Magazinrundschau - Archiv

The Boston Review

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Magazinrundschau vom 10.01.2012 - Boston Review

Lindsey Gilbert spricht mit Michael Nielsen, Autor von "Reinventing Discovery" (Leseprobe) und großer Befürworter einer Open Science, über kollektive Intelligenz und über wissenschaftliche Projekte, die auch Laien einbeziehen, wie Polymath (mehr hier) oder Galaxy Zoo (mehr hier). Auch wissenschaftliche Evidenz entsteht für Nielsen weniger aus genialer Eingebung als aus diskursiven Prozessen: "Isaac Asimov war es, glaube ich, der erzählt hat, wie wissenschaftliche Entdeckungen wirklich aussehen. Da schreit niemand 'Eureka, ich hab's gefunden', sondern es diskutiert eher ein Wissenschaftler mit einem anderen, den er vielleicht gerade getroffen hat, und sagt 'hm, das ist komisch', weil irgendetwas nicht recht zu stimmen scheint. Aus solchen kleinen Momenten können große Entdeckungen erwachsen."

Ebenfalls in der Boston Review: Claude S. Fischer, Soziologe aus Berkeley, bespricht das vielleicht am meisten rezensierte Buch der Saison: Steven Pinkers "The Better Angels of our Nature" (deutsch: "Gewalt - Eine neue Geschichte der Menschheit"). An die gute Nachricht, dass die Menschen weniger Gewalt ausüben denn je, will er glauben, aber nicht an Pinkers Erklärungen dafür.

Magazinrundschau vom 15.11.2011 - Boston Review

David V. Johnson unterhält sich mit Lawrence Lessig über dessen Buch "Republic, Lost" (Auszug). Lessig beschreibt darin die Korruption im amerikanischen Kongress und sucht nach neuen Organisationsmodellen für die Politik. Er begrüßt mit warmen Worten die Occupy-Bewegung und hofft, dass sie sich mit der Tea Party-Bewegung zusammentut, um in einer Zangenbewegung den etablierten Kräfften zuzusetzen. Für den Kongress hat er auch ganz neue Ideen: Er möchte ihn wie ein Geschworenengericht aus repräsentativ und zufällig ausgewählten Bürgern zusammensetzen: "Die Leute vergessen oft, dass Politik eine der seltenen Sportarten ist, in der Amateure besser sind als Profis. Der Profi ist ein Profi, weil er sehr professionell zwischen dem, was er eigentlich tun sollte, und Eigeninteressen abwägen kann. Diese Fähigkeit hat der Amateur nicht."
Stichwörter: Lessig, Lawrence, Occupy, Boston

Magazinrundschau vom 13.09.2011 - Boston Review

Warum wurden in den USA die sowjetischen Dissidenten geehrt, aber nicht die lateinamerikanischen? Warum durfte Vaclav Havel vor dem Kongress sprechen, während Nelson Mandela erst 2008 von der offiziellen Terrorliste gestriche wurde? In einem Essay über die Rolle des Intellektuellen erinnert Noam Chomsky daran, dass es nicht reicht, nur die Verbrechen der anderen anzuprangern: "Es scheint geradezu eine historische Universalregel zu sein, dass konformistische Intellektuelle, diejenigen also, die die Ziele der Regierung unterstützen, aber ihre Verbrechen ignorieren oder wegdiskutieren, in ihren eigenen Gesellschaften geehrt und privilegiert werden, während die Wertorientierten auf die eine oder andere Weise bestraft werden. Dieses Muster reicht bis in die Anfänge zurück. Es war der Mann, dem man vorwarf, Athens Jugend zu verderben, der den Schierlingsbecher trinken musste und auch die Dreyfusards wurden beschuldigt, die Seelen zu verderben und damit die Gesellschaft als ganze."

Magazinrundschau vom 28.09.2010 - Boston Review

"Seit ewigen Zeiten haben Millionen von Ehen ihren Frieden gemacht mit der Diskrepanz zwischen dem, was hätte sein sollen, und dem was tatsächlich war, aber für die Tolstois war so ein Waffenstillstand ausgeschlossen", schreibt Vivian Gornick leicht fassungslos nach der Lektüre der Tagebücher beider Eheleute. "Hier sind sie in ihren Sechzigern und Siebzigern, um vier Uhr morgens, rennen auf und ab, stoßen Flüche gegen den anderen (und sich selbst) aus, sinken erschöpft nieder und stehen ein paar Stunden später wieder auf und fangen von vorne an. Man kann förmlich sehen, wie sich ihre Köpfe wiederholt leeren und fast sofort wieder mit Blut füllen. Sie scheinen es nie geschafft zu haben, sich von dem Realitätsschock befreit zu haben, außer durch opernhafte Konvulsionen - denen sie sich bis ganz zum Schluss hingeben."
Stichwörter: Gornick, Vivian, Boston

Magazinrundschau vom 27.04.2010 - Boston Review

Der Programmierer Richard Stallman, einer der Helden aus Steven Levys Hacker-Buch, ist ein beinharter Verfechter freier Software und Gründer des GNU-Projekts. In diesem sehr anschaulichen Artikel zieht er gegen SaaS zu Felde - Software as a Service. Das bedeutet folgendes: Jemand setzt einen Netzwerkserver auf und bietet verschiedene Dienste an. Zum Beispiel Textverarbeitung, Übersetzungsdienste für Text, Tabellenkalkulationen. Der Nutzer muss nur seine Daten auf dem Server ablegen und kann sie dann bearbeiten. Google.docs ist zum Beispiel so ein Dienst. Es gibt noch andere böse Dinge, aber SaaS ist eins der schlimmsten, das Äquivalent für totale spyware, so Stallman. Um die Grenzen zu verschleiern, wurde der Begriff "cloud computing" erfunden. "Dieser Begriff ist so nebulös, dass er auf beinahe jeden Gebrauch des Internets zutreffen könnte. Er beinhaltet SaaS und fast alles andere auch. Der Begriff eignet sich für nutzlose Allgemeinplätze. In Wahrheit will 'cloud computing' Ihnen eine 'ach, was soll's'-Haltung zu ihrer eigenen Datenverarbeitung nahelegen. Der Begriff sagt: 'Stell keine Fragen, probier alles aus, ohne zu zögern. Mach dir keine Sorgen, wer deine Daten kontrolliert oder speichert. Such nicht den Haken im Service, bevor du ihn schluckst.' Mit anderen Worten: 'Denke wie ein Trottel.'"

(Im Perlentaucher findet man zwei Texte von Stallman, der schon 1997 vor Copyright-Terrorismus gewarnt hat.)

Magazinrundschau vom 05.01.2010 - Boston Review

Der Autor Roger Boylan schreibt in einer rührenden Hommage zu Becketts zwanzigsten Todestag, wie er Beckett kurz vor seinem Tod in seinem Pariser Altersheim ansprechen wollte, die magere Silhouette auch vorbeischlurfen sah, sich aber dann doch nicht traute. "Später erfuhr ich von Leuten, die ihn kannten, dass er in dem Heim genauso zufrieden war, wie man als Mann seines Temperaments nur sein konnte. Er hatte immer genug Whiskey (Jamesons, Tullamore Dew) und Zigarillos (Havanitos Planteros) zur Hand, einen Fernseher, ausgewählte Bücher (englische Lyrik und Dante), eine Stereoanlage, auf der er seinen geliebten Schubert spielen konnte, und er wohnte Parterre mit Zugang zu einem kleinen Hofgarten."
Stichwörter: Boston, Alighieri, Dante

Magazinrundschau vom 29.09.2009 - Boston Review

Wundervoller Stoff zum Stehlen! Jordan Davis taucht beglückt in Anthologien zeitgenössischer Gedichte aus Deutschland, Russland, Vietnam und der Türkei, die jetzt in englischer Übersetzung erscheinen. Und das Stehlen findet er unter Berufung auf T.S. Eliot nicht nur richtig, sondern auch notwendig: "Damit sie nicht immer nur über sich selbst sprechen müssen, um sich inspirieren zu lassen und etwas Wiedererkennbares auf ungewöhnliche Art sagen zu können, geben Dichter vor, generalisieren, schreiben ein besonders eigentümliches Detail fort und eignen sich an, was nicht ihres ist. Übersetzung und Anzeige fremder Einflüsse gehören zu den Königsmitteln dieser Flucht vorm Selbst und seinen unbrechbaren Regeln, auch wenn sie nur zu anderen, ebenso unbrechbaren Regeln führen. Eliot, ein Regelfanatiker, betonte beides: die Notwendigkeit des Diebstahls aus 'zeitlich entfernten, sprachlich fremden oder inhaltlich abweichenden' Quellen und die Notwendigkeit, etwas Besseres daraus zu machen."
Stichwörter: Vietnam, Diebstahl, Boston

Magazinrundschau vom 21.07.2009 - Boston Review

Julius Purcell erzählt in einer Reportage über den so schmerzhaften Umgang mit den Opfern des spanischen Bürgerkriegs. Letzten September hatte der spanische Richter Baltasar Garzon - der einen Haftbefehl gegen Pinochet erließ - angekündigt, dass er nach den Überresten der "Verschwundenen" des Spanischen Bürgerkriegs suchen lassen wolle und ebenso nach den Republikanern, die in der Franco-Ära der Nachkriegszeit exekutiert wurden. Sein Ziel war es, Francos Regime Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachzuweisen. Das hat in Spanien eine riesige Debatte ausgelöst. Selbst die Sozialisten äußerten nur schmallippige Zustimmung. Von den Konservativen und der Kirche ganz zu schweigen. "Während der 50er Jahre ließ das Franco-Regime so viele wie möglich von 'seinen' Massengräbern exhuminieren und begrub die Toten erneut mit allen Ehren. Diese Toten - das waren die sechzig- bis siebzigtausend Soldaten und zivilen Franquisten, die in der republikanischen Zone während des Krieges ermordet worden waren. Für die unterlegenen Republikaner wurden niemals ähnliche Anstrengungen unternommen. Und das ist die emotionale Crux der Debatte, ohne die man die Leidenschaft und den Zorn nicht verstehen kann, den die Gräber heute noch auslösen."

Magazinrundschau vom 14.04.2009 - Boston Review

Jewgenij Morozov, zur Zeit Fellow an George Soros' "Open Society Institute", arbeitet an einem Buch über die Frage, ob das Internet zur Demokratisierung autoritärer Regimes beiträgt. In einem Essay für die Boston Review trägt er seine äußerst skeptische Sicht der Dinge schon einmal vor: Blogs können ebenso gut totalitäre wie demokratische Weltsichten verbreiten, und Diktatoren können das Netz missbrauchen. Dabei stellt Morozov eine kühne Behauptung auf: "Ostdeutsche, die kein westdeutsches Radio und Fernsehen empfangen konnten, standen häufiger in Opposition zu ihrer Regierung als solche mit Zugang." Die "Cyber-Utopisten" sitzen seiner Ansicht nach illusorischen Informationen auf: "Die säkularen prowestlichen Blogger schreiben eher auf Englisch und werden also eher von westlichen Journalisten interviewt. Wenn die Medien aber ein wenig tiefer graben, könnten Überschriften herauskommen wie: 'Iranische Blogger - Ein Haupthindernis für die Demokratisierung'. Oder 'Saudi Arabien - Die Blogger hassen Frauen'."

Magazinrundschau vom 27.11.2007 - Boston Review

Abbas Milani, Professor für iranische Studien in Stanford, schreibt das ultimative Porträt Mahmud Achmadinedschads. Zu Beginn seines monumentalen Essays erklärt er, warum der iranische Präsident ein so gründliches Studium verdient: "Er muss ernstgenommen werden, nicht nur wegen seiner Drohungen, verbalen Ausfälle und politischen Provokationen. Wo immer er spricht und wen immer er anspricht - Achmadinedschad steht zuhause und in der übrigen muslimischen Welt stets einem Millionenpublikum gegenüber. Er kennt sein Publikum sehr gut, und auch wenn er plump und willkürlich erscheinen mag, überbringen seine Reden und sein Verhalten eine gründlich einstudierte Botschaft frommen Populismus. Er ist ein Produkt der jüngsten iranischen Geschichte und ein Verständnis seiner frühen Jahre und seines Aufstiegs zur Macht geben Einblick in die aktuellen Verhältnisse im Iran."
Stichwörter: Populismus, Boston