Magazinrundschau

Die ganz normale Hölle des Daseins

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
18.05.2021. Rest of World schildert am Beispiel burmesischer Blogger, wie das zarte Pflänzchen der Demokratie in Myanmar zertreten wird. HVG würdigt das architektonische Erbe des Realsozialismus. Die LRB ist froh, dass wenigstens ein britischer Verlag Blake Baileys Philip-Roth-Biografie veröffentlicht. In Global Voices fragt Ai Weiwei, welche Geheimnisse die chinesische KP hat. NeoText erinnert an die farbenprächtigen Cover des Science-Fiction-Illustrators Paul Lehr. Tehelka berichtet über 'Hexenjagden' in Indien.

Rest of World (USA), 11.05.2021

In einem Bericht des Magazins macht Peter Guest auf das Schicksal von Bloggern, Influencern und jungen Start-up-Unternehmern in Myanmar aufmerksam, die seit dem Putsch kriminalisiert werden: "Ranguns digitale Gemeinde aus Aktivisten, Unternehmern und Tech-Arbeitern ist seit dem Putsch traumatisiert. Viele von ihnen gerieten bei den Protesten in die Schusslinie der Soldaten. Nachdem die Junta die Opposition und alle Dissidenten vertrieben hatte, ging sie gegen die vernetzte Jugend vor, holte sie aus den Häusern und kriminalisierte ihr Tun mittels neuer Gesetze. Abend für Abend werden im staatlichen Fernsehen die Namen von Bloggern, Vloggern, Influencern, Schauspielern, Aktivisten und Oppositionellen verlesen - im Grunde sind das alle mit einem Profil und einer eigenen Meinung. Viele der bekanntesten Medien- und Tech-Persönlichkeiten sind auf der Flucht oder im Gefängnis. Die direkten Attacken der Junta auf die freie Presse, die Aktivisten und ihre Infrastruktur betreffen eine Generation, die gerade erst dabei war, sich politisch, wirtschaftlich und sozial zu formieren und durchzusetzen. Während der letzten zehn Jahre mit einer Zivilregierung haben sie gelernt, die neue Offenheit und Konnektivität im Land für sich zu nutzen, um für ihre Rechte einzutreten, Unternehmen aufzubauen und politische Reformen anzustoßen. In etwas mehr als drei Monaten hat das Militär das alles zunichte gemacht. 'Unsere Ermächtigung war nur von kurzer Dauer', erklärt Nandar, Frauenrechtlerin und Podcasterin auf der Flucht … Das offizielle Staatsfernsehen als einzige Mainstream-Informationsquelle setzt unterdessen auf Verharmlosung und die abschreckende Wirkung der Bilder von brutalisierten Gefangenen und gesuchten Personen. Es heißt, die Junta arbeite an einer neuen Firewall und plane die Löschung von Webseiten. Das würde die nahezu totale Kontrolle des Internets durch das Militär bedeuten."
Archiv: Rest of World
Stichwörter: Myanmar, Putsch, Influencer

HVG (Ungarn), 17.05.2021

National Power Dispatch Centre by Csaba Virág (LAKÓTERV) 2020. Foto: Dániel Dömölky


Im Gespräch mit Hanna Csatlós stellen die Kuratoren des ungarischen Beitrags zur 17. Architekturbiennale in Venedig - Attila Róbert Csóka, Dániel Kovács, Dávid Smiló und Szabolcs Molnár - ihr Projekt Othernity vor, bei dem das architektonische Erbe des Realsozialismus im Mittelpunkt steht. "Laut den ungarischen Kuratoren müssen wir versuchen unsere Gebäude zu akzeptieren und zu verstehen, bevor man sie mit dem Bulldozer abreißt. So könnten die alten Konstruktionen noch eine Chance bekommen. Denn ob es uns gefällt oder nicht, 71 Meer hohe Wassertürme inmitten des Betondschungels sind ebenso Teil unserer Identität wie die klassizistisch-romantische Budapester Innenstadt. (...) Wir müssen anfangen uns über diese Gebäude zu unterhalten, dies ist das Hauptziel von Othernity. Wenn wir es verstehen, warum und wie überhaupt sie entstanden sind, warum sie so aussehen, wie sie aussehen, warum sie so verlassen wirken, dann wird vielleicht die Ablehnung nicht so reflexartig sein und wir können uns so auch selbst besser akzeptieren. Diese Gebäude sind Teil unserer Geschichte, bei ihrer Akzeptanz geht es letztendlich auch darum, ob wir uns mit uns selbst identifizieren können."
Archiv: HVG

London Review of Books (UK), 20.05.2021

In einem unendlich langen und tiefgründigen Essay widmet sich James Wolcott den Verwerfungen um Blake Baileys Philip-Roth-Biografie, die nach Vergewaltigungsvorwürfen gegen Bailey nun nicht mehr beim amerikanischen Verlag Norton erscheint, sondern nur noch beim britischen Verlag Jonathan Cape. Ob Philip Roth mit Bailey untergehen wird? Wolcott hält das nicht für ausgeschlossen: "Herausragender Handwerker, unverbesserlicher Satyr, subversiver Komiker, leidenschaftlicher Kummersammler, liberaler Humanist, guter Sohn, schlechter Ehemann, großzügiger Wohltäter - in seinen sperrigen Gegensätzen erregte Philip Roth eine Ambivalenz wie kaum ein anderer amerikanischer Schriftsteller, und diese Ambivalenz mag es gewesen sein, die ihn für uns am Leben erhält, immer umstritten, eine streitbare Angelegenheit. Oder ihn am Leben erhalten hat, weil, von hier an, wer weiß das schon?... Blake Bailey, sein Leben, seine Karriere, sein Ruf und sein Name sind in Rekordgeschwindigkeit ins Bodenlose gesunken. Er und seine Geschichte werden als Fallbeispiel für zukünftige literarische Pathologen dienen. Ich war gegen die Kampagne, derentwegen weitere Auflagen gecancelt wurden, aus dem demokratischen Grundsatz heraus, dass, wenn ich das Buch kaufen und lesen durfte, das trotz allem beträchtliche Meriten hat, es nur fair sei, dass alle anderen das auch können. Das ist jetzt hinfällig, zumindest in den USA. Nortons Entscheidung, die Biografie für immer aus dem Verkehr zu ziehen und eine beträchtliche Spende an Organisationen für sexuellen Missbrauch zu leisten, wurde von den meisten Kommentatoren zum Sieg erklärt und von einer kleineren Zahl als ein 'Woke-Kapitalismus' geschmäht, der dem Mob der Social Justice nachgibt, ein Kulturkampf, der die Freunde der Meinungsseiten, das Twitterversum und die Substack-Nation beschäftigt halten wird, die schon jetzt ihre Gewissheiten für die nächste Salve von Speerwürfen schärfen werden."

Seite für Seite arbeitet sich Clair Wills durch den Abschlussbericht der Kommission, die den Zuständen in Irlands Mutter-Kind-Heimen nachging. Es ist ein Katalog der Scheußlichkeiten, seufzt Wills: Über Jahrzehnte hinweg starb ein Viertel der Kinder in den katholischen Heimen von Tuam, Bessborough oder Galway, in denen ledige Mütter weggesperrt wurden, um von der Gesellschaft ferngehalten zu werden und einige Jahre ohne Lohn zu arbeiten. In Tuam etwa wurden die toten Kinder einfach in die Sickergrube geworfen, in Bessborough wurden Kinder dagegen für tot erklärt und dann zur Adoption freigegeben. Und doch kann Wills auch verstehen, dass die Kommission - zum blanken Entsetzen der Betroffenen - die Kirche vor einer Generalverurteilung in Schutz und die Gesellschaft in die Pflicht nimmt: "Die historische Analyse, die der Bericht vorlegt, könnte der Ausgangspunkt sein für eine radikale Debatte über Irlands kollektive Verantwortung. Anzuerkennen, welchen Schaden religiöse Institutionen und mit ihnen der Staat anrichteten, sollte nicht und darf auch nicht dazu dienen, den Rest von uns aus der Verantwortung zu entlassen: Männer, die sich nach England verdrückten anstatt für ihre Kinder zu zahlen (einer von ihnen war mein Onkel); Eltern, die ihre Kinder und Enkel abwiesen (zu ihnen gehörte meine Großmutter); die Menschen, die die Frauen in den Heimen und die weggeschickten Kinder nicht sehen wollten (wie einige meiner Verwandten). Ich bin verantwortlich. Meine Familie ist verantwortlich. Menschen, die ich kenne, waren verantwortlich. Und einigen von ihnen ist auch Schuld zu geben."

Weiteres: Tareq Baconi liefert Hintergründe zu der aktuellen Eskalation in Nahost, vor allem zu den Vertreibungen palästinensischer Familien aus ihren Häusern im Ost-Jerusalemer Viertel Sheikh Jarrah. Adam Phillips lernt bei Kafka und Freud, aus seinem eigenen Leben ausgeschlossen zu sein.

Global Voices (Niederlande), 11.05.2021

Eine der Aktionen, die Ai Weiwei berühmt machten, war seine Recherchearbeit zum Erdbeben in Sechuan 2008. Bei diesem Erdbeben kamen Tausende Schulkinder ums Leben, denn die Schulen, in denen sie sich befanden, waren schlecht gebaut und stürzten als erste zusammen - aufgrund der Korruption in der KP Chinas. Zusammen mit Mitstreitern gelang es Ai Weiwei alle Namen der getöteten Kinder zu sammeln und in verschiedenen Gedenkaktionen aufzuschreiben oder auch laut herauszuschreien. Im Moment nutzt er die Audio-Plattform Clubhouse, um seine Aktion fortzusetzen, berichtet Filip Noubel. Noch gelingt es manchen Aktivisten, die chinesische Internetzensur mit Clubhouse zu umgehen. Er arbeite gegen die KP-Tradition der Geheimnistuerei an, sagt Ai Weiwei im Gespräch mit Noubel, denn die KP Chinas sei geradezu durch diese Geheimniskrämerei definiert: "Das reicht bis zum Eid, um Parteimitglied zu werden, der für ihre derzeit 90 Millionen Mitglieder gilt und der diesen Satz enthält: Schütze die Geheimnisse der Partei'. Ich meine, Sie sind seit fast achtzig Jahren an der Spitze dieses Landes, Ihre Partei ist hundert Jahre alt, was für Parteigeheimnisse kann es da noch zu schützen geben? Warum müssen Sie die Geheimnisse der Partei bewahren? Diese Geheimhaltung ist sehr nützlich und effektiv, weil sie dazu da ist, ihre Herrschaft zu garantieren. In China sind Sie sich immer bewusst, dass die Leute über Ihnen mehr wissen als Sie selbst. So ist es sehr einfach, Sie zu kontrollieren."
Archiv: Global Voices

Eurozine (Österreich), 18.05.2021

Die Ukraine hat Russland um sein europäisches Selbstbild gebracht, stellt Igor Torbakow fest. Denn wenn Russland tatsächlich zu Europa gehörte, hätte es der Ukraine nicht ebensolche Avancen verwehren können. Mehr und mehr greife Moskau daher auf strategische Konzepte zurück, die das insulare Russland beschwören, und bleibe somit eine Bedrohung für seine Nachbarn, fürchtet Torbakow: "Was die Werte betrifft, ist die Kluft zwischen Moskau und dem Westen real. Nach dreihundert Jahren 'europäischer Lehrzeit', kehrt Russland nach Hause und akzeptiert seine kulturelle Einzigartigkeit (eine Synthese aus byzantinischem Erbe und Goldener Horde) ebenso wie den ihm eigenen autoritären Politikstil. Es wird sich nicht mehr in eine fremde kulturelle Identität, also den westlichen Liberalismus, pressen lassen, den die USA und die EU Moskau aufzwängen wollen, wie etwa Dmitry Trenin meint, langjähriger Direktor des Carnegie Moscow Center. Die derzeitige Konfrontation sei ein zwangsläufiges Ergebnis der westlichen Agrressivität und Ruslands Weigerung, dieser nachzugeben - im Gegensatz zu seinem unterwürfigen Verhalten in den späten Achtzigern, als Russland, damals noch im sowjetischen Gewand, den Kalten Krieg verlor. Trenin und ähnlich gestrickte Analysten in Moskau lassen die Aussichten kurz- und mittelfristig eher düster erscheinen, denn der hybride Krieg, in den Russland und der Westen momentan verstrickt sind, wird sich nicht so schnell beenden lassen."
Archiv: Eurozine

Tehelka (Indien), 05.05.2021

Vor allem im indischen Bundesstaat Jharkhand, aber nicht nur dort, werden Frauen immer noch ermordet, weil sie angeblich Hexen sind, berichtet die Juristin Sangita Laha in Tehelka. Die Gründe dafür sind vielfältig und dann doch wieder einfach: Es geht immer um Macht. "Unter dem Vorwand der 'Hexenjagd' töten oder vergewaltigen Menschen unschuldige Frauen, um sich ihren Besitz anzueignen. Die Hexenjagd wird auch als Mittel zur Rache oder gegen einen lokalen Politiker eingesetzt. Obwohl heutzutage heimlich praktiziert, verschwört sich manchmal das ganze Dorf gegen einen Haushalt, meist einer Dalitfamilie - einer zahlenmäßig schwächeren Gruppe im Dorf. Auch alleinstehende Frauen, Witwen und alte Menschen - die verletzlichsten Menschen der Gesellschaft - werden ins Visier genommen, um sich ihr Land und ihren Besitz anzueignen. ... Berichte bestätigen, dass zwischen 1990 und 2000 522 Frauen brutal ermordet wurden, weil sie angeblich 'Hexe' waren. Die Daten des National Crime Records Bureau (NCRB) zeigen außerdem, dass Jharkhand in der Liste der Bundesstaaten von 2013 bis 2016 bei der Anzahl der Hexenjagden führt und an der Spitze steht, wenn es um Todesfälle durch Hexenjagd geht. Rund 523 Frauen wurden zwischen 2001 und 2016 gelyncht, eine alarmierende Zahl. Im Jahr 2019 meldete der Bundesstaat 27 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Hexerei, wie aus den Daten der staatlichen Polizei hervorgeht, 2018 waren es laut den kürzlich veröffentlichten Daten des National Crime Records Bureau noch 18 ähnliche Todesfälle. Laut den Daten, die von 2000 bis 2019 reichen, wurden bisher 1800 Frauen getötet."
Archiv: Tehelka
Stichwörter: Indien, Jharkhand, Hexenjagd, Hexen

NeoText (USA), 09.04.2021

Jane Frank erinnert an die fantastischen Bildwelten des Science-Fiction-Illustrators Paul Lehr, wie sie seinerzeit auf zahlreichen einschlägigen Taschenbüchern und Magazinen zu sehen waren, die sich aber auch auf jeder Wand gut machen:  "Lehr war einer der wirklich wenigen Künstler, die in der Lage waren, das Science-Fiction-Genre zu evozieren, ohne spezifische Szenen der Bücher, die sie illustrierten, darzustellen. Aber das vermittelt kaum die Schönheit, das Geheimnis und den Exotismus seiner Kunst. Lehr (1930-1998) mag die Science-Fiction-Cover von Mitte der 60er bis in die 70er dominiert haben, aber seine Kunstfertigkeit war eher die eines Jazzmusikers, 'der sich vom erwarteten Rhythmus einfach löste, um diese wundervollen Passagen mit Farben zu schaffen' (Vincent DiFate, im Bildband 'Visions of Never'). ... Die Arbeiten der amerikanischen Illustratoren des 'Goldenen Zeitalters der Science-Fiction' - Namen wie Leyendecker, Wyeth, Cornwall, Parrish, Pyle bis hin zu Norman Rockwell - teilten sich alle einen zentralen Aspekt: Ihre Kunst war konstant beschreibbar. Ihr Publikum hatte kein Problem damit, die realistischen Szenen, die sie zeigten, nachzuvollziehen." Doch "die Arbeiten der Künstler der 'dritten Welle' waren symbolischer, abstrakter und imstande, die Relevanz der innovativen Werke der Science-Fiction hervorzukehren. .. Stilisierte, statische und zum Teil verführerische Darstellungen von Robotern, MIAS (Monster mit Insektenaugen), Raketen und fliegenden Untertassen wurden in den 50ern von neuen Künstlern und deren Covergemälden ersetzt, die die großen Verlagshäuser in dieser Verpackung auch an Bibliotheken und ein zusehends wachsendes, erwachsenes Publikum verkaufen konnten."

"Starcave" von Paul Lehr, undatiert
Archiv: NeoText

Elet es Irodalom (Ungarn), 14.05.2021

Die in Warschau lebende ungarische Politikwissenschaftlerin Edit Zgut beschreibt informelle Machtstrukturen in Ungarn und in Polen und erklärt, warum die Gegenwehr der EU so schwach ausfällt: "Die Europäische Kommission versteht weiterhin nicht die Essenz des ungarischen und polnischen Demokratieabbaus. Sie fokussiert weiterhin auf die formale Verletzung von Gesetzen, erkennt aber nicht dass für ein Verstehen das Nachvollziehen der informellen Seite der Politik in diesen Ländern notwendig ist. Während informelle Normen und Praktiken organische Bestandteile aller politischen Regierungen sind, stellen manche ihre Formen eine außerordentliche Gefahr für demokratische Institutionen dar. In Mittel-Ost-Europa schuf der Kommunismus ganz eigene Bedingungen für die Festigung informeller Institutionen. Das war nicht anders in Ungarn und in Polen, wo ironischer Weise zwei antikommunistische Gallionsfiguren der demokratischen Wende den Abbau der Rechtstaatlichkeit und der liberalen Demokratie vollzogen. (...) Das juristische Rahmensystem der EU eignet sich nicht dazu, den informellen Missbrauch zu hindern, noch weniger ihn zu eliminieren."
Stichwörter: Ungarn, Polen, Zgut, Edit

New Yorker (USA), 24.05.2021

In einem Beitrag der aktuellen Ausgabe erkennt Jill Lepore im Anstieg der Burnout-Erkrankungen aufschlussreiche Hinweise auf unser Arbeitsleben: "Burnout zu hinterfragen, heißt nicht, das Ausmaß des Leidens oder die Verwüstungen im Zuge der Pandemie zu leugnen: Verzweiflung, Bitterkeit, Müdigkeit, Langeweile, Einsamkeit, Entfremdung und Trauer - vor allem Trauer. Burnout zu hinterfragen, bedeutet sich zu fragen, welche Bedeutung sich hinter dieser Vorstellung verbirgt und ob sie tatsächlich jemandem von Nutzen sein kann, der darunter leidet. Burnout ist eine als Diagnose getarnte Metapher. Sie leidet unter zwei Verwechslungen: des Besonderen mit dem Allgemeinen und des Klinischen mit dem Umgangssprachlichen. Wenn Burnout universell und ewig ist, ist es bedeutungslos. Wenn jeder ausgebrannt ist und es schon immer war, ist Burnout einfach die ganz normale Hölle des Daseins. Doch wenn Burnout ein relativ junges Problem ist, wenn es aus den frühen 1970ern stammt, als es seinen Namen erhielt, so wirft es eine historische Frage auf: Was ist die Ursache? … Burnout mag unserem heutigen Zustand entsprechen, es hat aber ganz besondere historische Wurzeln. In den siebziger Jahren, als Herbert J.  Freudenberger zum ersten Mal Burnout in verschiedenen Berufen untersuchte, stagnierten die Reallöhne, die Gewerkschaften litten unter Mitgliederschwund, und immer mehr Arbeitsplätze in der Fertigung wurden durch Service-Jobs ersetzt. Einige dieser Trends kehren sich neuerdings um, doch das Gerede über Burnout in den letzten Jahrzehnten hat nichts dazu beigetragen, die ursächlichen Probleme zu lösen. Stattdessen wurde die Verantwortung für enorme wirtschaftliche und soziale Umwälzungen und Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt auf den einzelnen Arbeiter übertragen."

Außerdem: Rebecca Mead überlegt, zu welchem Zweck das Scharrbild des Riesen von Cerne Abbas in Dorset mit seinem sieben Meter langen Penis wohl angelegt wurde. William Finnegan sorgt sich um das Fortbestehen des Pferderennsports. Und Joan Acocella befasst sich mit neuer Literatur über den Maler Francis Bacon.
Archiv: New Yorker