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Kunst ist irgendwo anders

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
13.09.2021. Ein Rundgang über die Berlin Photo Week förderte wenig Neues oder Spannendes zutage. Bemerkenswert ist vor allem die hemmungslose Selbstdarstellung der Messe, die einen neues Geld und Aufmerksamkeit anziehenden Cluster zu formen versucht.
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Vom 26. August bis 3. September gab's die vorab von großem medialen Getöse begleitete Berlin Photo Week. Ich hatte in Berlin nur ein Zeitfenster von einem halben Tag, was insofern jedoch kein Problem war, da es vor Ort ohnehin nur wenig gab, in das zu vertiefen sich lohnte.

Von Bruce Gilden waren zwei Meter hohe, gestochen scharfe, sagen wir: unhübsche Gesichter in Farbe zu sehen. Wozu der Aufwand, fragt man sich. Protest gegen normative Vorstellungen von Schönheit? Dokumentation, wie die Welt abseits von Instagram und Photoshop wirklich aussieht? Dass wahre Schönheit fürs Auge unsichtbar ist? Sowas in der Art wahrscheinlich.

Auch Thomas Hoepkers in ihrer Schlichtheit berührende Mauerkinder-Fotos waren wieder mal zu sehen. Von Jacob Felländer gab's die üblichen, für Konferenzzimmer von Versicherungen tauglichen Langzeitbelichtungen. Dazu Michael Agel, der auf die im Grunde immergleichen, mit einer Leica aufgenommen Schwarzweiß-Porträts Prominenter - in dem Fall Musiker - spezialisiert ist; und das Kollektiv "herspective", dessen Anliegen, mehr Frauen dauerhaft in der Fotoszene zu etablieren als die aktuell 13 Prozent, man uneingeschränkt unterstützen kann - vor allem dann, wenn es sich bei den Fotos, die dann entstehen, um interessantere handelt als die, die aktuell auf dem Instagram Account des Kollektivs zu sehen sind.

© Thomas Hoepker / Magnum Photos

EyeEm (eine Foto-Community mit fünfundzwanzig Millionen Mitgliedern) lobte einen Preis aus - manche Arbeiten sind visuell ansprechend und handwerklich makellos, sodass langfristig ein lukrativer Job in der Mode- oder Werbebranche winkt (so nicht ohnehin bereits vorhanden).

Da die Berliner Arena für einen möglichen COVID-Notstand im Winter präpariert wird, musste die Photo Week aufs RAW Gelände ausweichen. Um den Swimming Pool im Haubentaucher gab's ein paar Stände, die bei dem einen oder anderen Wolkenbruch abgeräumt oder zumindest mit Planen abgedeckt werden mussten. Campari Spritz wurde gratis gereicht und Kaffee, der aus einer wunderbaren, stählernen "Faema"- Espressomaschine (ich denke, es war das legendäre Modell E61) rann - hinsichtlich der Verwöhn-Qualität aller Sinne vielleicht das hochwertigste Produkt der Veranstaltung. Um Produkte ging's auf der Photo Week natürlich vor allem, nicht um Fotokunst. Die gängigen Kamera-Hersteller von Sony bis Leica präsentierten neue Ware, die interessierte Besucher dann an zur Verfügung stehenden Modellen sofort zum Einsatz bringen konnten.

Berlin, wie es knipst und lacht.

Kunst gab es wie immer und überall nur im Ausnahmefall, etwa das neue Buch von Martin Bogren (mit dem ich mich fürs Fotolot noch eingehender beschäftigen werde) oder das inzwischen vergriffene New York-Leporello von Antoine d'Agata, beides am Stand von "Buchkunst Berlin".

Abgerundet wurde das Event durch Talks, die eine Auswahl üblicher Verdächtiger aufboten - Matthias Harder, Simone Klein, Annette Kicken, Thomas Köhler -, und durch sogenannte Satelliten-Ausstellungen, etwa der hübschen, kleinen Retrospektive (noch bis 25. September) des in den zwanziger und dreißiger Jahren stilprägenden Modefotografen George Hoyningen-Huene bei Grisebach, wo sich die alles in allem bescheidene Photo Week nicht zuletzt im Glanz der jungen Chefin des Auktionshauses, Diandra Donecker, sonnen darf.

Man könnte so einiges anführen über Sinn und Zweck solcher Veranstaltungen. Etwa die Eventkultur und die Konzentration so gut wie aller Kräfte auf wenige Player an einem Ort. "Cluster"-Kultur nennt das Niklas Maak, "(...) gerade in Berlin wo das gesamte Geld wie mit einem Staubsauger auf die Museumsinsel oder ans Kulturforum abgezogen wird; man baut dort im Prinzip Cluster, die an ein feudales Konzept erinnern. Man will eine Art Bilbao-Effekt, man schmeißt alles an einen Ort und blutet dafür - in Berlin ist das deutlich zu sehen - alle dezentralen Orte aus." Wobei es sich bei einem solchen Ort nicht zwingend um einen geografisch lokalisierbaren handeln muss. Es kann auch ein konstruierter, auf mehrere Standorte und Fomate verteilter sein, kein festes Gebäude, sondern eine mobile Marke, die wegen ihrer Akkumulation von Referenzen und Ressourcen anziehend wirkt.

Die Photo Week versucht das im Kleinen, indem sie nicht nur wie eine Messe die Industrie einbindet, sondern auch Institutionen, die - zumindest nominell - für die (Gegenwarts-)Kunst zuständig sind. Je größer der Cluster, desto mehr Aufmerksamkeit, desto größere Summen sind im Spiel. Das Ziel solcher Versuche ist im Kern dasselbe wie bei Spekulationsblasen großen Stils: einen "irrationalen Überschwang" zu erzeugen, "ein Wunschdenken in Gang zu setzen, das für die wahre Situation blind macht" (Robert J. Shiller) - zum Beispiel eben ganz laut dort "Kunst!" zu rufen, wo sie im Grunde nur Dekor ist oder Mittel zum Zweck, wenn sie nicht überhaupt ganz fehlt - und alle machen dabei mit.

Kunst und der Handel mit ihr hat viel mit symbolischem Kapital (wie Status und Prestige) zu tun, ihr Wert beinhaltet einen Aspekt "fundamentaler Ungewissheit" (Shiller). Aus dieser Unsicherheit hat sich bei Auktionshäusern die Praxis der Garantien durchgesetzt - ein Preis, den die VerkäuferInnen vom Auktionshaus garantiert bekommen, gleich, welches Ergebnis auf der Auktion erzielt wird. Cluster-Kultur folgt demselben Pfad: je größer, je bekannter, desto mehr, beinahe schon garantierte Sicherheit fürs (unsichere) Publikum, vor allem aber für potenzielle Investoren.

© George Hoyningen-Huene Estate Archives

Wie sieht so ein irrationaler Überschwang aus, wie hört er sich an, wie liest er sich? Obwohl die werten LeserInnen sicher immer wieder mal mit etwas in dieser Art konfrontiert werden, kann es interessant (vielleicht sogar heilsam) sein, der hemmungslosen Selbstdarstellung solcher Veranstaltungen zu lauschen.

Es spricht im Folgenden die Berlin Photo Week über sich selbst: "top-class events ", "groundbreaking photographers", "complex", "unconventional", "experimental", "uniqueness", "prestigious", "pioneering", "creative journey", "climate crisis", pandemics", "human qualities", "leading companies", "passionate", "fascination for technology and life", "millions of people", "enthusiasts", "legendary masterpieces of photography in top-class exhibitions", "share deep insight", "strong brands", "future strategies", "photography in all it's facets", "the most advanced processes in the highest quality".

Das war jetzt eine Ernte aus gerade mal zwei DIN-A4 Seiten.

Wie auch immer: "Was unsere Zeit ausmacht, ist genau dieser Salonmüll, unwichtig, aufgebläht und albern, den wir in ungeheuerlichen Massen produzieren, den wir diskutieren, kommentieren, in Ausstellungen, Texten, Filmen, Aufführungen dokumentieren, der schlicht das geistige Leben unserer Zeit ist. Kunst ist irgendwo anders." (Gerhard Richter)

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de
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