Außer Atem: Das Berlinale Blog

Kurze Momente des Glücks in 'Ice Poison' von Midi Z (Panorama)

Von Lukas Foerster
10.02.2014. Der thailändische Regisseur Midi Z erweist sich in seinem Film "Ice Poison" als Mitbegründer eines neuen rural cinema.


Die Grundsitution des Films, die Situation, von der die vorsichtige, keine großen Behauptungen aufstellende Fiktionalisierung ausgeht, und zu der die Welt dieses Films, spürt man, eher früher oder später immer wieder zurückkehren wird, ist schnell beschrieben: Gemeinsam vor ärmlichen Hütten auf niedrigen Holzhockern abhängen, rauchen, Tee trinken, abhängen, sich einander das ewig gleichbleibende und trotzdem irgendwie immer noch schlimmere Leid klagen. Die Ernte ist wieder einmal schlecht ausgefallen, der Sohn, der in den Minen fernab der Heimat sein Glück versucht, hat schon allzu lange nichts von sich hören lassen, im Norden soll Krieg sein.

Die Subsistenzwirtschaft, die hier, im ländlichen Myanmar, die traditionelle Existenzgrundlage war, befindet sich jedenfalls in einer permanenten Krise - gleich zu Beginn begeben sich ein Vater und ein Sohn auf einen Ausflug von ihrem Bauernhof zu einer nahe gelegenen Ortschaft, wo sie Kredit aufzutreiben versuchen; nach einigen erfolglosen Versuchen verpfändet der Vater seine einzige Kuh, gegen ein Moped, mit dem sich der Sohn als Taxifahrer verdingen soll. (Nebenbei: Die langsame Abwicklung, aber auch das gleichzeitige immer-noch-Fortbestehen der Landwirtschaft in den von der Globalisierung abgehängten Weltregionen könnte sich zu einem wichtigen Thema des Kinos entwickeln. Gemeinsam mit Kollegen wie dem Thailänder Uruphong Raksasad und dem Philippiner Mes de Guzman könnte der Regisseur von "Ice Poison", Midi Z., zu den Grundsteinlegern eines neuen rural cinema gehören.)

Die Szenen, in denen diese neue Arbeit des Sohnes beschrieben wird, gehören zu den eindrücklichsten des Films: Die Kamera blickt aus erhöhter Position auf den jungen Mann herab, wie der sich an ankommende Buspassagiere heftet und versucht, sie auf sein Gefährt zu lotsen. Wieder und wieder drängt er sich, zwischen mehreren Gleichgesinnten, an die Bustüren, belagert die Ankömmlinge, die doch stets darauf bestehen, ihrer eigenen Wege gehen zu wollen. Nicht nur in dieser Szene zahlt sich die Geduld aus, mit der der Midi Z. seine Szenen entwirft: Der gerade im asiatischen Autorenfilm allgegenwärtige und nur zu schnell in seinen eigenen Klischees, in Stasis um der Stasis Willen, erstickende long-take-Stil hat in "Ice Poison" einen sehr spezifischen Sinn. Es geht darum, soziale Erfahrungen am Rand der modernen Weltgesellschaft in ihr Recht zu setzen, Erfahrungen, die sich erst in der Zeit, in stumpfen, bedrückenden Repetitionen, im Leerlauf offenbaren. Dass Midi Z. außerdem ein erstaunliches Gespür für Bilder hat, dass sein offensichtlich mit geringsten Mitteln produzierter Film um Längen besser aussieht als fast alles, was ich bisher im Wettbewerb gesehen habe, tut sein Übriges.



Einmal steigt doch jemand auf das Moped, Sanmei, eine junge Frau, die nach China zwangsverheiratet wurde und zur Beerdigung ihres Vaters in die Heimat kommt. Sie will zu der ihr aufoktroyierten Familie nicht wieder zurück, oder wenn doch, dann nur mit Geld in der Tasche. Geld gibt es aber, sagt ihre Mutter ihr in einer von vielen Holzhocker-Gesprächsszenen (bei denen oft nebenbei landwirtschaftliche Produkte verarbeitet werden), nur in den Minen und mit Drogenhandel zu verdienen. Von beidem rät sie ihr aus ausschließlich praktischen Gründen ab, aber Sanmei hat Blut geleckt und stürzt sich gemeinsam mit dem Mopedfahrer in einen Gangsterfilm auf niedrigstem Niveau. Gewinnmarge: Ein Apfel. Die Hütten und Felder werden eingetauscht gegen Karaoke-Bars, der Tee gegen auf Alufolien erhitztes Methamphetamin, genannt "Ice". Die minimalistische Strenge der Form lockert sich auf, einmal löst sich ein gesummtes Lied von den Bildern, legt sich über eine Mopedfahrt in Großaufnahme.

Auch solche Mopedfahrten gibt es viele im Weltkino (der Chinese Jia Zhang-ke zum Beispiel hat sie zu einem regelrechten Markenzeichen ausgebaut), und doch funktionieren die eigentlich bekannten Bilder bei Midi Z. doch wieder ein bisschen anders, weil die kurzen Momente des Glücks, auf die sie verweisen, gegen die beengende soziale (beziehungsweise auch einfach: materielle) Wirklichkeit besonders hart erkämpft werden müssen. Der Film "Ice Poison", eine der wenigen echten Entdeckungen, die ich bisher auf der diesjährigen Berlinale machen konnte, endet schließlich mit einer Tierschlachtung, was nun seinerseits ein weiteres Weltkino-Klischee ist; aber hier wird mit dem Schnitt durch die Kehle der Kuh ein ganzes sozioökonomisches Konzept, die Subsistenzwirtschaft, und die mit ihr in Verbindung stehenden Lebensweisen, Arten des Sprechens, des vor-der-Hütte-sitzends, des Rauchens und Tee trinkens, zu Grabe getragen.

Lukas Foerster

Bing Du - Ice Poison. Regie: Midi Z. Darsteller: Wang Shin-Hong, Wu Ke-Xi. Taiwan / Myanmar 2014, 95 Minuten (Panorama, alle Vorführtermine)