Im Kino

Türkis, rosa, hellblau

Die Filmkolumne. Von Rajko Burchardt, Stefanie Diekmann
08.07.2020. Chris Bolan erzählt in seiner Doku "A Secret Love" über zwei angeblich fromme Großtanten von einer lesbischen Liebe, die nicht sein durfte, und einer Familie, nichts davon wissen wollte. Carolina Hellsgård beobachtet in "Sunburned" eine unterkühlte Familie am Strand und ein Machtgefälle zwischen Schwarzen und Weißen, das sich schon in Kindern widerspiegelt.


Als Terry Donahue sich gegenüber ihrer Familie outet, lebt sie bereits 60 Jahre in einer Beziehung mit Pat Henschel. Verdacht will niemand der Angehörigen geschöpft haben. In der Verwandtschaft galten die beiden Frauen als freundschaftlich verbundene Gefährtinnen, nach außen hin traten sie häufig als Cousinen auf. Terrys Lieblingsnichte Diana sei versichert worden, ihre Tanten wohnten lediglich aus Kostengründen unter einem Dach. Zwei ewige Junggesellinnen, deren lebenslanges Beisammensein rein pragmatische Gründe hat - das schien noch den engsten familiären Vertrauten lange Zeit eine angenehme Vorstellung zu sein.

Der auf Netflix veröffentlichte Dokumentarfilm über Pat und Terry, betitelt "Eine geheime Liebe", setzt wenige Jahre nach Auflösung der behaglichen Lüge ein. Zwischen 2013 und 2018 hat Chris Bolan, Sohn von Diana, das Paar mit der Kamera befragt und begleitet. Geplant war, möglicherweise, ein biografischer Film über Liebe im Verborgenen, mit schwerem Start und glücklichem Ausgang: Erzählt als historisch gerahmte Geschichte, die vom kriminalisierten und gesellschaftlich tabuisierten Begehren zur schlussendlichen Hochzeit im Betreuten Wohnen führt. Erfolgsproduzent Ryan Murphy, Spezialist für erbauliche queere Fernsehstoffe, könnte diese Perspektive jedenfalls zur Unterstützung des Projekts bewogen haben.

Um Exemplifizierung geht es dem Film jedoch kaum. Rückblicke in die sieben Dekaden umspannende Beziehung von Pat und Terry werden nicht um kollektivgeschichtliche Abrisse homofeindlicher Diskriminierung und deren Überwindung erweitert (ein zuweilen tristes Standardverfahren vieler thematisch ähnlicher Produktionen), sondern in Zeitdokumente eingebettet, die individuelle Erfahrungen unter bestimmten Voraussetzungen kontextualisieren. Mit der Schwulen- und Lesbenbewegung beispielsweise hatte das Paar offenbar nie Berührungspunkte. Es führte, nachdem Terry 1950 die legendäre Baseball-Liga der Frauen verließ, ein zurückgezogenes Leben in Chicago.



An dieses Bild zweier frommer Großtanten glaubten dann auch Chris Bolan und seine Mutter. Dass es ein trügerisches sein könnte, deutet Dianas Verwunderung über Fotos an, die Pat und Terry bei Urlaubsreisen mit schwulen Freunden zeigen. Hier bekommt der Film einen interessanten, auf unerwartete Weise komplizierten Dreh - möchte er doch etwas nachempfinden, das seinen Machern stets vorenthalten wurde. Bolan macht die eigenen Blickfilter nicht direkt zum Thema, muss aber unweigerlich deren Spuren in Szene setzen und reflektieren. So ist "Eine geheime Liebe" immer wieder als Porträt einer eingeschränkten Wahrnehmung zu erkennen. Einmal verweigert Terry eine romantische Szene und blickt stur in die Kamera, als suche sie den Kontakt zum Publikum.

Das Verhältnis des Regisseurs zu seinen Protagonistinnen erscheint dabei gleichermaßen hinderlich wie produktiv. Es kennzeichnet ein innerfamiliäres Unbehagen, das von mangelndem Vertrauen bis zu mehr oder weniger offen vorgetragener Homophobie reicht. Und mindestens implizit geht es um die (unbeantwortet bleibende) Frage, inwieweit Terrys Familie mitverantwortlich war für ein sogar in Schutzräumen geführtes Versteckspiel, das auch Pats auffällig kühle Beziehung zu Terrys Verwandtschaft erklärt. Dianas Bemühungen, das pflegebedürftige Paar zurück nach Kanada zu holen, wehrt Pat jahrelang erfolgreich ab. Hinter dem scheinbar mürrischen Befremden einer alten Dame, die ihr Haus nicht verlassen möchte, tritt schließlich begründete Skepsis zutage.

Aus den facettenreichen Beziehungsdynamiken gewinnt der Film einen unwiderstehlichen Reiz, der seine eigentlich problematischen Aspekte (die Befangenheit, gewissermaßen auch die Schuld der mitwirkenden Angehörigen) zum Vorteil wendet. Nicht zuletzt gelingen ihm dadurch einige hochgradig bewegende Momente von Zweisamkeit. In einer Szene liest Pat archivierte Briefe an Terry, deren Signaturen aus Angst vor Entdeckung herausgeschnitten wurden - Unsichtbarkeit schien für sie nicht ohne Selbstverleugnung möglich. Kurz darauf sitzt Terry am Krankenhausbett ihrer Ehefrau. Sie beugt sich langsam vor, um Pat zu küssen, und es dauert eine kleine Ewigkeit, bis die zitternden Lippen den Handrücken erreichen. Nach siebzig gemeinsamen Jahren trotzt diese Liebe allen Widerständen.

Rajko Burchardt

A Secret Love - USA 2020 - Regie: Chris Bolan - Laufzeit: 81 Minuten. "Eine geheime Liebe" bei Netflix.

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Filme, die am Strand spielen, sind Sommerfilme, Filme über Zwischen- und Übergangszeiten, über das, was sehr unverhüllt sichtbar ist: Körper, Blicke, Begehren; und über das, was sich nicht offen zeigt und vielleicht andernorts, in Hotelzimmern und Ferienhäusern, zutage tritt. Sehr häufig geht es in diesen Filmen um Adoleszenz, das heißt: um den mehr oder weniger wissenden Blick, der sich auf die Zirkulation des Begehrens, auf den eigenen Körper und auf die Körper der anderen richtet. Aber wenn der Film am Strand von der Begegnung und den unwahrscheinlichen Kontakten handelt, tut er dies immer schon in der Perspektive des Abschieds, da auch die längsten Ferien irgendwann zu Ende gehen und alle nach Hause geschickt werden, verwandelt oder unverwandelt und selten ohne ein paar Blessuren.



Zum Werk der niederländischen Fotografin Rineke Dijkstra, die als Expertin für das Thema Adoleszenz zu betrachten ist, gehört eine Serie von Porträts, am Strand aufgenommen, unter denen sich sehr gut auch das von Claire (Zita Gaier) befinden könnte, die mit ihrer Mutter (Sabine Timoteo) und ihrer Schwester (Nicolais Borger) irgendwo in Andalusien Urlaub macht. Die Hotelfassade ist weiß, der Pool sehr blau, die Preisklasse gehoben, die Badekleidung der Mutter und der älteren Schwester meist schwarz, die von Claire die längste Zeit türkisfarben, rosa, hellblau, als ginge es darum, sie mit einer gewissen Gewalt im Stadium der Kindlichkeit festzuhalten. Einen Vater gibt es auch, aber der ist nicht dabei und ruft auch nicht an. Und so präsentiert sich das Trio als eine jener unbestimmt unvollständigen und unbestimmt unterkühlten Familien, die im Kino der Gegenwart häufiger anzutreffen sind. (Catherine Breillats "À ma sœur!" von 2001 ist der dunkle Schatten dieses Films: ein anderes Ende, aber eine vergleichbare Konstellation.)

Da die Urlaubszeit lang und kurz zugleich ist, erfolgen die Kontaktaufnahmen sehr rasch: am Strand, am Pool, zwischen den Liegestühlen, die vielleicht nur zu diesem Zweck aufgestellt worden sind. Die Schwester findet einen Freund, die Mutter einen Verehrer; von diesem Moment an ist Claire auf sich selbst verwiesen, und wenn sie kurz darauf Amram (Gedion Oduor Wekesa) kennen lernt, der am Strand Ringe, Plastikketten und manchmal auch seinen Körper verkauft, ist diese Begegnung bereits nicht mehr unschuldig, sondern von Eigeninteressen und der sehr genauen Wahrnehmung eines Machtgefälles durchsetzt. "Kennst du dieses Spiel?" wird zu einer Frage, die von diesem Moment an häufiger zu hören ist; aber was der einen als Spiel gilt, ist für den anderen eine Frage der nächsten Mahlzeit. Dass zwei ungefähr gleich alt sind, bedeutet nicht, dass sie wirklich etwas gemeinsam haben, und die Verbindungen, die ihr Dialog zuweilen behauptet ("I miss my father, too"), erscheinen fragwürdig und zu jedem Zeitpunkt reversibel.



Von dieser Einsicht erzählt "Sunburned" weitgehend konventionell, in einer Dramaturgie der Spiele und Machtspiele, der Annäherungen und Zurückweisungen, der verunglückten Hilfsangebote, einiger überdeutlicher Symbolbilder und eines Rettungsversuchs mit unklarem Ausgang. Weniger konventionell ist das Timing: sowohl der Umgang mit Zuständen des Wartens und der Langeweile als auch die unbeirrte Dehnung der Einstellungen, in denen nichts anderes zu sehen ist als Claire, die ihrerseits auf etwas blickt, von dem sie durch einen Abstand, eine Fensterscheibe, eine unsichtbare Grenze getrennt ist. Die Initiation, die sich zwischen den Bildern vollzieht, wird aus beiden Komponenten bestanden haben: den Begegnungen, die sich ergeben, und denen, die sich nicht ergeben können. In den letzten Einstellungen trägt die Protagonistin keine Haarspangen, keine Kleidchen mehr und auch nicht länger Rosa, was immer eine gute Nachricht ist und für die Geschichte vom Strand in Andalusien ein beinahe versöhnliches Ende.

Stefanie Diekmann

Sunburned - Deutschland 2019 - Regie: Carolina Hellsgård - Darsteller: Sabine Timoteo, Zita Gaier, Gedion Oduor Wekesa, Nicolais Borger - Laufzeit: 92 Minuten.