Wolfgang Koeppen

Auf dem Phantasieross

Prosa aus dem Nachlass
Cover: Auf dem Phantasieross
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518411537
Gebunden, 750 Seiten, 32,72 EUR

Klappentext

Herausgeber Alfred Estermann hat die Prosa Wolfgang Koeppens in sieben Teile unterteilt: Sie beginnt mit frühen Versuchen aus dem Jahre 1923, umfasst die ersten 122 Manuskriptseiten des bislang als verschollen gegoltenen Manuskripts "Die Jawang-Gesellschaft" und endet mit der letzten Erzählung Koeppens "Im Hochsitz".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.11.2000

Schön, spottet der Rezensent, dass es nun eine Ausgabe von Koeppens Prosa aus dem Nachlass gibt. "Aber jammerschade, dass es diese sein muss", wütet er weiter. Nicht, dass Heinrich Detering auf diesen 780 Seiten nicht auch Lesenswertes gefunden hat, im Gegenteil, er schwärmt von der "zartesten und biegsamsten Prosa", die bereits Hans Magnus Enzensberger in Koeppens Romanen entdeckt haben will. Aber wie ärgerlich ist in Deterings Augen die Vorgehensweise des Herausgebers Alfred Estermann, die zwar mit Zeitdruck (50 Jahre Suhrkamp!) zu erklären, nicht aber zu entschuldigen sei. Denn Estermann habe auf Notizen Koeppens zurückgegriffen, die nicht mal den Tatbestand eines ausformulierten Einfalls erfüllten. Schlimmer: Wo Überschriften fehlten, habe der Herausgeber welche gemacht, wo Lücken im Text bestanden, habe er nachgedichtet, wo es unterschiedliche Textfassungen gab, habe er nach eigenem Gutdünken zusammengestellt - all dies ohne typografische oder anderweitige Kennzeichnung dessen, was Koeppens und was des Herausgebers Anteil ist. Leider kein literarisches Abenteuer, bedauert Detering, der den Leser im philologischen Durcheinander stecken bleiben sieht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.10.2000

Von seinem langen Schweigen muss, wenn von Koeppen die Rede ist, offenbar zunächst immer gesprochen werden: so auch von Wilfried F.Schoeller in seiner Besprechung dieser Sammlung aus dem Nachlass. "An der Nase herumgeführt", meint Schoeller, habe er alle Interpreten seines Schweigens, das beweist ihm dieser Band. Der "sehr umsichtige Herausgeber" Alfred Estermann, hat hier kleist-anekdoten-kurze Texte zusammen mit Roman- und Erzählungsanfängen zusammengebracht, 170 Texte aus 70 Arbeitsjahren. Sie zeigen das Sich-Abarbeiten des von jeder Öffentlichkeit zurückgezogenen Schrifstellers der Randständigen, die er zum Anlass des Schreibens nahm: "Abenteuer, unbedenkliche Naturen, lockende Sibyllen, Geschundene und Gezeichnete", oft aus Zeitungsberichten zusammengeklaubt. Aus der Zeit des holländischen Exils gibt es hier ebenso Beispiele wie aus den Anfängen eines langsam beginnenden "Koeppen-Sound" nach dem Krieg, seiner Art "magischen Realismus", die der Rezensent beschreibt als "Prisma aus Beobachtung und Traum, Erinnerung und Vergeblichkeitsmusik". Wie nebenbei hat sich daraus, so Schoeller, fast das schon ergeben, was Koeppen einmal als Projekt beschrieben hat: ein "Roman aus lauter Anfängen".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 01.07.2000

Koeppen, so schreibt der Romancier Hans-Ulrich Treichel für die FR, ist etwas gelungen, "worum ihn so manch anderer Autor beneiden dürfte: er hat sich seinen literarischen Rang nicht nur wegen seiner geschriebenen Werke erworben, sondern auch wegen der Werke, die er nicht geschrieben hat. Und das sind nicht wenige." Einiges war ihm aber doch schon bekannt", erzählt Treichel in der Folge, und verweist auf die Werkausgabe von 1986. Als bedeutendstes Fragment schildert Treichel den Romanbeginn von "Die Jawang-Gesellschaft", einen Text von 74 Seiten - Treichel erzählt wie Koeppen, der auch "ein begabter Koeppen-Darsteller" gewesen sei, zeit seines Lebens behauptete, das Manuskript dieses Romans sei ihm in den Wirren des Kriegs verloren gegangen. Treichel schildert das Fragment als "schwermütig" und "protestantisch-düster", stellt aber nicht die Frage, warum Koeppen es liegen ließ. In anderen Texten entdeckt Treichel einen Widerspruch, den er als entscheidend für Koeppen ansieht: Sein Schreibimpuls sei Selbstentblößung, die zugleich von einer dagegen stehenden Scham ständig wieder gebremst wurde. Man entdecke hier zwar keinen "neuen Koeppen", schließt Treichel, aber "Anfänge und Bruchstücke von Werken, von denen die meisten ... höchstwahrscheinlich bedeutend und ein Glück gewesen wären für die deutsche Literatur."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.07.2000

In einer wunderbaren, sehr ausführlichen Rezension beschreibt Rolf Vollmann angesichts der hier vorliegenden Fragmente Koeppens Misslingen und die morbide Faszination, die entsteht, wenn man diesem Misslingen zusieht. An einigen Texten, wie etwa der abgebrochenen Erzählung "Die Jawang-Gesellschaft", schildert Vollmann, wie dieses Misslingen funktioniert, wie Koeppen einen scheinbar glänzenden Anfang hinlegt, wie er den Fortgang mit immer neuen Einzelheiten, kleinen Beobachtungen, kostbaren Formulierungen und anderen Hinhaltetechniken schmückt, bis er merkt, dass er selber sich hingehalten hat und schlicht nicht weiß, wie es weitergehen soll. Vor diesem Hintergrund stellt Vollmann auch noch mal die Frage nach dem ebenso rätselhaften Gelingen in Koeppens drei großen Romanen aus den fünfziger Jahren. Offensichtlich haben ihm da für die Dauer von ein paar Jahren eine Kraft und ein Stil zur Verfügung gestanden, die ihn alle Klippen leichthändig umschiffen ließen. Auch Banales finde sich in dem Band, erzählt Vollmann - aber ihn fasziniert alles daran. Vollmann lobt den nützlichen Apparat und die einleuchtende, nämlich einfach chronologische Anordnung der Texte.
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