen Seite. Besonders der Mittelteil über die Umstände des Sterbens bleiben beim Rezensenten wegen ihres "Präzisionsstakkatos" nicht ohne Eindruck, machen ihn aber auch beklommen, weil er sich in der ihm vom Erzählduktus aufgezwungenen Rolle des Voyeurs ausgesprochen unwohl fühlt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.04.2008

Nicht unbeeindruckt hat Rezensent Martin Krumbholz das Buch von Ulla Berkewicz über das Sterben ihres Mannes Siegfried Unseld gelesen. Besonders Wucht und Aplomb der Autorin, ihr "Mänadentum", welches er durch den Text hindurch spürt, wühlen Krumbholz empfindlich auf. In manchem erinnert dieses "Überlebnisbuch" den Rezensenten an Berkewiczs Debüt von 1982 "Josef stirbt". Doch diesmal scheint es noch deutlich drastischer, sarkastischer und bizarrer zuzugehen. Krumbholz spürt bei der Schilderung der Krankenhausrealität aber auch in den Szenen zu Hause keine kritischen Klischees, aber auch kein Bemühen der Autorin um Korrektheitsgebote: In diesem Text herrscht für ihn ganz die "erfahrene Realität..., durch die Intensität einer brennenden Erinnerung geschärft". Das ist seiner Beschreibung zufolge das Kapital des Buchs, das, wie man lesen kann, auch auf Unseld im Moment seines Sterbens hellsichtige Blicke wirft.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 17.04.2008

Stark und schwach, ungewöhnlich, beeindruckend und peinlich - also ziemlich widersprüchlich, manchmal unerträglich, aber trotz allem insgesamt nicht uninteressant findet Rezensentin Iris Radisch das Buch, das Ulla Berkewicz über das Sterben ihres Mannes Siegfried Unseld geschrieben hat. Das Buch sei zweigeteilt, schreibt die Rezensentin, in einen "heilsgeschichtlichen" und einen "unseldgeschichtlichen" Teil nämlich. Und während der kursiv gesetzte heilsgeschichtliche Teil, dessen "Mysterion- und Fieberseelenton" der Rezensentin am meisten zu schaffen macht und der "prekären Erzählung" meist "wenig bekömmlich" ist, findet sie den Ton jener Passagen, in denen die Autorin ganz dicht bei dem Sterbenden ist, beeindruckend "nackt, eindringlich offen und pulsierend". Aber auch das Maßlose des Buchs, mit dem es mitunter Grenzen des "angeblich guten Geschmacks" überrennt, und auch mancher Satz über das Leben und den Tod lassen die Rezensentin nicht kalt, die sich der an Peinlichkeit grenzenden Unbedingtheit, mit der das Buch aus ihrer Sicht geschrieben ist, nicht wirklich entziehen kann.

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