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Sociopolis

1 Presseschau-Absatz

Magazinrundschau vom 10.05.2022 - Sociopolis

Im Interview mit Jens Bisky beschreibt der Osteuropa-Redakteur Manfred Sapper, wie systematisch Wladimir Putin die Remilitarisung Russland betrieben hat und dass er gar nicht in zivilen Kategorien denken kann: "Putin ist ein grobschlächtiger Imperialist, ein Vertreter des russländischen Großmachtanspruchs, aber er ist kein Kommunist. Wenn Sie Putins im Sommer 2021 veröffentlichten Text über die historische Einheit von Russen und Ukrainern lesen oder seine Reden vom 21. Februar und 24. Februar 2022, dann stellen Sie fest, dass er sich explizit von Lenin abgrenzt. Er wirft Lenin und der bolschewistischen Nationalitätenpolitik vor, die Ukraine künstlich geschaffen zu haben. Zum anderen gehört Russlands politische Führung einer Generationskohorte an und teilt dieselben Prägungen: Putin, Lawrow und all die anderen, die heute an den Schalthebeln der Macht sitzen, sind zwischen Ende der 1940er- und Mitte der 1950er-Jahre geboren worden. Sie wurden auf dem Höhepunkt der sowjetischen Machtentfaltung, also Ende der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre, politisch sozialisiert. Die Zeit war geprägt von der globalen militärstrategischen Parität zwischen den USA und der Sowjetunion, von der wechselseitigen Anerkennung der mutual assured destruction. Damit gingen der Anspruch und die Fähigkeit einher, die eigene Hegemonie in Stellvertreterkriegen durchzusetzen. Der damalige Eindruck, dass der Ost-West-Konflikt mit seinen Stellvertreterkriegen ein Nullsummenspiel war, prägt bis heute nicht nur das militärpolitische Denken Putins, sondern auch der militärischen Elite und der Geheimdienste. Da hieß es: Wir verlieren zwar Somalia, aber gewinnen Äthiopien. Oder: Wir verlieren Israel, sind dafür aber in Syrien. Das ist der Kern der außen- und sicherheitspolitischen Weltwahrnehmung. Daher verstehen diese Leute gesellschaftliche Bewegungen wie die im Winter 2011 in Russland abgehaltenen Massendemonstrationen gegen die massiven Wahlfälschungen bei der Präsidentschaftswahl nicht als Form gesellschaftlicher Opposition. Für sie sind sie Ausdruck feindlicher geheimdienstlicher Tätigkeit - eben weil sie es in den 1970er-Jahren so gelernt haben und sie selbst im Ausland mit solchen Methoden operiert haben."