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Suchwort: "Leben"
Rubrik: Tagtigall, Stichwort: Wagner, Jan - 4 Artikel
Tagtigall 20.12.2023 […]
Es stimmt, dass Poesie keinen "Gesellschaftsvertrag mit der Wirklichkeit" (Adorno) hat, doch sie hat die Kraft, sich mit allen Sinnen der Wirklichkeit zu besinnen. Darauf zu beharren, dass das Leben nicht aus geraden Linien gemacht ist. Dafür stehen auch Eigners Verse. Unter dem Titel "Wörter im Raum" haben ihm Jürgen Brôcan und Lena Dahlbüdding jüngst ein Dossier in der Nummer 101 der Zeitschrift […] das japanische Haiku, dessen "Wesensnatur" es sei, so sagte es Roland Barthes einmal, in der Kürze die Metasprache zum Schweigen zu bringen. "Ich ist immer ein Rest", so Barthes weiter; schließlich leben, spüren, tun und sinnen wir nicht nach Gesetzmäßigkeiten. Hier ein doppelter Haiku aus dem Band:
streichholz
i
eines klappert noch
in der schachtel, gehütet
wie ein erster Zahn.
ii
dann angerissen […] Von
Marie Luise Knott
Tagtigall 19.12.2013 […] Scheibe wieder hoch. / Tropische Fische flitzen zwischen Pflanzen."
Wenn es stimmt, dass Gedichte Störmaschinen sind, so ist Lindners Poesie in aller Schönheit eine solche Störmaschine. Das disparate Leben - hier in seiner Kunst kann es oszillieren. "Denk nicht nach, die Schiffe, die sind alle verbrannt", lautet ein programmatischer Satz in dem Gedicht "Insel", das wie nebenbei davon erzählt, dass alle […] programmatisches Gedicht des Bandes "und alles wird erinnert" der polnischen Dichterin und Übersetzerin Julia Hartwig. Die autobiografischen Fragmente erzählen lauter kleine Geschichten aus dem großen Leben der mittlerweile über 90-Jährigen, die nach der deutschen Besatzung, und noch vor dem Tauwetter nach Paris reiste, später eine Weile in den USA lebte und dann doch an der Seite von Solidarnosz in Polen […] Sozialismus ("Auf diesen Tisch kannst du legen / was immer du willst / einen notariellen Akt oder einen Reklamezettel / eine Geige oder den Schuldschein über eine verkaufte Seele") und über das verpasste Leben ("Warum tanzte ich nicht auf den Champs Elysées / als die Menge mit Hurrarufen das Kriegsende begrüßte?"). Viele Verse dieses Spätwerks, von Bernhard Hartmann wunderbar sensibel übersetzt, sind durchtränkt […] Von
Marie Luise Knott