Mord und Ratschlag

Für Babylon arbeiten

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
24.08.2020. In Parker Bilals Polizeiroman "London Burning" ermittelt Detective Sergeant Calil Drake eine Steinigung in Clapham, wo Islamismus, Rassismus und Turbokapitalismus eine explosive Mischung erzeugen. Lauren Wilkinsons "American Spy" erzählt von einer Agentin, die den burkinischen Revolutionär Thomas Sankara an die CIA verrät.
Cover: London BurningDie Clapham Saints waren eine Gruppe von englischen Sozialreformern, die sich am Ende des 18. Jahrhunderts für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten. Ihr Gründer John Newton war zuvor selbst Kapitän auf einem Sklavenschiff, seiner Läuterung verdanken wir "Amazing Grace". Die Erinnerung an die Clapham Saints wird in Londons Süden hochgehalten, doch die brutalistischen Sozialbauten, die heute in Clapham stehen, sind heillos heruntergekommen. Der Aufbruchsgeist der siebziger Jahre ist restlos verflogen. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung sind die Bauten reif für den Abbruch, die Immobilienunternehmen stehen schon bereit. Die aus allen Teilen der Welt, aus Afrika, Jamaika und Anatolien eingewanderten Bewohner verbarrikadieren sich in Angst und Verbitterung.

In Parker Bilals Roman "London Burning" hat der amerikanische Tycoon Howard Thwaite bereits ein erstes Bauprojekt in Clapham in Angriff genommen, eine schicke Wohnanlage namens Magnolia Quais, direkt neben der Siedlung mit dem hochgestimmten Namen "Freetown". Und auch wenn in dieser brenzligen Lage Ärger vorprogrammiert ist, versetzt der Fund zweier Leichen auf der Baustelle die Stadt in Aufruhr: Thwaites Frau Marsha wurde ermordet. Zusammen mit einem Mann namens Tei Hideo wurde sie unter einer Ladung Geröll lebendig begraben, man könnte auch sagen, die beiden wurden gesteinigt.

Im Radio und den sozialen Netzen entfaltet sich sofort lustvolles Entsetzen über diesen islamischen Ritualmord, in den Straßen marschiert die Hope-and-Glory-Partei auf, um London gegen die Scharia zu verteidigen. "Steinigung ist die Strafe für Ehebruch", weiß sich auch gleich die Polizeipsychologin wertvoll einzubringen. Detective Sergeant Calil Drake darf die Ermittlungen nur vorübergehend leiten. Er ist degradiert und hat genau zwei Tage lang Zeit sich zu beweisen. Ansonsten übernimmt der smarte und in der Hierarchie blendend vernetzte Detective Chief Inspector Pryce, Calils persönliche Nemesis.

Tatsächlich führen ernstzunehmende Spuren zur Moschee in der Birch Lane, die nicht nur großmütig illegale Flüchtlinge beherbergt, sondern auch den aus der Spur geratenen Sohn des Imams und dessen gemeingefährlichen Kumpan. Es stellt sich aber auch heraus, dass Marsha Thwaite und Tei Hideo einst im Irak als Geiseln genommen worden waren und von einem privaten Militärunternehmen befreit werden mussten. Howard Thwaite hatte die Truppe beauftragt, die britische Regierung verhandelt nicht mit Entführern, heute arbeiten die einstigen Söldner als Wachschutz auf seiner Baustelle. Die Firma heißt allerdings nicht mehr so kriegerisch Hawkethorne, sondern vornehm Deorum Risk Strategies, das kommt besser an bei den Finanzinvestoren.

Parker Bilal ist das Pseudonym, unter dem der 1960 in London geborene Autor Jamal Mahjoub seine Kriminalromane schreibt. Immerhin einen Titel hatte der Rowohlt Verlag 2012 von Bilas Reihe um den Kairoer Ermittler Makana auf Deutsch herausgebracht: "Die dunklen Straßen von Kairo". In diesem vielschichtigen Roman ließ Bilal seinen Außenseiter-Detektiv den Kampf um Aufklärung und Vernunft gegen Ägyptens zunehmenden Irrsinn führen, gegen Korruption, Feigheit und Frömmelei.

In "London Burning" rührt Bilal die Widersprüche der britischen Gesellschaft zu einem explosiven Gemisch, wobei der Brexit noch gar keine Rolle spielt. In Clapham ergeben schon Irakkrieg, religiöser Wahn, Rassismus und der Turbokapitalismus Sprengstoff genug. Globale Konflikte und Revierkämpfe gehen ineinander über, wenn Soldaten und Söldner, Syrien-Kämpfer, islamistische Attentäter und Rechtsradikale ihre Feindseligkeiten in der Nachbarschaft austragen. Und die Investoren der heißlaufenden Baubranche erhöhen permanent den Druck im Kessel.

Bilal ist ein eher bedächtiger Autor, sein Police Procedural braucht etwas Zeit, um sein Tempo zu finden, doch mit dem Rhythmus kommen auch ein komplexer Plot, subtiler Witz und scharfsinnige Beobachtungen. Auch die Psychologin erweist sich schließlich als Frau mit Charakter, Stil und guten Beziehungen zum Geheimdienst. Einen Hauch von Melancholie, aber auch Tiefenschärfe bringt vor allem seine sorgsam gezeichnete Figur des Detective Sergeant Calil Drake in den Roman, der sich nach einer radikalisierten Jugend beim Militär ausnüchterte, im Irak kämpfte und nach seiner Rückkehr Polizist wurde. Seine eigene Zerrissenheit walzt er nicht aus, sie ist matter of fact.

Bei seinen Leuten braucht er sich allerdings nicht mehr sehen zu lassen. Für Babylon arbeiten? Die eigenen Leute in die Pfanne hauen? Der jamaikanische Wirt seiner Stammkneipe verspottet ihn: "Ach, Du änderst das System von innen. Und wie läuft das so für Dich?" Was soll der arme Drake ihm antworten? Dass er nicht für Königin und Vaterland kämpfen will, sondern für Vernunft und Anstand? Oder dass ihn eh nur ein Tritt in den Hintern von seinem Vorgesetzten erwartet, sobald er den Fall erfolgreich aufklärt hat?

Parker Bilal: London Burning. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020, 496 Seiten, 12 Euro (Bestellen)

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Cover: American SpyAuch in Lauren Wilkinsons Roman "American" Spy" steht eine Protagonistin mit zerrissener Identität im Vordergrund. Marie Mitchell ist junge Agentin beim FBI. Aber weil sie klug, schön und schwarz ist und die Geschichte im New York der achtziger Jahre spielt, ist der Job für sie die Hölle: "Überall um mich herum nur selbstgefällige Chauvinisten, die sich konservativster Werte rühmten. Um überhaupt klarzukommen, behauptete ich, ich würde mich nicht für Politik interessieren. Was sich geradezu lächerlich anfühlte, aber sie schluckten es." An spannenden Operationen darf Marie nicht teilnehmen, sie muss sich damit begnügen, die Spitzel in den schwarzen Communities nach brauchbaren Informationen auszuquetschen.

Die große Wende kommt, als die CIA sie um Hilfe bittet und auf den charismatischen Staatschef von Burkina Faso ansetzt: auf den Offizier und Revolutionär Thomas Sankara, der sich selbst an die Macht putschte, aber mit seiner Politik die Bevölkerung in einen Begeisterungstaumel versetzte: Sozialistisch, panafrikanisch, feministisch. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehörte die Abschaffung des kolonialistischen Namens Obervolta. Marie soll mit ihm ein bisschen durch das Harlemer Nachtleben ziehen und ihn, wenn möglich, in eine kompromittierende Situation bringen. Dass einem dabei Bilder von Alfred Hitchcocks "Topaz" mit kubanischen Revolutionären in New York in den Sinn kommen, ist kein Zufall.

Toller Stoff, muss man sagen. Auch an Thomas Sankara zu erinnern, der nach wenigen Jahren an der Macht von seinem politischen Weggefährten Blaise Compaoré ermordet wurde, ist eine fantastische Idee, zumal nie ganz geklärt wurde, mit wessen Unterstützung Compaoré damals handelte. Es gab bestimmt einige Geheimdienste, die an Sankaras Beseitigung interessiert waren, um das Land wieder auf einen prowestlichen Kurs zu bringen.

Dass Lauren Wilkinson mit einer jungen schwarzen Heldin in ihrem Spionage-Thriller aufwartet und sich auf der Höhe des Diskures zeigt, ist erfrischend. Man braucht auch nur das süße Schneeflöckchen-Cover von "American Spy" zu vergleichen mit der lieblosen Gestaltung von Parker Bilals "London Burning", um zu sehen, wer für den Buchmarkt gerade sexy ist und wer eher nicht so. Ein Blurb von Barack Obama dürfte auch helfen.

Trotzdem ist "American Spy" keine echte Freude. Die interessante Politgeschichte steht in Kontrast zu den literarischen Mitteln, mit denen Wilkinson auf Effekte zielt. Der Roman beginnt mit einem Anschlag auf Maries Leben, fünf Jahre nach ihrem Einsatz in Burkina Faso. Mühelos schaltet die flinke Agentin ihren Angreifer aus und flieht zu ihrer Mutter nach Martinique, um dort in einem langen emotionalen Brief an ihre beiden Kinder ihre Geschichte zu erzählen. Dieser Brief gerät stilistisch zu einer Mischung aus Agentenfilm, Mädchentraum und sentimentaler Suada, in der andere Personen der Heldin vor allem als Spiegel ihrer Großartigkeit dienen.

Von Maries Taumeln auf dem Weg zu Selbstfindung wird einem ganz schwindlig. Sie will unbedingt für das FBI arbeiten, obwohl sie schwarz ist, aber sie ist auch politisch total reflektiert, ihre Mutter hat schließlich Frantz Fanon gelesen. Sie will Spionin werden, aber "niemandes Lakai". Sie verachtet Spitzel, ist aber eine supergute Spitzelführerin, und zum Glück kann sie all die coolen schwarzen Gruppen ausspionieren. Sie lässt sich auf Thomas Sankara ansetzen, obwohl sie das natürlich moralisch fragwürdig findet. Sie sympathisiert mit seinen progressiven Ideen, aber nicht mit seinen radikalen. Sie verknallt sich ihn, verrät ihn aber an die übelsten Schurken. Solche Widersprüchlichkeiten ergeben keine komplexe Figur, sondern eine, die es allen recht machen will.

Ob aus Kalkül oder Unentschiedenheit - die alles in sich vereinigende Marie Mitchell ist eine Figur, die man nicht ernst nehmen kann. Und wenn Wilkinson ihr dann auch noch zwei Kinder von Thomas Sankara andichtet, ahnt man auch, dass die Autorin die Grenzen der Literatur nicht ganz ernst nimmt. So macht "American Spy" aus einer politischen Tragödie eine naive Fantasie.

Lauren Wilkinson: American Spy. Roman. Aus dem Amerikanischen von Jenny Merling. Tropen Verlag, Stuttgart 2020, 352 Seiten, 16 Euro (Bestellen)